Hermann Hesse "Im Nebel" - Warum kann man dieses Gedicht der Neuromantik zuordnen?

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Es gibt drei Ebenen der Bewußtwerdung, auf denen der Verstand versucht, Klarheit zu schaffen. Auf der obersten und der mittleren gelingt es ihm recht gut, doch zur unteren Ebene hat er keinen Zugang. Man könnte diese drei Ebenen mit dem vergleichen, was damals Sigmund Freud – und viele andere – geahnt hatten.

Ein Mensch kann unter Tausenden sein, und sich doch alleine fühlen, währenddessen sich ein Mensch völlig zufrieden fühlt, wenn er absolut alleine ist. Hesse schreibt hier in der dritten Ebene – was er des Öfteren tut – und er kann nur über diese Gefühlslagen schreiben.

Doch ist er sich bewußt, daß es nicht das ist, worüber er schreibt. Deutlicher kann man es bei seinem Werk SIDDHARTHA lesen und erfahren. Das Darstellen von Gefühlen bedarf keinerlei Gedanken. Doch sind es letztendlich nur Worte über etwas, was dem Verstand unzugänglich ist.

Der Nebel symbolisiert die Lebenssituation, in der sich jeder Mensch befindet. Dieser Nebel besteht aus lauter Erklärungen des Verstandes der versucht, dem Menschen das Leben zu erklären. Doch Hesse war zu allen Zeiten auf der Suche nach dem, was da im Grunde in ihm denkt.

Schon früh erkannte er, daß er diesen Denker in sich beobachten konnte. Und so begriff er im Laufe seines Lebens, daß da etwas in ihm sein mußte, was nicht wirklich ER war. Beschrieben hat er diese Phasen des Erkennens in seinem Roman DER STEPPENWOLF. Ob dieser Roman nun autobiographisch sein mag oder nicht, sei dahingestellt.

Sein Wandern im Nebel läßt ihn in Berührung kommen mit dieser ewigen Stille des Nichts. Steine, Pflanzen und Tiere – sie alle existieren in dieser ewigen Stille, welche sich mit dem Verstand nicht verstehen läßt. Das Bewußtsein ist in die Form gegangen, um sich selbst zu erfahren. Erst dadurch kann es sich selbst bewußt werden.

Der Mensch kann diesem Körper nicht entrinnen, da er selbst der Körper ist, in welchem das Bewußtsein das Erleben benötigt, um sich selbst bewußt werden zu können. Doch das Ego-Bewußtsein hat die Kontrolle über die Wahrnehmung des Menschen übernommen und behauptet: Ich bin Du. Und so fühlt sich das Ego von Allem getrennt, da es die Quelle vergessen hat.

» Wahrlich, keiner ist weise, Der nicht das Dunkel kennt, Das unentrinnbar und leise Von allen ihn trennt. « Hermann Hesse gerät an die Grenze des Denkens. Es bleiben ihm zwei Möglichkeiten. Entweder er erzeugt noch mehr Widerstand gegen das, was gerade ist – oder er gibt den inneren Widerstand vollkommen auf und läßt es geschehen. Was geschehen will. Das Annehmen dieses Augenblickes befreit ihn vom Denken-Müssen. Er unterbricht die Verbindung mit dem Denker in sich.

Genau das war es, was SIDDHARTHA erkannte, als er es leid war, die Suche nach sich selbst weiterhin fortzuführen. Er setzte sich unter einen Baum und dachte nichts mehr. Er hatte genug gedacht. Auch Hesse kam an diesen Punkt, an dem ihm das Ego nichts mehr erklären konnte. Der Nebel aller Illusionen lichtete sich zusehends, als er aufhörte, über den Nebel nachzudenken.

Dieses Dunkle zu erkennen bedeutet, sich nicht mehr mit dem Verstand zu identifizieren. Damit meinte er, daß er sich die Welt nicht mehr erklären wollte, und auch nicht mehr wissen mußte, wer er im Grunde war. All diese Rollen, welche er jemals gespielt hatte, fielen von Mal zu Mal von ihm ab. Und so erkannte er das wahre Ich, welches mit Allem, was da ist – stets verbunden ist. Sich selbst nicht mehr als getrenntes Etwas fühlen zu müssen – das ist die Erlösung.

Herzliche Grüße

8rosinchen  07.05.2012, 07:01

...guten morgen, ich bin sehr begeistert...

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hallööchen,

  • bin zufällig hier gelandet !?

  • ich verstehe das so...als die grosse frage schlechthin...

  • was bleibt mir, wenn alles andere wegbricht...

  • meine sicherheiten im aussen, meine familie, meine freunde etc.

  • wer bin ich, wenn alles das nicht mehr da ist?!?!?!?!?

  • dann ist das vielleicht der zustand "im nebel zu wandern!...

  • alles gute

1. Man kann das Gedicht der Neuromantik zuordnen, weil man theoretisch jedes Gedicht in irgend eine Kathegorie einordnen kann - ob es dort hinpasst oder nicht.

2. Gibt es diesen blöden Einordnungsdrang, aber leider gibt es Gedichte/Bücher/Schriften allgemein, die in ihrer Form nun mal in keine Schublade passen wollen. So landet manches Gedicht in einer Schublade, in der es einfach befremdlich wirkt.

3. "kein Mensch den anderen kennt" ist aus meiner Sicht nicht wahr. Wenn "kein (einziger)" Menschen einen anderen Menschen kennen würde, würdest du nur Fremden begegnen.

Es ist ein schönes Gedicht, voller Wehmut und Erkenntnis, Freude und Selbstzweifel und auch tiefer Traurigkeit. Aber bei der Neuromantik geht es nicht unbedingt um den Inhalt an sich - ob schön oder traurig, es geht um einen Literaturstil, der in der Zeit von 1890 bis 1915 eingeordnet wird und zu dem der Typus dieses Gedichtes passt. "Romtik" bitte nicht mit "Romantisch" verwechsel!