Habt Ihr mal eine Person auf der Straße kennengelernt mit der Ihr ein langes Gespräch führtet und hinterher das Gefühl, dass euch diese Person verändert hat?

Das Ergebnis basiert auf 8 Abstimmungen

Ja, habe schon so eine Begegnung erlebt, 50%
Nein, solche Zufallsbekanntschaften waren nicht intensiv. 38%
Habe keine Straßenbekanntschaften 13%
Vielleicht kann ich mich dunkel erinnern. 0%
Sonstiges 0%

2 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet
Ja, habe schon so eine Begegnung erlebt,

Ja, da gab es tatsächlich etwas, das nachhaltige Eindrücke hinterlassen hat. Es ist 17 Jahre her. Kann mich dennoch sehr gut dran erinnern. Ich musste auch nicht lang überlegen, die Begegnung ging mir auch ziemlich nach - aber eher im Positiven, weil es eine angenehme Erinnerung ist.

Ich traf in der Fußgängerzone einer süddeutschen Großstadt einen damals schon 80 Jahre alten Mann. Es war extrem heiß (Sommer 2005), der Mann stand da und wurde von den meisten entweder angepöbelt, beschimpft oder bespuckt. Er hat sich dabei was mir auffiel nicht geregt, stand trotz aller Anfeindungen einfach nur da und ich habe das Ganze (war damals entweder noch 14 oder gerade 15) einige Minuten lang beobachtet, bis ich zu ihm einfach mal hingegangen bin. Ich wusste zu dem Zeitpunkt gar nicht, warum er da steht, aber er tat mir einfach nur leid.

Wir haben uns daraufhin gut unterhalten und ich glaube, das Gespräch hat ihm gut getan. Er hat sich richtig gefreut, dass er mir etwas über sich und sein Leben erzählen konnte und sich tausendmal bedankt, dass er nicht beleidigt wurde und man einfach nur redete. Das kam wirklich von ganzem Herzen. Eine solche Dankbarkeit kann man wahrscheinlich nicht vorspielen.

Dabei kam raus: Er stammte eigentlich aus Thüringen, siedelte 1990 in den Westen um und schloss sich nach der Wende den Zeugen Jehovas an, für die er nun an diesem Ort Schriften verteilte. Er erklärte mir, dass er sich nach der Wende haltlos fühlte, keinerlei Achtung mehr erfuhr, alles verloren hatte was ihm mal wichtig war und bei den Jehovas dann wieder neuen Halt bekam, sich verstanden und aufgenommen/akzeptiert fühlte. Er sprach von einer geringen Rente, Desillusionierung, Isolation, Mentalitätsproblemen mit dem "kalten" Süddeutschland, fehlender Akzeptanz durch andere und erwog es, seinen Lebensabend wieder in Thüringen verbringen zu wollen. Ich habe ihm das alles geglaubt, weil es absolut plausibel klang. Er erzählte mir auch, wie das war mit Geschäftemachern aus dem Westen, rechtsfreiem Raum unmittelbar nach der Wende, heilloser Überforderung und rechten Gruppierungen, die teilweise gezielt auf Suche nach haltlosen Jugendlichen gegangen sind - und ich habe einige Zeit später aus Dokus und Büchern gelesen, dass es echt exakt so gewesen ist, wie der alte Mann mir es erklärt hatte.

Kann mich noch sehr gut erinnern. Ich sagte ihm, dass ich zwar katholisch bin kein großes Interesse an den Zeugen Jehovas habe jedoch dafür immer Interesse an guten Unterhaltungen, und die führten wir dann. Er war gar nicht böse, dass ich nicht über den Glauben reden wollte. Wir sprachen über Kultur, deutsche Geschichte, Soziales... das war ein sehr emotionales Gespräch, das mir auch im Nachhinein wirklich zu Herzen ging! Meine Mitschüler haben mich deswegen zwar ausgelacht, aber mir war das in dem Moment egal. Und ich würde es 17 Jahre später wieder machen.

Dieser alte Mann war übrigens echt der einzige herzliche, freundliche und gesprächsbereite Mensch, der mir in dieser Stadt begegnet ist, zusammen mit einem Opa aus Memmingen in Bayern, der mich nach dem Weg zu einem Denkmal fragte und mich ansprach, weil ihm mein Dialekt auch "bayrisch" vorkam (womit er ja auch Recht hatte!). Ich hielt mich eine Woche lang dort auf und sah sehr viele Menschen dort. Aber nur zwei, die wirklich freundlich und dankbar waren. Und einer davon war dieser Rentner aus Thüringen.


Triangel74 
Fragesteller
 06.09.2022, 07:43

Ein herzergreifende Geschichte- danke, dass Du sie so umfangreich erzählt hast! Ganz liebe Grüße

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Nein, solche Zufallsbekanntschaften waren nicht intensiv.

Wenn zwei total verschiedene Lebensbereiche zusammen treffen und man offen in ein Gespräch geht, bekommt man eine ganz eigene Welt zu sehen, die man nicht so abschütteln kann, weil realistisch vorhanden! Das berührt und bringt einen zum Nachdenken.

Musik verbindet die Menschen, dazu unterschiedliche Sichtweisen auf das Leben. Das regt den Geist an. Es ist nicht nur schwarz/weiß! Das Leben hat viele Fassetten zu bieten. Es wird für uns immer wieder neue Aspekte und Betrachtungsweisen geben!

Amen.