Gehlen bestimmt den mensch organisch als Mängelwesen.Wie gelangt er dieser Auffassung?(derWeg dahin)

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Arnold Gehlen hat (zuerst in seinem Werk „Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Wet, 1940) den Menschen als Mängelwesen bezeichnet.

Als Begründung verweist er zum einen auf eher geringe Fähigkeiten aufgrund organischer Spezialisierungen. Im Vergleich zu vielen nichtmenschlichen Tieren sei der Mensch unterlegen. Es fehlen ihm in der natürlichen Ausstatung starke Angriffsmittel wie sehr leistungsfähige Klauen und Zähne, Schutzmittel wie z. B. Panzerung, besonders wirkungsvolle Fluchteigenschaften (z. B. ist er nicht außerordentlich schnell). Er ist wenig gegen Witterungseinflüsse geschützt (kein dichtes Fell, keine besonders stark isolierende Fettschicht). Seine Sinnesorgane sind auch nicht enorm scharf. Der Mensch setzt zur Behauptung seiner Existenz als Hilfsmittel Technik ein.

Zum anderen begründet er die Auffassung mit einer „Instinktreduktion“.

Arnold Gehlen hat aber nicht völlig neu einen Sachverhalt entdeckt, sondern an Darlegungen auf dem Gebiet der Anthropologie angeknüpft, die es schon seit langer Zeit gab (vgl. als frühes Beispiel Platon, Protagoras 320 c – 321 e zur Unterlegenheit des Menschen z. B. hinsichtlich Kraft und Schnelligkeit; nur wird wegen solcher Unterlegenheiten und der Bedürftigkeit das Wesen der Mensch nicht als damit bestimmt verstanden, ein Mängelwesen zu sein). Insbesondere hat Gehlen Ausführungen weiterentwickelt, die Johann Gottfried Herder veröffentlicht hat (Gehlen selbst weist auch auf diesen Bezug hin). Etwas vor ihm haben auch andere, wie z. B. Max Scheler (hat Gedanken von Herder, Kant und Schiller aufgegriffen und mit moderen naturwissenschahftlichen Perpektiven vermittelt), etwas zum Thema veröffentlicht.

Werner Brede, Mängelwesen. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 5: L – M. Basel ; Stuttgart: Schwabe, 1980, Spalte 712 – 713 gibt an:

Der Begriff Mängelwesen beruht auf einem Vergleich zwischen Mensch und Tier und bezieht sich auf die dem Menschen eigentümliche Verschränkung von biologischer Benachteiligung und geistiger Fähigkeit

Es geht um ein bereits in der Antike entdecktes Wesensmerkmal des Menschen. In der Formel von der natura noverca (Stiefmutter Natur) ist es zum Topos geworden.

Eine neue Interpretation kam von Johann Gottfried Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772), der es allerdings Mängel und Lücken als Charakterisierung nicht für ausreichend hielt. Der Mensch stehe Tieren an Stärke und Sicherheit der Instinkte weit nach, aber darin liege ein Keim zum Ersatz, der Mangel an natürlicher Kunstfertigkeit werde wettgemacht durch Vernunft, der Mangel an Instinkt durch Freiheit.

Arnold Gehlen hat den Kompensationsgedanken aufgegriffen und als erster ausdrücklich den Begriff „Mängelwesen“ verwendet. Er sucht die Kompensation nicht in der Vernunft und Selbstentwicklung des Menschen, sondern in der Notwendigkeit seiner Formung und Disziplinierung.

Arnold Gehlen ist der Meinung, dass der Mensch in vieler Hinsicht gegenüber den hochentwickelten Tieren mangelhaft ausgestattet ist. So etwa hat er kein Fell, dass ihn gegen die tiefen Temperaturen schützt. Er hat ferner kein wehrhaftes Gebiss, um große Beutetiere erlegen zu können. Er kann nicht wirklich schnell laufen, um z.B. ein Beutetier einholen zu können oder sich vor einem Fressfeind in Sicherheit bringen zu können. Auch die Kraft seiner Hände ist gering verglichen mit den Pranken einer Raubkatze. Auch die Kraft seiner Arme ist gering verglichen mit der der Großaffen, die mühelos Bäume erklimmen. Auch im Wasser macht er keine gute Figur, wenn man ihn mit Delphinen, Seehunden, Seelöwen und anderen wasserlebenden Säugern vergleicht. Auch sein Schutz gegen starke Sonneneinstrahlung ist mäßig, er muss rasch in schattige Plätze ausweichen. ---Diese Fülle von Unzulänglichkeiten hat Gehlen veranlasst, den Menschen als ein "Mängelwesen" zu bezeichnen, das nur mit Hilfe von künstlichen Systemen, von Hilfskonstuktionen, von Kleidung, Häusern, Straßen, Wagen, Reittieren und vor allem auch von Tätigkeiten wie Kochen, Backen, Braten, Konservieren usw. sein Überleben sichern kann.

Das mit dem 'Mängelwesen' stammt im Ansatz schon vom alten Aristoteles, der in seiner Nikomachischen Ethik zur 'eudaimonia' der Lebewesen ausführt, dass jedem entsprechend seiner Daseinsaufgabe (seinem speziellen Können) eine spezielle 'Lust' zukommt, das Spezielle des Menschen jedoch die Vernunft sei. Darum ist der Mensch ein 'lernendes' Wesen, da ihm - außer 'denken' - kein spezielles Lebensbewältigungsverhalten angeboren ist.