Den Unterschied zwischen Sprachwandel und -verfall bitte. Bzw. wie werden diese definiert?

2 Antworten

Zum Sprachwandel und Sprachverfall gehört auch, dass bestimmte grammatikalische und lexikalische Formen zunächst aus der gesprochnen und schließlich auch in der Schriftsprache verschwinden.

Es ist heute schon normal, bei vorhandener Zeitangabe das Futur I durch Präsens zu ersetzen (statt "ich werde im Sommer an die Ostsee fahren" nur noch "ich fahre im Sommer an die Ostsee"). Auch die Imperfektform wird häufig durch das Perfekt ersetzt: Aus "Gestern erhielt ich einen Brief" wird "gestern habe ich einen Brief bekommen".

Mir ist dieser Imperfekt-Perfektwandel zuerst bei schludrig synchronisierten angloamerikanischen Serien aufgefallen, z. B. Columbo. Hier wurde das im Englischen übliche Imperfekt immer als solches eingedeutscht. Auch bei den Dialogen im "Kommissar" von H. Reinecker hieß es dauernd "er/sie sagte", wo man heute "hat gesagt" verwenden würde.

Sprachverfall ist z. B. die Verarmung des Wortschatzes. Was früher "Aufgabe, Vorhaben, Ziel" hieß, wird heute in den Medien täglich mehrmals "Herausforderung" genannt.

Auch die häufige Verwendung von Floskeln zeigt, dass sich viele Menschen nicht mehr die Mühe machen, abwechslungsreich zu formulieren, sondern stattdessen immer die gleichen abgegriffenen Wendungen gebrauchen ("Spaziergänger machten einen grausigen Fund", "20 Fahrzeuge waren ineinander gerast", "die SPD leckt ihre Wunden" usw.).

Emojis sind zwar bei Zeitknappheit nützlich, tragen aber auch zur Sprachverarmung und damit zum Sprachverfall bei, denn wer dauernd Emojis verwendet, verlernt, seinen Gefühlen sprachlichen Ausdruck zu geben.

Zum Sprachverfall gehört auch die falsche, aber immer mehr um sich greifende Wortstellung nach "weil" und "obwohl" ("weil, das ließ sich nicht machen", "obwohl, ich habe mit ihm gesprochen"), "größer wie" statt "größer als" und das Denglisch ("meine Family").

Auch Formulierungen wie "mein Bruder sein Auto ist kaputt" oder "ich tu gerade abwaschen" sind, wenn sie aus der Umgangs- in die Standardsprache übergehen, Zeichen für Sprachverfall.

Ähnliches gilt für die Aufnahme vulgärer Ausdrücke in die Standardsprache. Es zuckt kaum noch jemand zusammen, wenn auf Bildschirm und Bühne Wörter wie "Sch..." oder "f...en" verwendet werden.

Sprachwandel findet immer statt. Zum Beispiel verwenden wir heutzutage viel mehr englische Wörter als noch vor 100 Jahren. Das ist also ein Wandel, unabhängig davon, wie man das nun bewertet.

Sprachverfall ist ein wertender Begriff. Damit sage ich im Prinzip "es gibt einen Sprachwandel, und den finde ich schlecht." - d.h. einer findet den Sprachwandel "Angliszismen" ok/akzeptabel, und der andere nicht, und letzterer sagt dazu halt "Sprachverfall".