An alle die in der DDR gelebt haben: Wie sah es in der DDR mit "Vaterlands-" bzw. "Heimatliebe" aus?

3 Antworten

Lokalpatriotismus gab es, sowas wie Vaterlandsliebe, Stolz auf das Land ... gab es eigentlich nur, um öffentlich zu zeigen, wie toll wir doch alle die DDR fanden. Das half beim beruflichen Werdegang, bei Studienplätzen ... fast immer. Ansonsten wurde uns jeglicher Nationalstolz ausgetrieben, immer schön mit dem Verweis auf die Nazis, die es ja in der DDR "nicht gab". Dabei betrieb die DDR-Führung an einigen Stellen einen Nationalismus sehr seltsamer Art. So wurden zum Beispiel in Fachzeitschriften für Informatiker selbst simpelste BASIC-Programme in deutsch geschrieben. Das BASIC eine englische Programmiersprache war ... geschenkt. Wir hatten ja Glück, dass BASIC keine russische Programmiersprache war, da hätten die Chefideologen wohl auf das Deutsch verzichtet. Ja, die Chefideologen waren die größte Produktivitätsbremse der DDR.
Bis Sigmund Jähn im All war, wurden Deutsche (also das Wort) in den staatlichen Medien gemieden. Aber Siegmund Jähn war plötzlich der erste Deutsche im All. Da ging das plötzlich, schließlich wollte man ja zeigen, wie überlegen die DDR der BRD war.

Nomex64  15.04.2024, 23:18
BASIC-Programme in deutsch

Wie soll das ausgesehen haben?

Ich habe Programme in BASIC geschrieben. Da waren alle Befehle in Englisch.

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Kwalliteht  15.04.2024, 23:24
@Nomex64

Anstatt von GOTO eben GEHEZU, um mal das primitivste Beispiel zu nennen. Es war GRAUENVOLL!

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Nomex64  16.04.2024, 00:37
@Kwalliteht

Also ich hab 1988 im Rahmen meiner Ing.-Arbeit auf einem PC1715 ein Programm geschrieben. Das mit ganz normalen engl. Befehlen wie GOTO, CLS, PRINT, .. usw. In Informatik wird die TOP-DOWN-Methode gelehrt. Auch der dort noch stehende Kleincomputer KC 85 und der später dazu kommende EC1834 hörten auf die selben Befehle. Ich kenne keinen Rechner der mit GEHEZU umgehen konnte.

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Kwalliteht  16.04.2024, 00:55
@Nomex64

Die Computer selbst nutzten natürlich GOTO und nicht GEHEZU. Es ging um die wenigen Zeitschriften. Und Kurt Hager (DER Chefideologe der SED) verband alles, was englisch war mit den bösen Amerikanern und Briten, und das musste überall getilgt werden. Das ging bei den Computern selbst nicht, denn alle Länder im RGW (auch die Sowjetunion) arbeiteten mit englischen Programmiersprachen. Aber auf dem Papier, dass in der DDR gelesen wurde, ließ Kurt Hager gerne seine Macht spielen. Wir haben es gehasst.
Der P8000 war ein Computer, der sich PC-ähnlich nutzen ließ. Im ROM war ein BASIC-Interpreter (genau genommen ein Clone von IBMs GW-BASIC), der lief natürlich in Englisch. Ich bekam irgendwann einmal einen Artikel in die Hand, wie man den zur Programmierung von EPROMs effizient nutzen konnte. Der Quelltext war grauenvolles Deutsch-BASIC über mehrere Seiten. Glücklicherweise kannte ich den Autor. Der schickte mir eine Diskette mit dem Code, wollte die Diskette aber auf jeden Fall zurück haben, die müsste er sonst als Verlust verbuchen, was sich bei in DM bezahlten Sachen nicht so gut machte.

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Nomex64  16.04.2024, 01:27
@Kwalliteht

Okay, das habe ich so nicht erlebt. Daher meine Frage.

Ja das Diskettenproblem kenne ich. War ja stolzer Besitzer eines 10er Pack von Verbatim Data Life. 😉

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darkhouse  16.04.2024, 08:35
@Kwalliteht

Sehr interessant, wusste ich auch nicht. Hatte in einer AG ab 1987 an Z9001 gesessen und später am KC85/3 und BASIC programmiert. Da kannte ich immer nur die engl. Kürzel.

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mooric  15.04.2024, 23:27

Nun ja! Es ist alles sehr "aufpeitschend" formuliert! Ich finde es sogar gut, dass einige fachliche Zusammenhänge in deutsch und somit verständlich verfasst wurden im Gegensatz zu den heutigen Gepflogenheiten. Ich sehe auch einen Widerspruch, wenn gesagt wird "DDR-Führung" und "Fachzeitschriften", denn die DDR- Führung bestand aus Politikern und die haben im allgemeinen keine Ahnung von fachlichen Dingen ( heute in der BRD noch deutlicher ausgeprägt!), hingegen werden Fachzeitschriften von Top-Fachleuten verfasst und von denen gibt es selten welche, die Politiker sein wollen.

Auch das Beispiel "Jähn" halte ich für überspitzt formuliert, denn auch Spitzensportler wurden bei internationalen Wettkämpfen als Deutsche bezeichnet, wenn auch lieber als DDR-Bürger.

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Kwalliteht  15.04.2024, 23:35
@mooric

Es ist schon ein Unterschied, ob man einen Quelltext eindeutscht oder eine Beschreibung, wie ein Programm funktioniert, aud deutsch schreibt. Bin von 1968, bekam das also in den 80ern mit. Anders als bei der Musik hatte der SED-Chefideologe Kurt Hager das Verlagswesen noch viel besser im Griff. Und die Verlage kuschten vor seiner Weisung, alles auf deutsch zu schreiben. 1988 fing ich bei einer Elektronikfirma an, ich durfte dort EPROMs auf einem P8000 programmieren. Die EPROMs selbst kamen auf der Sowjetunion und der Beipackzettel war auf russisch, englisch und französisch. Deutsch fehlte.

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mooric  16.04.2024, 00:01
@Kwalliteht

Pardon! Mit Kurt Hager habe ich leider nicht zusammengearbeitet, um mir ein Bild seiner Doktrin machen zu können. Auch die Leute in der Sowjetunion waren Menschen wie wir auch, also sehr differenziert eingestellt. Stelle dir doch vor, ein sowjetischer Verantwortlicher ( dort Instrukteur genannt) hatte persönliche Verluste von im Krieg gefallenen Familienangehörigen. Wenn dieser nun verantwortlich für internationale Texte gewesen sein sollte, kann ich mir vorstellen, dass er "Deutsch" aus emotionalen Gründen vergessen haben könnte! - - - Bei heutzutage gekauften hochwertigen Konsumgütern wie Waschmaschinen, Fernsehgeräten oder Computern steht die deutsche Beschreibung auch oft ganz hinten, obwohl der Markenname ein deutscher ist.

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Kwalliteht  16.04.2024, 00:37
@mooric

Ich hatte persönlich Kollegen aus der Sowjetunion. War weder für die noch für mich ein Problem. Manchmal sogar von Vorteil, mein Russisch war nie besonders gut und die englischen Beipackzettel waren schlechter als Google Translator das heute hinbekommen würde. Über die Weisung, Programmtexte einzudeutschen (die Computer selbst verarbeiteten natürlich nur englische Programmiersprachen) konnten die nur die Köpfe schütteln. Dass die Beipackzettel nicht auf deutsch waren, war jetzt keine Katastrophe, stand eh nur (wie auch heute bei vielen anderen Dingen) nur Zeug drauf, das niemanden interessierte. Es zeigte aber deutlich, dass die EPROMs nur als Überschussprodukt in der DDR landeten. Mein Bruder kaufte sich in Moskau einmal eine Uhr für 17 Rubel (grob über den Daumen gepeilt 50 Mark, für uns nicht gerade billig, für einen normalen Moskauer damals unerschwinglich). Nichts besonderes, das Ding sah einfach nur cool aus. Da lag ein Beipackzettel in perfektem Deutsch bei. Das Ding läuft übrigens heute noch, das sind jetzt 37 Jahre.

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mooric  16.04.2024, 10:29
@Kwalliteht

Sicher gibt es für die Antworten auf diese Fragestellung Pro- sowie Kontrabeispiele zu nennen. Ich verbrachte drei Urlaube in Republiken der damaligen Sowjetunion und bemerkte zahlreiche Denkmale, die den heroischen Befreiungskrieg gegen die Nazi-Diktatur zum Gedenken brachten. Man muss sich die Mühe machen, sich in die Lage der betroffenen Familien hinein zu versetzen, um alles zu verstehen. Insofern sollte man den Begriff Vaterland- und Heimatliebe personenbezogen auf die jeweiligen Schicksale der Menschen beziehen und weniger auf die politischen Systeme. Daher halte ich die Bedeutung der Fragestellung nicht mehr aktuell, weil es eben Vergangenheit einhaltet. Wichtiger wäre die Frage, wie in der Gegenwart dieses Thema eingeordnet wird. Und was die Zukunft betrifft, mache ich mir Sorgen, dass der Vaterlands- und Heimatbegriff schwindet, weil die Menschheit immer weniger ortsgebunden bleibt, sondern internationale Erfolgswege geht. Und wer soll dann die heimatliche Kultur noch pflegen, die historischen Ortskerne, Burgen, Schlösser und Museen erhalten?

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Von Experte Udavu bestätigt

Dazu kann ich dir eine kleine Geschichte erzählen. Irgendwann am Anfang der Achtziger Jahre war ich bei der NVA, also der Armee der DDR.

Dort bekamen wir jede Woche eine "Rotlichtbestrahlung", wie wir den Politunterricht nannten. Diese Schulung hätte uns eigentlich zu besonderen Patrioten machen sollen, aber dem war nicht so. Niemand hat für die DDR oder den Sozialismus gebrannt.

Denn am gleichen Tag gab es im DDR Fernsehen ein Länderspiel zwischen der Bundesdeutschen Mannschaft und Polen. Sämtliche Offiziere waren auf der Seite der Polen, weil die natürlich für das sozialistische Lager angetreten sind. Die sind regelrecht von ihren Plätzen im Speisesaal aufgesprungen, wenn die Polen eine Chance auf ein Tor hatten.

Kein einziger Soldat hat mit den Polen mit gefiebert, wie es eigentlich unsere Pflicht wäre. Dann fiel ein Tor für die Deutsche Mannschaft.

Ich kann den Jubel und das frenetische Gebrüll gar nicht richtig beschreiben. Der "Klassenfeind" hatte ein Tor geschossen und ausnahmslos ALLE Soldaten sind von ihren Plätzen aufgesprungen und haben sich gefreut, als ob sie Weltmeister geworden wären.

Nur die Offiziere waren sitzen geblieben und schauten mit großen Augen auf die Soldaten, denen sie eben noch im Politunterricht gesagt hatten, wer der Klassenfeind ist und wo gefälligst ihre Loyalität hingehört. Die waren absolut geschockt über dieses vielstimmige und doch einstimmige Freudengeschrei. Denn in diesem Moment war klar, dass alle Soldaten in diesem Speisesaal sich ausnahmslos als Deutsche gesehen haben.

Das waren keine DDR Patrioten, das waren im Herzen alle durch die Bank einfach nur Deutsche.

mooric  16.04.2024, 00:06

Schön so, diesen Kommentar zu lesen, kann mich da hineinversetzen, ohne dass ich Fußballfan bin!

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Das Wort Heimatliebe/Vaterlandliebe war des Öfteren zu hören, klar, dass damit die Liebe zum SOZIALISTISCHEN Land gemeint war. Johannes R. Becher war als Dichter und Schriftsteller da sehr aktiv ( Gedicht: Deutsche Heimat sei gepriesen ..) und den Text zur Nationalhymne der DDR (... Deutschland einig Vaterland ...). Die Wortwahl des Dichters entsprach damit auch den politischen Zielen der Bundesrepublik gemäß dem Grundgesetz nach der "Einigkeit"! Unklar war aber, welche Gesellschaftsordnung dieses Vaterland haben sollte. Das ist jedoch alles Geschichte und wurde unterdessen geklärt. Wichtig sei aber hervorzuheben, dass der in der DDR gebrauchte Heimatbegriff nicht mit den Zielen von Revanchismus in Verbindung gebracht wurde, also keinerlei Anspruch auf die Zurückholung der im zweiten Weltkrieg verlorenen Ostgebiete Ostpreußen oder Schlesiens ( heute Polen) erhoben wurde ( im Gegensatz zu den "Heimat"-Verbänden, die unterdessen in Bayern immer noch Tränen für die verlorene Heimat vergießen ). Der Begriff "Verteidigung der sozialistischen Heimat" (gemeint war das Territorium der DDR ) diente auch als Zielgröße der "Nationalen Volksarmee" sowie der "Kampfgruppen der Arbeiterklasse". Dennoch war in der Bevölkerung unter Heimatliebe die echt menschliche emotionale Bindung an das Lebensumfeld gemeint, das es gilt, zu erhalten und durch freiwillige Arbeitseinsätze stets zum Schöneren zu gestalten und zu erhalten.

Kwalliteht  16.04.2024, 01:26
Johannes R. Becher war als Dichter und Schriftsteller da sehr aktiv ( Gedicht: Deutsche Heimat sei gepriesen ..) und den Text zur Nationalhymne der DDR (... Deutschland einig Vaterland ...). Die Wortwahl des Dichters entsprach damit auch den politischen Zielen der Bundesrepublik gemäß dem Grundgesetz nach der "Einigkeit"! Unklar war aber, welche Gesellschaftsordnung dieses Vaterland haben sollte.

Der war sogar Minister in der DDR. Witzigerweise kann man die Ostdeutsche Nationalhymne mit der Melodie der Westdeutschen Nationalhymne singen und umgekehrt. Ich glaube nicht, dass es ein Zufall ist.

Johannes R. Becher an der Ostsee. Eine nicht mehr ganz junge Frau liegt nackt am Strand mit dem ND (Tageszeitung der SED) über dem Gesicht. "Schämen Sie sich nicht, Sie alte Sau?" Die Frau nimmt die Zeitung vom Gesicht. Es war Anna Seghers.
Ein paar Monate später bei einem Kongress des Schrifstellerverbands, Johannes R. Becher zu Anna Seghers: "Liebe Anna ..." "Für Dich immer noch 'Sie alte Sau'".

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mooric  16.04.2024, 10:45
@Kwalliteht

Schön, diese Episode! Auch ich habe als Jugendlicher bemerkt, dass die ost- und westdeutsche Nationalhymne text- und notenmäßig austauschbar sind, habe sie auch nach dem dritten Bier im Familienkreise gesungen. Dennoch waren doch die Textstellen "Deutschland einig Vaterland" sowie die des Herrn Hoffman von Fallersleben "Deutschland über alles in der Welt" schon kurz nach ihrer Entstehung politisch peinlich. Leider besitzt Deutschland nicht den Mumm, den Text ganz zu beseitigen. Würde diese Worte heutzutage Herr Björn Höcke gebrauchen, stünde er erneut auf der Anklagebank!

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