Themenspecial 11. November 2020
Missbrauchsprävention
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Als einzige Person Kenntnis von sexuellem Missbrauch im engeren Familienkreis - wie soll man sich verhalten?

2 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hallo...

...und vielen Dank für Ihre Frage sowie Ihre Offenheit und das entgegengebrachte Vertrauen. Wir können gut verstehen, wie schwierig die Situation auch für Sie sein muss. Von einem Missbrauch und dessen Folgen zu wissen und - scheinbar - nichts tun zu können, ist sehr belastend. Wie schön, dass Sie Ihrem Angehörigen zur Seite stehen und das auch weiterhin tun wollen!

Aus unserer Beratungsarbeit wissen wir, wie schwer es vielen Betroffenen fällt, über die erlebte sexuelle Gewalt zu sprechen und sich jemandem anzuvertrauen. Die Person, von der Sie schreiben, ist sich sicher "das niemand ihr glauben wird". Das hören wir sehr häufig von betroffenen Menschen. Dahinter steht oftmals eine Strategie der Täter und Täterinnen. Sie sagen den Kindern, dass niemand ihnen glauben wird. Diese "Drohung" in einer solch extremen Gewaltsituation kann sich bis ins hohe Erwachsenenalter halten. Tragischerweise steht dahinter aber auch ein Stückchen Realität. Denn tatsächlich wird vielen Betroffenen nicht geglaubt. Die Drohung der Täter und Täterinnen wird somit wahr.

Sie glauben jedenfalls an das, was passiert ist, und das ist viel mehr wert als Sie vermutlich ahnen. Es ist für Ihren Verwandten sicherlich sehr hilfreich, in Ihnen eine Person gefunden zu haben, der er vertrauen und mit der er über so traumatisierende Erlebnisse wie sexualisierte Gewalt sprechen kann. Aus Ihrer Frage lesen wir gleichzeitig die große Verantwortung heraus, die Sie dabei spüren.

Traumatische Kindheitserlebnisse haben für die Betroffenen oft lebenslange Folgen. Auch der erwachsene  Mann braucht jemanden, dem er davon erzählen kann - trotz aller Scham, die viele Betroffene empfinden. Und das ist auch genau das, was Sie für ihn tun können: zuhören, da sein und sein Leid anerkennen!

Wenn Sie darüber hinaus etwas für ihn tun möchten, lassen Sie in ihren Gesprächen einfließen, dass es viele Hilfsangebote für Menschen mit seiner Erfahrung gibt - auch noch für erwachsene Betroffene. Der „Weiße Ring“ leistet gute Arbeit in der Unterstützung von Gewaltopfern, aber wichtig wäre (aus der Ferne vermutet) auch eine therapeutische Aufarbeitung. Das ist umso wichtiger, da Sie von seinen Problemen mit Sexualität und Partnerschaft berichten. 

Spezialisierte Fachberatungsstellen kennen sich sehr gut aus im Themengebiet und verfügen über viel Erfahrung in der Beratung und Begleitung von Menschen, die vn sexuellem Missbrauch betroffen sind. Die Berater*innen weren Ihrem Verwandten glauben - ohne Wenn und Aber. Er muss dort nicht erzählen, was er nicht erzählen will. Es geht vor allem darum, in Ruhe von der jetzigen Situation (vor dem Hintergund der Erfahrung) zu berichten und gemeinsam mit professioneller Unterstützung das weitere Vorgehen zu überlegen. Zudem kennen die meisten Fachberatungsstellen auch geeignete Therapeut*innen in der Region, die sich ebenfalls auf das Thema spezialisiert haben.

Unter www.hilfeportal-missbrauch.de finden Sie Adressen von Fachberatungsstellen und Therapeuten in Ihrer Nähe. Vielleicht kann auch die Website der Berliner Fachberatungsstelle "Tauwetter" hilfreich sein. Tauwetter unterstützt Männer, die in ihrer Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt erleiden mussten. Auf der Website von Tauwetter finden Sie viele hilfreiche Informationen, sowie Erfahrungsberichte und vor allem auch eine bundesweite Liste mit Anlaufstellen für Männer: https://www.tauwetter.de/de/fuer-das-umfeld/adressen.html

Wir wünschen alles Gute und viel Kraft weiterhin!

Das N.I.N.A.-Team

P.S. Wenn Ihr Verwandter diesen Schritt ncht gehen möchte, dann empfehlen wir Ihnen, diesen Schritt zu gehen. Nahezu alle Beratungsstellen unterstützen, entlasten und stabilisieren auch Angehörige, die als Helfende den Betroffenen zur Seite stehen.

Es ist schwierig, etwas zu raten. Das Problem ist, dass du bereits jetzt eine unglaublich große Verantwortung trägst... Du willst bestimmt euer Vertrauensverhältnis nicht kaputt machen...hast z.B. Angst, etwas Falsches zu sagen oder die falschen Fragen zu stellen...😔

Und der Betroffene spürt das und reagiert in bestimmten Situationen meist abweisend. Er will dich nicht mit seinen Erinnerungen, Ängsten und Schuldfühlen belasten. Es kann auch sein, dass er dich mit der Zeit mit dem Missbrauch in Verbindung bringen wird, weil du die Person bist, mit der er zum ersten Mal darüber gesprochen hat.

Eigentlich könnt ihr euch beide nur in ganz, ganz kleinen Schritten an dieses schwierige Thema rantasten... Es braucht unglaublich viel Vertrauen, Mut und Geduld. Nutze die Gelegenheit, wenn er von alleine darüber sprechen will, um vorsichtige Fragen zu stellen. Das zeigt ihm, dass du ihm glaubst und bereit bist, näher auf das Thema einzugehen. Bedränge ihn nicht, gib ihm aber das Gefühl, dass er mehr erzählen darf.

Alles Gute euch beiden!