Dann ergänze ich mal zu den bisherigen vernünftigen Kommentaren:

99% der Leute, die sich hierzulande als Satanisten identifizieren, dürften de facto Atheisten sein, die die "Satanische Bibel" von LaVey gelesen haben und eventuell sogar Mitglieder der "Church of Satan" sind, was jeder sein kann, der ein paar hundert Ocken zur Verfügung hat und eine rote Mitgliedskarte haben möchte.
Die Philosophie LaVeys ist (um es mal etwas zu radebrechen) eine Mischung aus sexuellem Liberalismus (der 1969, als er die "Satanische Bibel" veröffentlicht hat, noch wesentlich kontroverser war als heute), einer Ayn Rand'schen Lebensauffassung mit dahingehenden Ableitung zu dem späten Nietzsche. LaVey bezog auch Textstellen aus dem unter Pseudonym geschriebenen sozialdarwinistischen Buch "Might is Right" eines Ragnar Redbeards (wie gesagt, Pseudonym), die er in dem 1. Buch der Satanischen Bibel verarbeitet hat.
Diese philosophischen Ansätze sind gemischt mit einer sehr simplen Ritualistik, die in ihren Grundzügen den Invokationen der Wicca gleicht und sicherlich im gegebenem Rahmen etwas effektiv sein kann. (Teile seiner Invokation an Satan, die mit "In nomine satanas luciferi excelsi" beginnt, sind sogar für die Evocation von Dämonen sinnvoll, absurd wird es dann aber, wenn er "Shemhamforash!" skandiert, eine Variation des göttlichen Namens - also man merkt dem magischen System sehr deutlich an, dass es sich an Atheisten richtet).

LaVey brachte - mit kräftiger Unterstützung von Aquino, der später auch den Temple of Set gründete, nachdem LaVey eindeutig atheistisch wurde und die Ränge innerhalb der Church of Satan verkäuflich machte, um damit Geld zu akquirieren - auch ein Buch über zeremonielle Magie heraus, "The Satanic Rituals". Das ist ganz interessant zu lesen und sicherlich - zumindest für jenen atheistischen Ansatz - als "Gruppenbegegnung" ganz vielversprechend.

Es kursieren immer mal wieder absurdeste Gerüchte über Satanisten, was in den USA Ende der '80er/Anfang der '90er schwerwiegende Folgen hatte. Evangelikale Christen zerrten sich durch Talkshows, wo sie nachweisbare Lügen verbreiteten. Ein unseriöser Psychiater hat einer Teenagerin unter Hypnose Erinnerungen an einen Mißbrauch während eines satanischen Rituals eingeimpft (später, als sie gerade erwachsen geworden war, hat er sie sogar geheiratet) und ein Buch namens "Michelle remembers" geschrieben, das durch die Decke ging. Als Folge daraus wurden Hunderten von Menschen das Sorgerecht entzogen und tatsächliche Satanisten, die offen damit umgingen, erhielten Morddrohungen, die sogar in Hetzjagden durch Städte gipfelten.

Das führte zu einer Untersuchung durch das FBI, das natürlich feststellte, dass an all den Tausenden Anschuldigungen nichts dran war. Ich glaube, dass man Aquino selbst sogar einen Mißbrauch unterstellt hat - während er zur Tatzeit Tausende Kilometer entfernt auf einer militärischen Auslandsbasis aktiv war. Kurzum: Die Anschuldigungen waren genauso absurd wie gelogen.

In den 90er und 2000er Jahren gab es hier dann auch diverse "Sektenberater" und Journalisten, die sich mit der Angst vor Satanisten ein Zubrot verdienten. "Kronzeugen" waren meist Frauen mittleren Alters mit tatsächlichen Mißbrauchserfahrungen, darunter auch welche mit multipler Persönlichkeitsstörung, die Ritualabläufe schilderten die teils anatomisch unmöglich (in rohe Herzen beißen, etc.) andernteils rituell völlig schwachsinnig gewesen sind. In einer dieser Reportagen wurde behauptet, es seien Babys an einem Ort in einem Moor versenkt worden, wo es weit und breit keine Moore gab. Also die meisten dieser Anschuldigungen sind relativ schwachsinnig.

Wenn ich allerdings zu den 1% komme, dann muss man eingestehen, dass es innerhalb des "theistischen Satanismus'" sehr viele verschiedene Strömungen gibt. Die meisten - nach juristischen Maßstäben - harmlos, aber innerhalb des LHP ("Left Hand Path") gibt es durchaus ernstzunehmende Gruppen, die zumindest Texte über die Möglichkeit von Menschenopfern veröffentlichen und eine SEHR biblische Definition von Satan haben. Während nahezu alle Satanisten in "Satan" mehr ein Symbol für Luzifer, den Lichtbringer, sehen - namentlich: Hinterfragung von "gottgegebenen" Regeln, Eliminierung der eigenen Schwäche (das, was man - allgemeiner - innerhalb der Magie als "Alchemie" bezeichnet), und die Freiheit als Ausgangspunkt allen Handelns, sehen diese Gruppierungen des LHP Satan als den Inbegriff des Bösen und erleben inmitten desselben ihre Gnosis.

Ich selbst habe persönlich noch keine überzeugende Schilderung gesehen, die bestätigen würde, dass sich daraus resultierende illegale Aktivitäten in Ritualen niederschlagen würden. Alle bisherigen Berichte über illegale Aktivitäten in Ritualen, zumindest die mir bekannten, sind nonsense. Allerdings gibt es diese Gruppierungen, einige davon sind namentlich bekannt, haben sogar eigene Wikipediaeinträge.

Persönlich sind letztere Strömungen und der im LaVey'schen Satanismus verankerte Sozialdarwinismus so ziemlich die Kernproblematiken meines Bildes des Satanismus'. Allerdings gibt es in den USA eine sehr junge Organisation namens "The Satanic Temple", die a priori atheistisch ist und die sozialdarwinistischen Ansätze der Church of Satan kategorisch ablehnt.

https://en.wikipedia.org/wiki/The_Satanic_Temple

Die finde ich, ganz persönlich natürlich, unter allen Strömungen am sympathischsten.

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