Der Konflikt zwischen der islamischen und der westlichen Kultur – das Erklärungsmuster Samuel P. Huntingtons
Vor dem Hintergrund der Terroranschläge in den USA auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 erhält Samuel P. Huntingtons Kampf der Kulturen von 1993 wieder verstärkte Aktualität. Huntington sieht das 21. Jahrhundert nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes als ein nicht mehr von ideologischen und wirtschaftlichen Auseinandersetzungen geprägtes Zeitalter, sondern betrachtet kulturelle Konflikte als neuen Motor für Konfrontationen. Er unterteilt die heutige Welt in fünf Kulturkreise, die sich eventuell auf sieben erweitern lassen: sinischer, japanischer, hinduistischer, islamischer und westlicher Kulturkreis, unter Umständen auch noch lateinamerikanischer und afrikanischer.
Die schwierige Beziehung von islamischem und westlichem Kulturkreis führt Huntington auf die lange Konflikttradition von Islam und Christentum zurück. Seit dem frühen siebten Jahrhundert sei diese Beziehung von Misstrauen, Konkurrenz und gegenseitigen Eroberungsversuchen geprägt. Die Ursachen für dieses Konfliktmuster entspringen, laut Huntington, “der Natur dieser beiden Religionen und der auf ihnen basierenden Kulturen”.1
Gründe für diesen langjährigen Konflikt seien einerseits in der Unterschiedlichkeit von Islam und Christentum zu finden, die in der Trennung von Staat und Religion der westlichen Kultur, und der Einheit von Religion und Staat im islamischen Denken liegen. Andererseits führten aber auch die Ähnlichkeiten der beiden Religionen zu Problemen. Da beide Religionen monotheistisch sind, ein ausgeprägtes religiöses Sendungsbewusstsein haben und auf Ausbreitung ihres Territoriums ausgerichtet sind, entstehen unweigerlich Konflikte.
Die Zuspitzung des islamisch-westlichen Konflikts im ausgehenden 20. Jahrhundert führt Huntington auf folgende Faktoren zurück:
Muslimisches Bevölkerungswachstum führte zu Massen von arbeitslosen Jugendlichen, zu Auswanderung und religiöser Radikalisierung
Entwicklung eines neuen islamischen Selbstbewusstsein
Erbitterung der islamischen Bevölkerung über westliche Einmischung, Arroganz und Überlegenheitsdenken
Der Zusammenbruch des Kommunismus ließ den Islam und den Westen ohne gemeinsamen Feind zurück, dadurch gegenseitige Feindbildverstärkung
Mischung der Kulturen durch Immigration und Mobilität zeigte Gegensätze auf und schuf verstärkt Identitätsbewusstsein
Huntington stellt eine verstärkt westfeindliche Haltung des Islam in den achtziger und neunziger Jahren fest. Der als gottlos, korrupt und materialistisch geltende Westen wurde als intensive Bedrohung empfunden, gegen die der Islam sich wehren muss. Ein neues Islamisches Selbstbewusstsein entstand, und auch vormals pro-westlich eingestellte Regierungen änderten ihre Haltung.
Die entsprechende Tendenz findet Huntington auch auf westlicher Seite. Die westliche Bevölkerung fühlt sich ihrerseits vom Islam bedroht, der sinnbildlich für Kernwaffen, Terrorismus, islamischen Extremismus und Einwanderung steht. Auf militärischer Seite rüstet die NATO sich heutzutage gegen Bedrohungen aus dem Süden, da die militärische Bedrohung aus dem Osten an Bedeutung verloren hat.
Islam und Westen empfinden sich also gegenseitig als Bedrohung und haben ein extrem negatives Bild voneinander. Huntington spricht von einem Quasi-Krieg, der nach der iranischen Revolution 1979 zwischen Islam und Westen ausbrach:
„Es ist ein Quasi-Krieg aus zwei Gründen. Erstens hat nicht der gesamte Islam gegen den gesamten Westen gekämpft. [...] Zweitens ist es ein Quasi-Krieg, weil er, abgesehen vom Golfkrieg 1990/91, mit begrenzten Mitteln ausgetragen wird: Terrorismus auf der einen Seite und Luftwaffeneinsätze, verdeckte Aktionen und Wirtschaftssanktionen auf der anderen. Drittens ist es ein Quasi-Krieg, weil die Gewalttätigkeit zwar andauert, aber nicht kontinuierlich ist.“ 2
Dieser Konflikt werde auf beiden Seiten Krieg genannt, der militärisch im Wesentlichen ein Krieg zwischen Terrorismus und Luftwaffe sei, und in dem auf beiden Seiten Komplotte zum Sturz und Mord prominenter Personen oder ganzer Regime geschmiedet würden. Die USA haben sieben Länder als terroristische Staaten deklariert und damit zu Feinden erklärt: Iran, Irak, Syrien, Libyen, Sudan, Kuba und Nordkorea.
Huntingtons Schlussfolgerung ist:
„Das tiefere Problem für den Westen ist nicht der islamische Fundamentalismus. Das tiefere Problem ist der Islam, eine andere Kultur, deren Menschen von der Überlegenheit ihrer Kultur überzeugt und von der Unterlegenheit ihrer Macht besessen sind. Das Problem für den Islam sind nicht die CIA oder das US-amerikanische Verteidigungsministerium. Das Problem ist der Westen, ein anderer Kulturkreis, dessen Menschen von der Universalität ihrer Kultur überzeugt sind und glauben, dass ihre überlegene, wenngleich schwindende Macht ihnen die Verpflichtung auferlegt, diese Kultur über die ganze Erde zu verbreiten. Das sind die wesentlichen Ingredienz