Hallo,

auch, wenn deine Frage schon drei Jahre her ist, moechte ich (zufaelligerweise auch aus Muenchen) von meinem gerade begonnenen Vollstudium in Norwegen berichten.

Vor vier Jahren (in der 9. Klasse) hatte ich Lust, selbst eine neue Sprache zu lernen und habe mich spasseshalber fuer Schwedisch entschieden. Im Lauf der Zeit bin ich immer mehr Fan der skandinavischen Laender geworden und habe vor zwei Jahren noch angefangen, Norwegisch zu lernen. Vor eineinhalb Jahren habe ich Abitur gemacht und bin nach dem Abitur auf eine Langstreckenwanderung vom Nordkap aus entlang des skandinavischen Gebirges Richtung Sueden aufgebrochen. Ich habe es zwar nur 6 Wochen lang bis ungefaehr auf die Hoehe von Tromsø geschafft, aber dennoch hat mich Norwegen sehr fasziniert und ich konnte auch meine Sprachkenntnisse vertiefen.

In der darauffolgenden Zeit habe ich mir etwas Geld anverdient und habe dann entschieden, an der Uit in Tromsø "romfysikk", also im Prinzip Physik als Bachelor mit integriertem Master in Richtung Raumtechnologie, Erdobservation zu studieren.

Nun muss ich noch einige Kommentare von trumm richtigstellen:

  • Englischkenntnisse reichen aus, wenn das Fach Englisch auf dem Abiturzeugnis verzeichnet ist
  • Als EU-Auslaender entfaellt die Aufenthaltsgenehmigung, man muss sich nur einmal registrieren lassen und darf dann fuer immer bleiben. Ebenso hat das keine Auswirkungen auf den Studienplatz.
  • Man muss lediglich einen Zettel unterschreiben, dass man sich zu finanzieren weiss
  • Wenn man ca. 12 Stunden pro Woche arbeitet, kann man studelån (bafoeg) beantragen. Wenn alles gut laeuft, muss man nur 60% davon zurueckzahlen. Wenn ich jetzt meine Einkuenfte zusammenzaehle (Arbeit, die sich wirklich lohnt + kleine Zahlung von den Eltern + 40 % des studielån, die man behalten darf), dann kann man davon durchaus gut leben, und hat noch die 60% auf der hohen Kante (die ich unangetastet lassen wuerde, um finanziell frei zu sein).

Warum ich ein Studium in Norwegen dem in Deutschland vorziehe (nach meinen Erfahrungen als Erstsemestler):

  • Kleinere Gruppen, kein Gedraenge im Hoersaal
  • Alles ist sehr digital und praktisch (Deutschland ist in meinen Augen eine haptische Gesellschaft, zu sehr an dem, was man anfassen kann, verhaftet)
  • Keine Anwesenheitspflicht (Skandinavien setzt auf das Prinzip der Eigenverantwortung, viel staerker als Deutschland, wo alles von oben herab kontrolliert wird. Ausserdem kann man den Nebenjob besser mit dem Studienalltag verbinden)
  • Es gibt keine ECTS-credits. Dieses Semester schreibe ich nur drei Klausuren, allerdings muss man auch wirklich waehrend des Semesters kleine Hausarbeiten abliefern, um zu den Klausuren zugelassen zu werden. Dabei ist die Huerde manchmal recht hoch, das heisst, dass man, wenn man eine Aufgabe nicht verstanden hat, sie auch wirklich noch mal machen muss, bis man sie ordentlich kann (Man kann je zweimal abliefern)
  • Sehr kurze Wege (ausser vielleicht in Oslo und Bergen)

Warum das Leben in Norwegen bereits jetzt meine Erwartungen uebertroffen hat:

  • Es gibt einen sehr starken Gemeinschaftssinn. Man kennt sich und ist untereinander gut vernetzt, auch weil die Strukturen kleiner sind als in Deutschland und alles lockerer ist
  • Es gibt viele coole Traditionen (z.B. die lysløypa zu Beginn des Semesters, eine Art Bar-Schnitzeljagd durch das Zentrum, wo man bei jeder Bar stoppen muss und ein Mitglied der Gruppe ein Getraenk zu sich nimmt. Die Gruppenmitglieder sind mit einer Schnur verbunden, sodass es lustig wird.)
  • In Tromsø ist immer was los und es gibt die groesste Dichte an Bars pro Einwohner in Norwegen. 20% der Einwohner sind Studenten.
  • Es werden viele Weihnachtsfeiern mit leckeren traditionellen Gerichten schon im November gefeiert (auch unter Studentengruppen)
  • Die Uni liegt zwischen dem Fjord und einer Berglandschaft, super fuer mich als Outdoor-Verrueckten, ich kann ueber einen kleinen Berggipfel nach Hause gehen
  • Wir im Studiengang sind schon jetzt im ersten Semester eine eingeschweisste Gemeinschaft, da wir nur 20 Leute in genau dieser Studienrichtung sind
  • Wenn du als Deutscher mit 19 nach Norwegen kommst und gut Norwegisch sprichst, findest du sehr schnell Anschluss und viele werden deine Sprachfaehigkeiten und deinen Mut bewundern.
  • Norwegen ist zwar teuer, aber es hat mich Sparsamkeit und Selbststaendigkeit gelehrt und auch, sich ueber kleine Dinge zu freuen. Ausserdem bekommt man in einem reichen Land auch mehr vom Staat zurueck in Form von besserer Infrastruktur an der Uni (z.B. gerade fertiggestellte topmoderne Computerraeume, 24/7 zugaenglich) und natuerlich einem hoeheren Lohn im Nebenjob

Ausserdem muss ich hinzufuegen, dass es nicht das gleiche ist, ein Auslandssemester in Norwegen zu machen und in Norwegen ein Studium anzufangen. Ich habe das Gefuehl, dass die Austauschstudenten eher weniger Anschluss an die norwegischen Studenten finden, vor allem dann, wenn sie nicht oder nur wenig Norwegisch beherrschen. Wer Norwegen wirklich kennenlernen will, sollte schon dort studieren. Ich kann wirklich nur dazu ermutigen. Ich finde es schoen, dass einige meiner Freunde ploetzlich anfangen, ihre alten Deutschkenntnisse in meiner Anwesenheit aus der Mottenkiste holen und sich tatsaechlich ihre Kenntnisse verbessern. Gerade jetzt weiss ich, dass es wichtig ist, den Freizuegigkeit der Europaeischen Union (Norwegen ist zwar nicht Mitglied, wurde aber von der EU in den europaeischen Wirtschaftsraum "genudgt") auszunutzen. Fuer mich ist ganz Europa ein potenzieller Studienort, auch fuer das ganze Studium. Manche Leute ziehen nur Studienstandorte innerhalb Deutschlands in Betracht, was ich im Zuge der Freizuegigkeit ueberhaupt nicht nachvollziehen kann.

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