Ich möchte hiermit die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gemäß der Artikel 4, Absatz 3, Satz 1 des Grundgesetzes und Artikel 12a, Absatz 2 beantragen. Die hierfür benötigte Darstellung meiner Ablehnung des bewaffneten Einsatzes im Verteidigungsfalle möchte ich Ihnen in diesem Schreiben liefern.
Die Geschichte der Menschheit lässt sich zweifellos als Abfolge kriegerischer Konflikte auffassen, was sich auch in vielen geschichtlichen Systematisierungen widerspiegelt. Dabei waren das Leid und die Verstörung, welche militärische Konflikte verursachten, an den technischen Fortschritt gebunden. Die Technisierung der Kriegsführung erreichte im 20. Jahrhundert mit den beiden Weltkriegen ihren Höhepunkt und kostete weit mehr als 70 Millionen Menschen das Leben. Doch auch der Kalte Krieg, in dessen Schatten die Bundeswehr gegründet und die Einführung der Wehrpflicht erstmals nach dem Nazi-Reich entschieden wurde, führte der Menschheit das Zerstörungspotenzial möglicher internationaler Konflikte vor Augen. In Jahr meiner Geburt 1992 war dieser Konflikt durch den Zerfall der Sowjetunion bereits 1 Jahr beendet, sodass in Europa die Hoffnung vorherrschte, dass das 21. Jahrhundert durch die Lehren des 20. Jahrhunderts ein menschlicheres Antlitz erhalten würde und kriegerische Konflikte, wenigstens mit europäischer Beteiligung der Vergangenheit angehören würden.
In meiner frühen Jugend wuchs ich in meinem sehr liebevollen Elternhaus auf, welches mich zwar einerseits die Werte des Pazifismus lehrte, doch andererseits nicht von der Berichterstattung internationaler Konflikte wie dem Einmarsch von NATO-Truppen nach Afghanistan oder in den Irak fernhielt. Wie möglicherweise für ein Kind zu erwarten, erkannte ich nicht die Gefahr solcher Konflikte nicht und war vielmehr fasziniert von der militärischen Technik und den augenscheinlich mutigen Taten dieser Männer und Frauen, welche die Welt „vor dem Terrorismus schützten“. Ich bewunderte die Soldaten für ihren Mut und ihre Stärke, welche mir wahrscheinlich nie zu Teil werden würden. Leider erkannte ich erst viel zu spät, dass es sich nicht um die Stärke einzelner, sondern um die Schwäche aller handeln muss, wenn Europa und die USA im 21. Jahrhundert geopolitische Interessen mit militärischen Mitteln erreichen wollen.
In dieser schwierigen Lage, in welcher die Welt nun zwischen kriegerischer Vergangenheit und einer hoffentlich friedlichen Zukunft schwankt, stehe nun ich als männlicher Staatsbürger mit dem Erreichen meiner Volljährigkeit vor der Aufgabe durch meine Ausbildung und meinen Dienst in der Bundeswehr ein Teil der kollektiven Sicherheit zu sein, welche mir bis zum heutigen Tag zu Teil wurde. In dieser Situation scheint die Entscheidung zum Dienst in der Bundeswehr nahezu unabwendbar, schließlich muss Deutschland vor neuen Konflikten im 21. Jahrhundert geschützt werden. Doch dies kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, welches mir als denkendes Individuum auferlegt das Beste für alle Menschen erreichen zu wollen. Mit dem Dienst an der Waffe würde ich billigend in Kauf nehmen eine friedliche Zukunft in Europa zum Preis eines „billigen“ Friedens zu wählen, welcher nur auf technische Überlegenheit und Abschreckung fußt.
Die Menschen, in deren Tradition sich die Bundesrepublik und die Bundeswehr sehen, sind beispielsweise die Demokraten des Revolutionsjahres 1848, der Weimarer Republik und die „Verschwörer“ des 20. Juli 1944. Besonders letztere gaben ihr Leben in dem Glauben, dass ein Frieden Deutschlands mit der Welt möglich wäre, ohne dass das Nazi-Reich durch Deutschlands Untergang dies hätte erzwingen müssen. Sie gaben daher ihr Leben, sodass folgende Generationen in Frieden leben könnten und nie wieder Deutschland als Aggressor auftreten würde. Die Aufstellung einer Wehrpflichtigenarmee steht für mich im klaren Widerspruch zu ihrem Werk, da diese einzig eine Abschreckung nach außen hin bewirken kann. Deutschland präsentiert sich nicht als von der Geschichte belehrte Nation, welche jede noch so endlos erscheinende Diskussion am Verhandlungstisch dem Einsatz von Soldaten vorziehen würde. Als Soldat dieser Armee ist es meine Aufgabe den Einsatz gegen äußere Feinde vorzubereiten und das Töten zu lernen. Weder die Ausbildungszeit oder die Ausbildungsinhalte, noch der Grund der Ausbildung können mich zu einem „Friedensbotschafter“ machen wie es von der Bundesregierung von ihren Soldaten in Afghanistan erhofft wird. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“, dieser erster Grundsatz unserer Verfassung ist keine leere Phrase, sondern der Grundsatz jedes Zusammenlebens in unserer Gesellschaft. Es widerstrebt mir nicht nur als Deutscher, sondern als Mensch einem anderen sein Recht auf Leben mit dem Einsatz der Waffen abzusprechen. Auch wenn ich niemals in der Situation war, darüber entscheiden zu müssen, mein eigenes Leben, dem eines anderen vorzuziehen, so bin ich der Meinung, dass dies mich nicht nur zum Leben in einer menschlichen Gemeinschaft disqualifizieren würde, sondern auch jede Gesellschaft und ihre Werte, welche ich vielleicht zu schützen versuchte, ad absurdum führen würde.
Es erscheint sicherlich vermessen einen der größten deutscher Dichter, Friedrich Schiller, zu zitieren, um die Ablehnung des Kriegsdienstes rechtfertigen zu wollen, doch erscheint mir die „Ode an die Freude“ aus Gedichte - Zweiter Theil, S. 121 – 127 aus dem Jahr 1808 eine passende Symbolisierung für jene Hoffnungen zu sein, welche ich an das 21. Jahrhundert habe: „Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elisium, Wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligthum. Deine Zauber binden wieder,Was die Mode streng getheilt, Alle Menschen werden Brüder, Wo dein sanfter Flügel weilt. In meiner sehr subjektiven Deutung jener Strophe bedeutet die Verbrüderung aller Menschen nicht nur, dass alle Menschen von Grund auf gleich sind und sich unabhängig von ihrer Herkunft oder Kultur verstehen können, sondern auch, dass wir in Frieden leben können. Es bedarf dafür sicherlich viel Mut und noch viel mehr Verhandlungsgeschick, doch glaube ich, dass es realisierbar ist, wenn diejenigen, die in Frieden leben, den ersten Schritt machen. Ich werde daher niemals, unabhängig von meiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer mich selbst mit einer Waffe gegen andere Menschen verteidigen. Mein Beitrag zu diesem Ziel einer friedlichen Weltgemeinschaft ist die emotionale Lossagung vom alten Dogma der Wehrpflicht als Garant für die Sicherheit Deutschlands, welche selbst während des Kalten Kriegs zu keinem Zeitpunkt durch diese sichergestellt wurde (siehe Spiegelaffäre, Artikel „Bedingt abwehrbereit“).
In meiner Familie sind mir mehrere Stimmen bekannt, welche die Wehrpflicht als notwendiges Übel mit einigen Vorteilen („Dort lernst du Sauberkeit!“) betrachten. Diesen möchte ich jedoch antworten, dass ich fürchtete, dass eine Gesellschaft im ständigen „Kriegszustand“ wie ihn die Wehrpflicht erzeugt, weitaus schneller kriegerische Konflikte akzeptiert. So musste ich beispielsweise eine gewissen Euphorie der deutschen Medien bei der Berichterstattung über die Operation MOSHTARAK im Februar 2010 in Helmand, Afghanistan feststellen, wie mit der Formulierung gipfelte, dass die NATO-Truppen mit der Großoffensive den „Frieden erzwingen wollen“. (ZDF-Tagesschau, 13. Februar 2010) Sobald ein Frieden aber erzwungen werden muss, ist dies kein Friedenseinsatz mehr, sondern ein Krieg, vielleicht sogar ein Angriffskrieg, in welchen Deutschland getaumelt ist. Sicherlich ist dies nicht das Ende der Integrität der deutschen Gesellschaft, doch fürchte ich, dass wir in Zukunft noch viel mehr akzeptieren werden, als nur einen Einsatz in Afghanistan. Da Frieden die Abwesenheit von Krieg ist, reicht es nicht zu hoffen, dass Frieden eines Tages möglich sein wird, wir müssen uns von unserer Furcht lossagen und die Waffen schweigen lassen. Ich möchte meinen Beitrag hierfür leisten und lehne aufgrund dessen einen Dienst mit der Waffe zur Verteidigung Deutschlands aus Gewissensgründen ab.