Der Nebel hing dicht über den Straßen, man konnte kaum bis zum Boden sehen. Bei jedem Schritt knirschte die dicke Schneeschicht unter den Schuhen; die Bäume der kleinen Stadt waren schon längst ohne Blätter. Aus den Schornsteinen der malerischen Häuser qualmte der Rauch der Kaminfeuer. Schneeflocken schwebten vom Himmel, wie Federn, nur kalt und nicht so flauschig. Von den Dächern hingen die Eiszapfen, klar wie Diamanten.Trotz der eisigen Kälte war ein Junge unterwegs, vielleicht sechzehn Jahre alt. Seine tiefschwarzen, lockigen Haare fielen auf den grauen Mantel. Eilig lief der Junge durch die Stadt, er schien ein ganz bestimmtes Ziel zu haben. Seine Augen waren fast so weiß wie Schnee, nur ein hauch Blau war darin zu sehen.
Er bog um eine Ecke und ging auf ein großes Fachwerkhaus zu, die Balken mit grünen Schnörkeln verziert und die Tür durch schöne Schnitzereien prachtvoll gemacht. Der Junge ging das kleine, abgenutzte Steintreppchen empor und legte die Hand auf die eiserne Türklinke, schon zu oft benutzt, als dass man noch jegliche Verschönerungen erkennen konnte. Er drückte nach unten und schob die schwere Tür lautlos auf, dann drängte er sich durch den fast schon dünnen Spalt. Mit einem Klicken fiel diese wieder ins Schloss.
Jetzt war er in seinem Element. Jetzt war er in der Bibliothek. Der Raum war riesig, mit einer großen Deckenmalerei. Die Dielen, schon ewig dort, quietschten bei fast jedem Schritt, den der Junge tat. Es gab sogar einen ersten Stock,der durch eine lange Wendeltreppe mit dem Erdgeschoss verbunden war, aber der Junge war noch nie dort gewesen, weil er selbst hier unten noch nicht jede Ecke nach guten Lektüren durchstöbert hatte. Jedes Mal, wenn er hier war, entdeckte er etwas Neues. In der Welt der Bücher wurde es einem nie langweilig. Die Worte erschufen neue Welten, egal wie fantastisch oder real, lustig oder ernst. Nichts musste stimmen, nichts musste perfekt sein, wie in der realen Welt. Wie der Junge die reale Welt verabscheute. Die Leute hatten keine Zeit mehr, um in andere Welten einzutauchen, sie hasteten nur noch durch die Gegend und hatten keinen Blick mehr für das Schöne. Es war wie ein Bilderbuch ohne Farben, so konnte der Junge es vergleichen. Aber was macht das für einen Sinn, ein Bilderbuch ohne Farben...? Keinen. Das war das entscheidende, fand der Junge. Die Leute nutzten ihr Leben nur noch zum Arbeiten, und das war schlimm. Keine Zeit mehr für das wirkliche Leben, keine zeit mehr zum leben. Der Junge atmete tief durch und schritt direkt unter die Malerei an der Decke. Dann ließ er seinen Blick über die endlosen Ragalreihen schweifen. In welche Abteilung sollte er heute gehen?
Schließlich entschied er sich für die Abteilung direkt gegenüber der Ausleihe, an deren einem Regal ein Schild mit der Aufschrift „Unglaubliches“ stand. Diese Bibliothek war wirklich anders, als andere. Keine normale Bibliothek hätte ein Schild mit solch einer Aufschrift anbringen lassen. Aber das war es, was den Jungen so lockte