Der moderne Antisemitismus, der sich in den neuen Nationalstaaten Europas im 19. Jhd. entwickelte, basiert auf dem traditionellen Judenhass, der schon von Paulus in einem seiner Briefe propagiert wird und im Neuen Testament nachzulesen ist. Dieser christliche Judenhass stellte in den Mittelpunkt die Tötung Jesu durch "die Juden" (ohne die allerdings die 'Befreiung der Menschheit von der Erbsünde' garnicht möglich gewesen wäre). Infolge mehrfacher Vertreibungen und der wachsenden Intoleranz, nachdem das Christentum Staatsreligion im Römischen Reich geworden war, wurde das Judentum, die einzig 'überlebende' nichtchristliche Religion in Europa, immer mehr zum 'Sündenbock' (Projektionsfläche) für alle Missstände, die auftauchten: ob Hungerkrisen, die Pest um 1350, die Verarmung der Bevölkerung durch die Kriegspolitik ihrer (christlichen) Herrscher - alles wurde den Juden in die Schuhe geschoben. Da sie von fast allen Handwerkerberufen ausgeschlossen waren, blieben ihnen fast nur der Handelssektor. Die Ergebnisse dieses christlichen Judenhasses bildeten dann die Angriffsfläche für die modernen Antisemiten seit dem 19. Jhd. Nun stand nicht mehr die Tötung Christi im Mittelpunkt, sondern die Juden als "vaterlandslos" (als Ergebnis vieler Pogrome waren sie in viele Länder verstreut), als intellektuelle Zersetzer der Tradition (als Ergebnis der ausschließlich Christen vorbehaltenen Kloster-Erziehung hatten sie eine eigene Bildungskultur entwickelt), als Geldschinder und Kapitalisten etc. Gerade in den 36 deutschen Kleinstaaten definierte man den deutschen Einheitswillen oft über das "Blut" - als "Antirasse" wurden die Juden als "Volkszersetzer" angegriffen.
Hartmut Regitz