Meine Therapeutin denkt, dass ich sie anlüge?

Hallo Community,

gleich vorab: Nein, das ist kein geschmackloser Scherz und ich erbitte hilfreichen Rat o. Ä., weil ich nicht weiß, wie ich mit der Situation umgehen soll. Und bitte verzeiht den langen Text.

Ich entstamme einem recht schwierigen Elternhaus. Meine Mutter hasst Kinder, wollte nie eigene, wurde ungewollt schwanger und behielt mich auf Drängen meiner Großeltern. Meine Großeltern kümmerten sich zwar viel um mich und nahmen meiner Mutter in den ersten Jahren einen Großteil der Erziehung ab, aber meine gesamte Kindheit und Jugendzeit diente ich meiner Mutter als Boxsack, an dem sie ihre eigene Unzufriedenheit auslassen konnte. Jedenfalls habe ich mich mMn zu einem unsicheren, unsozialen, aber eben auch sehr unselbstständigen Menschen entwickelt. Ich habe einen kleinen Bekanntenkreis, aber keine Freunde, Bezugspersonen oder Vertraute, ich hatte noch nie eine Beziehung und weiß nicht, ob ich überhaupt eine möchte, weil mich Gedanken an Zwischenmenschlichkeit und Intimität lähmen. Kontakt zu meiner Mutter habe ich unterdessen wieder und das Verhältnis ist sogar recht gut, aber oberflächlich. Lange Vorrede, kurzer Sinn: Es gab nie jemanden, mit dem ich über meine Gefühle oder mein Privatleben gesprochen habe, dementsprechend mangelhaft sind meine sozialen Kompetenzen. Gespräche am Telefon oder von Angesicht zu Angesicht kann ich entweder gar nicht führen oder muss sie vorher im Kopf „durchskripten“, was mal mehr, mal weniger gut klappt.

Vor zwölf Jahren ist mir dann etwas ziemlich Schlimmes passiert, was ich elfeinhalb Jahre hauptsächlich mit Verdrängung kompensiert habe, aber seitdem zirkele ich immer tiefer in eine Abwärtsspirale, was ich viele Jahre gar nicht richtig realisiert hatte. Besagte Jahre sind für mich kaum greifbar, als hätte mir nur jemand davon berichtet, teilweise fehlen mir Erinnerungen und einen emotionalen Bezug habe ich dazu auch nicht mehr wirklich (oder wenigstens glaube ich das, denn wenn ich an diese Zeit denke, dann weiß ich nur, dass ich mich ständig schlecht gefühlt habe). Im Sommer 2015 hatte ich dann meinen Job zugunsten meines Wunschstudiums gekündigt, wodurch sich mein Zustand leider derart rapide verschlechterte, dass ich mich zum Oktober 2017 exmatrikulieren ließ und mir Hilfe bei einem Psychologen suchte. Derzeit bin ich als arbeitsunfähig eingestuft.  

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Ich bin nun also seit circa einem halben Jahr in Therapie und hatte in dieser Zeit häufiger das Gefühl, dass meine Therapeutin irgendwie genervt von mir ist, davon dass sie mir „alles aus der Nase ziehen muss“, dass sie keine „Verbindung“ zu mir herstellen kann, dass ich ihr meine Gefühle in den Sitzungen nicht zeige etc. pp. Alles Dinge, die sie mir gegenüber offen und direkt kritisierte. Das war mir zwar unangenehm, viel dabei gedacht hatte ich mir aber nicht, weil ich ständig das Gefühl habe, dass Menschen mich seltsam ansehen oder mich seltsam behandeln. Das klingt wahrscheinlich dramatisch, aber ich habe den Eindruck, dass ich geradezu abstoßend auf meine Mitmenschen wirke, was sicherlich eine Reflexion meiner eigenen Unsicherheit und sozialen Inkompetenz ist.

Heute fragte sie mich, ob ich selbst ein Schlüsselerlebnis benennen könne, von dem ich denke, dass es mich aus der normalen Lebensbahn geworfen habe. Ich erzählte ihr von o. g. Vorfall von vor zwölf Jahren und mir fiel sofort auf, dass sie plötzlich ganz komisch und abweisend wurde. Sie fragte mich, wie meine Gefühle wären, woraufhin ich ihr erklärte, dass ich ihr das nicht sagen könne, weil ich mich noch nie damit auseinandergesetzt habe. Tja, und dann kam der Knall. Sie meinte, dass sie aus mir einfach nicht schlau würde, dass sie mir jedes Detail aus der Nase ziehen müsste und wenn sie nachbohrt, würden sich meine Aussagen widersprechen. Sie meinte, dass sie den Eindruck habe, ich würde meine Schilderungen so anpassen, dass sie irgendwie halbwegs stimmig werden, dass ihr meine ganze Art zu sprechen eher vorkommt, als würde ich eine Geschichte und keine realen Ereignisse erzählen (ich rede sehr langsam, wortkarg und überlegt, weil ich in Gesprächen nervös werde, wodurch ich mich schnell verhaspele und zu stottern anfange), und dass sie mir die Worte immer in den Mund legen müsste, die ich dann dankbar aufgreifen würde, wodurch sie „kein Vertrauen in meine Erzählungen“ haben könne. Sie bemängelte, dass ich ständig schmunzeln würde, als fände ich das alles fürchterlich amüsant. Sie sagte, dass sie es seltsam fände, dass ich den Missbrauch durch meine Mutter mit einem Schulterzucken hinnehme und mich mit ihr zum gemütlichen Kaffeetrinken treffe, als wäre das alles nie passiert.

Außerdem meinte sie bereits des Öfteren, dass ich mich, gemäß meinen Aussagen, in Situation XY untypisch verhielte, was offenbar dem Bild, welches sie sich über mich machte, widerspricht. Vor einigen Tagen gab es bspw. einen unangenehmen Zwischenfall. Auf Anraten meiner Therapeutin gehe ich regelmäßig laufen, immer nur wenn es noch oder bereits dunkel ist und vor einigen Tagen wurde ich auf dem Nachhauseweg von einem Mann aufgehalten, der mich in einer mir unverständlichen Sprache anredete. Ich teilte ihm mit, dass ich ihn nicht verstehe, was er offenbar nicht verstanden hat, und als ich an ihm vorbei wollte, stellte er sich mir in den Weg, versuchte mehrmals den Arm um mich zu legen, und folgte mir bis vor die Wohnungstür. Das war mir natürlich unangenehm, so wie mir jegliche zwischenmenschliche Interaktion unangenehm ist, aber bedroht gefühlt habe ich mich nicht, weil der Mann zwar aufdringlich war, ich aber zu keinem Zeitpunkt das Gefühl hatte, dass er eine reelle Gefahr für Leib und Leben darstellt. Das kam ihr merkwürdig vor, weil ich ja schließlich so unsicher wäre, dass ich an selektivem Mutismus leide, und da wäre es natürlich seltsam, dass ich ausgerechnet in einer Situation, die die meisten Menschen als bedrohlich wahrnehmen würden, total gelassen bleiben könnte.

Sie fragte mich sogar ziemlich direkt, ob ich einfach nur in Ruhe gelassen werden will, also dass sie brav die Krankenscheine für das Arbeitsamt ausfüllt. Das vermittelt mir irgendwie den Eindruck, als würde sie denken, ich wolle nur Geld vom Staat oder Medikamente oder was auch immer abgreifen. Ja, derzeit möchte ich tatsächlich einfach nur in Ruhe gelassen werden, genau das ist schließlich eines der Probleme!

Jetzt weiß ich nicht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten soll. Ich habe regelrecht Panik vor der nächsten Sitzung, denn sie hat mir heute eigentlich ziemlich deutlich gemacht, dass sie denkt, ich spinne mir das alles zusammen. Der rationale Teil in mir sagt, dass ich sie darauf ansprechen, ggf. den Therapeuten wechseln sollte, aber wenn ich alles, was ich theoretisch weiß, umsetzen könnte, hätte ich viele Probleme gar nicht.

Hat einer von euch etwas Ähnliches erlebt und falls ja, wie seid ihr damit umgegangen? Ich weiß wirklich nicht weiter, bei dem Gedanken, dieser Frau weiterhin von meinem Seelenleben erzählen zu müssen, wird mir ganz schlecht. 

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