Deine Frage lässt sich m.E.
nur beantworten, wenn manmehrere Ebenen auseinanderhält. Erstens müsste man definieren, was Rassismuseigentlich ist und wie er wirkt . Zweitens muss man fragen, welche GründeRassismus hat, d.h. man muss klären, wie Rassismus in unserer Gesellschaftentsteht und welche Funktion Rassismus als Erklärungsmuster/Ideologie für denRassisten hat. Drittens muss man darauf achten, dass man Rassismus nicht fälschlicherweisemit anderen Ideologien verwechselt/vermengt (z.B. Chauvinismus, Nationalismus,Fremden- bzw. Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus), die zwar oftmalsmiteinander zusammenhängen/gemeinsam auftreten, die man aber- will man sieverstehen-begrifflich auseinanderhalten muss.
I. Eine Definition von Rassismuslässt sich noch vergleichsweise einfach geben: Rassismus ist eine Ideologie, die einemIndividuum aufgrund „rassischer/ herkunftsbezogener" Merkmale bestimmteEigenschaften zuschreibt und diese "Eigenschaften" zu Teilen seinerunveränderlichen
Identität erklärt. Von Rassismus ist also dort zu sprechen, wo von"vererbbaren" körperlichen/herkunftsbezogenen Merkmalen (z.B.Hautfarbe) auf fixe, natürliche und kollektive Eigenschaften wie Intelligenz,Temperament, Charakter usw. geschlossen wird, wo man also einenunveränderlichen Wesenskern des Menschen annimmt (z.B. "Der Schwarze ansich ist dumm, faul und unproduktiv", aber auch Positivrassismus wie:"Die Schwarzen haben Musik und Rhythmus im Blut und können deshalb guttanzen"). Rassismus ist damit die Lehre von der erbgenetisch bedingten,d.h. natürlich gegebenen, unveränderlichen charakterlich-kulturellenAusstattung von Menschengruppen unterschiedlicher Herkunft. Alsrassistisch ist dann eine gesellschaftliche Praxis zu verstehen, die unterBerufung auf diese Auffassung Menschen ein- oder aussortiert, diskriminiert,schikaniert, ausschließt, ausbeutet, beherrscht, versklavt, ermordet etc.
II. Schwieriger ist dann dieBeantwortung der Frage, was Rassismus heutzutage eigentlich "soll".Will man Rassismus verstehen und sich nicht mit infantilen Erklärungen ala "Hihihi, Rassisten sind dumm, ungebildet und haben nichts, woraufsie stolz sein können" zufrieden geben, muss man sich ja überlegen, welcheVorstellungen Rassisten von der heutigen Gesellschaft haben und welche Funktion Rassismusheutzutage als Erklärungsmuster/Ideologie erfüllt. Man muss auchaufpassen, dass man das eigentlich zu Erklärende nicht als Erklärung ausgibt:es stimmt ja völlig, dass beim Rassismus die eigene Rasse als überlegenempfunden wird und deshalb privilegiert werden soll, während andere Gruppen alsminderwertig (z.B. als dumm, schmutzig, faul oder unehrlich) gelten und deshalbbenachteiligt oder von gesellschaftlicher Partizipation ausgeschlossen werdensollen (Marginalisierung, Ausschluss). Und natürlich ist Rassismus, soferngesellschaftlich praktiziert, ein Machtverhältnis. Aber das sind halt nur Folgeerscheinungen, nicht aber Ursachendes Rassismus. Und natürlich stimmt es irgendwie auch, dass Rassismus eineReaktion aus Angst vor dem Unbekannten und Fremden darstellt- aber damit lässtsich allenfalls Fremdenfeindlichkeit/Ausländerhass, aber nicht der Rekurs aufRassen oder die Biologisierung des Sozialen erklären, die spezifisch fürRassismus ist. Ich würde die Funktion von Rassismus wie folgt skizzieren:
1. Untergangsszenario
Bei oberflächlicher Betrachtung zeigt sich ja rechtschnell, dass es sich um ein spezifisches Bedrohungsszenariohandelt, das sich gegen den befürchteten Rückfallin die bloße Natur richtet. Der Rassist sieht die Rassifizierten als"Gefahr von unten", d.h. als minderwertige, unzivilisierte"Fremde", z.B. als tierische,wilde Triebtäter und notorische Gewalttäter, die Europa/Deutschlandüberschwemmen /überfluten (siehez.B. das Gerede von der "Flüchtlingswelle" oder andere, eben an Naturkatastrophenerinnernde Metaphern),also im Grunde als rohe,tierische Natur, die ihm Arbeit, Geld, Frau und Eigentumwegzunehmen droht und die deshalb gebändigt(d.h. abgeschoben, kontrolliert oder versklavt) werden muss. Rassisten warnenja z.B. vor "schwarzen"Masseneinwanderungen, die mit der Schändung "unserer Frauen" durchrohe, unzivilisierte Wilde einhergehe, den Untergang"unseres" geliebten Abendlandes bedeute und zeichnen so das Bild von tierischenBarbaren, die "uns" zurück in vorzivilisatorische Verhältnisseziehen. Die Reduzierung derRassifizierten auf Tiernaturen, die oftmals auch eine sexuelle Konnotationaufweist (z.B. die Schwarzen als tierische, primatenartige Triebtäter oder,positivrassistisch gewendet, das Bild vom Schwarzen als überpotentenImmerkönner mit riesigen Genitalien) ist insofern auch ein Leitmotiv desRassismus.
2. Pathische Projektion
Daneben erfüllt Rassismus in derbürgerlichen Gesellschaft noch eine weitere, kompensatorische Funktionfür das bürgerliche Subjekt, das Identität erst durch Abgrenzung gegenüber denals unterlegen wahrgenommenen "Minderwertigen" erlangt. Der Rassistmuss sich, um in unserer Gesellschaft für sein eigenes Wohl sorgen zu können,wie wir alle betriebswirtschaftlich disziplinieren. Er muss beweisen, dass erals fleißiger Arbeiter zur Verwertung taugt- wofür er sich, jeden Tag aufsneue, von seiner Triebhaftigkeit, seiner Faulheit usw., d.h. von seiner innerenNatur abgrenzen muss (jeden Tag um sechs aufstehen, anstatt einfachliegenzubleiben usw.). Gleichzeitig ahnt er, dass es trotz dieser (gewaltigen),ihm abverlangten Anpassungsleistungen auf ihn als Individuum überhauptnicht ankommt, er vielmehr im kapitalistischen Wertverwertungsprozess alspotentiell Überflüssiger gesetzt ist (genügt er den Anforderungen nicht, fällter aus dem Prozess raus, wird überflüssig und kann nicht länger als"Gleicher im Tausch" auftreten-> d.h. ihm droht jederzeit dieArbeits- und "Wertlosigkeit" und die Ersetzung durch einen anderen,der seine Arbeitskraft anbietet). Um dies zu kompensieren, wird den alsminderwertig wahrgenommenen Rassifizierten via Projektion die eigene Faulheitund Asozialität, also die Triebregungen, derer sich das bürgerliche Subjektmühsam entledigen musste und nun täglich aufs Neue bei sich selbst verleugnenmuss, zugeschrieben, an ihnen "ausagiert" und verfolgt. Es ist jakein Zufall, dass der Rassist den Rassifizierten negativ gewendet justdiejenigen Eigenschaften zuschreibt und bekämpft, die er sich selbst versagenund bei sich verleugnen muss, will er als "zivilisierter" Bürgergelten (d.h. er projiziert seinen ungehemmten Sexualtrieb auf den"Anderen", in dem er ihn als notorischen Vergewaltiger zeichnet; er projiziert seinen Wunsch, sich nichtlänger 24/7 als menschlicher Arbeitskraftbehälter selbst verwerten zu müssen,auf die "faulen undasozialen" Anderen). Auf diese Art versucht der Rassist also, sichabzugrenzen von den als Untermenschen imaginierten, die angeblich zur Verwertungnichts taugen und somit Repräsentanten der ersten Natur seien, die fürUnproduktivität, Faulheit und Triebhaftigkeit stehen.