Vielleicht hilft Dir der Rat einer Betroffenen weiter. Ich war offiziell ein Junge, wollte aber seit Beginn meiner bewussten Kindheit immer ein Mädchen sein. Mein Vater hat mich deswegen sogar einmal geschlagen, was letztlich nur zur Flucht in Heimlichkeiten führte.
Meine psychische Entwicklung wurde natürlich auch von der Entwicklung der ungefähr gleichaltrigen Mädchen beeinflusst. Irgendwann wollte ich weibliche Kurven haben und richtig kurze Hot Pants tragen. Tatsächlich wurde mein Körper und auch meine Stimme immer männlicher. Die Pubertät war für mich die Hölle, auch wenn meine Silhouette relativ weiblich blieb. Gern hätte ich eine Mädels-Clique um mich herum gehabt, mit der ich shoppen gehen und das Schminken lernen könnte. Aber daraus wurde nichts.
Jahrzehntelang konnte ich meinen Traum kaum ausleben, war als Frau entsprechend unbeholfen und stand noch dazu auf Frauen. All das zusammen verwirrte damals sogar meine Therapeuten, obwohl mein Fall, wie die Fachwelt heute annimmt, gar nicht so selten ist (etwa 30-50 % der Transfrauen stehen demnach auf Frauen). Meine beiden ersten Therapien sind daran gescheitert.
Der elterliche und gesellschaftliche Druck, ein "ganzer Kerl" zu sein, ließ mich sogar in die Alkoholabhängigkeit abgleiten, die ich zum Glück überwunden habe. Jedoch habe ich nach so vielen negativen Erfahrungen keinen Ausweg aus meiner Situation gesehen.
Mit 45 wurde dann der Leidensdruck so groß, dass ich mir gesagt habe, das kann doch nicht sein, dass ich bis zum Tod unglücklich sein soll, da muss es doch irgendeinen Ausweg geben. Über eine Selbsthilfegruppe habe ich dann endlich einen geeigneten Therapeuten gefunden. Die Vermännlichungserscheinungen mussten nun rückgängig gemacht werden, was viel mühseliger und teurer wird, als es bei einer Hormonbehandlung in der Pubertät der Fall gewesen wäre, und nur zum Teil von der Krankenkasse bezahlt wird. Die Hormonbehandlung und die geschlechtsangleichende Operation verliefen auch nicht reibungslos, aber ich habe es nie bereut.
Mein Fall ist nur einer von vielen, die deutlich zeigen, dass man seinen Kindern keinen Gefallen tut, wenn man sie umerziehen und vor dem Gerede der Nachbarn schützen möchte.
Leider können sich Transsexualität und Homosexualität in der Pubertät sehr ähnlich äußern. Um Dir über die weiteren Schritte klar zu werden, solltest Du unbedingt eine Psychotherapie beginnen. Wobei es gerade im Bereich der Behandlung Jugendlicher viele Therapeuten gibt, die das Schwergewicht ihrer Therapie auf die Umerziehung ihrer Klienten legen. Nimm am besten Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe auf, die Dir jemanden empfehlen kann. Im Idealfall ist dein Therapeut Psychiater und erstellt auch psychiatrische Gutachten in Sachen Transsexualität. Für die Vornamens- und Personenstandsänderung wirst Du zwei voneinander unabhängige Gutachten brauchen, und da ist es günstig, wenn Dich einer der beiden Gutachter schon länger auf Deinem Weg begleitet und Dich nicht nur in ein, zwei Sitzungen kennen gelernt hat.
Vermutlich wird Dich Dein Therapeut etwa ein halbes Jahr nach Therapiebeginn bitten, Dich von einem Endokrinologen über die Hormonbehandlung aufklären zu lassen, und erst nach diesem Gespräch die fachärztliche Stellungnahme für den Endokrinologen schreiben. Wenn Du Pech hast, hat der Endokrinologe aber eine lange Warteliste, und Du wartest noch einmal ein halbes Jahr. Ich würde mir deshalb neben dem Therapeuten auch einen Endokrinologen suchen und dort gleich einen Termin ausmachen, der etwa ein halbes Jahr nach dem Beginn der Psychotherapie liegt. Vielleicht bekommst Du auch vorher schon Hormonblocker, um das weitere Voranschreiten der Pubertät aufzuhalten. Solltest Du oder Dein Psychologe nach dem Gespräch mit dem Endokrinologen den Eindruck haben, dass es für eine gegengeschlechtliche Hormonbehandlung noch zu früh ist, kannst Du deren Beginn immer noch verschieben.
Vielleicht findest Du in der Selbsthilfegruppe auch ältere Mädchen oder junge Frauen, die mit Dir shoppen gehen oder Dir Schminktipps geben können. Noch besser wäre es, wenn Dein Lehrer einmal Betroffene zu einem Vortrag in Eure Schule einladen könnte. Das könnte den verbreiteten Berührungsängsten entgegen nehmen. Vielleich könntest Du dann sogar in Deiner Klasse Freundinnen finden.
Gute Freundinnen sind übrigens das, was ich mit am meisten vermisse. Auch jenseits der 40 lassen sich Körper, Körpersprache und Stimme so weit verweiblichen, dass das Ergebnis ziemlich sexy rüberkommen kann, und Besenreiser kann man wegschminken. Die Haare taillenlang wachsen lassen, flotte Klamotten tragen, sich wieder wie 16 fühlen, all das kann zur Not auch eine Fünfzigjährige in begrenztem Umfang ausleben. Gute Freundinnen findet man aber offenbar nur in der Schulzeit. Wenn man erst mal den berühmten eigenen Herd und einen festen Partner hat, ist man mit Beruf, Hausarbeit und Partnerschaft so sehr beschäftigt, dass die langjährigen Freunde aufs Wochenende vertröstet werden und für neue Kontakte so gut wie keine Zeit mehr bleibt.