Übertrieben

Einige fühlen sich durch das generische Maskulinum sprachlich ausgegrenzt. Die einen sagen „Sprache schafft Wirklichkeit“, die anderen sagen, dass dem ein viel zu großer Wert beigemessen wird. Sprache strebt nach Vereinfachung und nicht nach Verkomplizierung. Gegen ein kurzes „Bürgerinnen und Bürger“ bei der Anrede ist nichts einzuwenden, aber kommt die Phrase mehrfach vor, werden Sätze länger und unverständlicher, wodurch die Botschaft des Gesagten untergeht. Wiederholtes Gendern stört den Lesefluss und lenkt vom Inhalt ab. 

Erschwerend kommt hinzu, dass es keine einheitlichen Regeln gibt. Es gibt das Gendersternchen, den Doppelpunkt, den Unterstrich, den Schrägstrich, das Binnen-I, die Paarverwendung, substantivierte Partizipien und geschlechtsneutrale Formulierungen. Das Gendersternchen nehme ich als sprachlichen Stolperstein wahr. Es führt auch zu obskuren Formen, wie z.B. Bürger*innenmeister*innen, Freund*innenkreis, Nachbar*innenschaft,Fußgänger*innenweg und Kund*innenservice. „Ein*e“ und „jede*r“ sind gar nicht erst aussprechbar. Und die Sprechpausen hören sich wie ein Schluckauf an. 

Der Glottisschlag ist in der normalen Sprache kaum merkbar. Er wird gerade so lange gestaltet, dass man zwischen „vereisen“ und „verreisen“ akkustisch unterscheiden kann. Dagegen werden Genderzeichen stets überbetont - mit einer längeren Pause - was sehr unnatürlich klingt. Die Mehrheit wird sich nicht an die holprig und unelegant klingenden Sprechpausen gewöhnen. Es führt zu Problemfällen, wie z.B. bei „Kund*innen“, „Kolleg*innen“ und „Psycholog*innen“. Was sind (männliche) „Kund“, „Kolleg“ und „Psycholog“? Warum ist männlich normativ schlimm und weiblich normativ nicht? „Ärzt*innen“ funktioniert auch nicht, da es zwar „Ärztinnen“ gibt, aber keine „Ärzt“. Die männliche Pluralform sind "Ärzte". Anders sieht es beim Wort „Politiker*innen“ aus. Da hat man den männlichen Plural „die Politiker“ und den weiblichen Plural „die Politikerinnen“. 

Einige geschlechtsneutrale Formulierungen können sich im Laufe der Zeit durchsetzen, wie z.B. „Pflegekraft“ statt „Krankenschwester/Pfleger“ oder „Redepult“ statt „Rednerpult“, aber andere wiederum nicht, wie z.B. „Flaniermeile“ statt „Fußgängerzone“ oder „Fahrzeugführende“ statt „Fahrer“. Substantivierte Partizipien funktionieren nicht immer, weil die Form nur den augenblicklichen Zustand beschreibt und keine generelle Tatsache. „Studierende“ sind ausschließlich Menschen, die gerade in diesem Augenblick aktiv studieren. Studenten hingegen können auch Menschen in den Semesterferien sein, die gerade 0,0 studieren. Zur Gruppe der „Lernenden” gehören nur diejenigen, die just in diesem Moment beispielweise vor einem Buch sitzen und lernen. Die Frau, die auf dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnimmt, kann man als „Radfahrende“ beschreiben, allerdings nur bis sie zur „an-der-Ampel-Stehenden“ wird. 

Einige Menschen versuchen sogar „man“ in „mensch“ umzuwandeln, weil es nach „Mann“ klingt. Statt „jemand“ sagen sie „jemensch“. Genauso absurd wäre es, das Siezen abzuschaffen, weil die Höflichkeitsform „Sie" weiblich klingt. Wenn das generische Maskulinum unser Denken so stark prägt, warum ist die Verteilung der Berufe in Ländern mit genuslosen Sprachen ähnlich wie in Deutschland? Häufig werden Studien genannt, die aufzeigen, dass Berufe im generischen Maskulinum formuliert eher mit Männern assoziiert werden. Es stimmt, dass man bei Piloten, Handwerker und Ingenieure eher an Männer denkt, aber genauso denkt man bei Erzieher, Kosmetiker und Friseure eher an Frauen. MaiLab hat das mal gut auf den Punkt gebracht: Im Englischen denken die meisten Menschen bei dem Wort „scientist" auch erst an einen männlichen Wissenschaftler, obwohl das Wort geschlechtsneutral ist. 

Waren in unserem Kindergarten nur Frauen als Erzieher tätig, so stellen wir uns darunter aller Voraussicht und der Kognitionspsychologie nach primär Frauen vor. Waren wir jedoch selbst in einem Kindergarten, in dem sowohl Frauen als auch Männer die Rolle des Erziehers übernommen haben, so koexistieren beide Geschlechter in unserer mentalen Repräsentation der Kategorie. Dass wir bestimmte Berufsgruppen eher mit Männern und bestimmte Berufsgruppen eher mit Frauen verbinden, obwohl in beiden Fällen das generische Maskulinum verwendet wird, zeigt Folgendes auf: Es ist nicht die Sprache, die unser Denken maßgeblich beeinflusst, sondern unsere Erfahrungen und die in unserer Lebenswirklichkeit vorherrschenden realen Beispiele. Und wenn doch Mädchen durch das generische Maskulinum immer eingebläut wurde, dass sie kein Arzt werden können, warum sind dann heute > 60% der Medizinstudenten Frauen? 

Respekt und Anerkennung gegenüber anderen lassen sich nicht über Sternchen und Striche bewerkstelligen. Wer glaubt, man könne mit einer Wortendung Chancengleichheit herstellen, betreibt nur Kosmetik. Man muss die Kinderbetreuung verbessern, Frauen eine leichtere Rückkehr ins Berufsleben nach der Babypause ermöglichen und für flexiblere Arbeitszeiten sorgen. 

Mir ist auch aufgefallen, dass viele Befürworter häufig nur bei positiv bis neutral besetzten Wörtern gendern. Bei Klimaleugner, Querdenker, Impfgegner, Dieselfahrer, Verkehrssünder, Steuerhinterzieher und Reichsbürger wird häufig weiterhin das generische Maskulinum verwendet. 

Wer gendern möchte, soll das tun, aber das darf nicht von oben verordnet werden, sondern muss auf natürlichem Weg passieren. Sprache ist immer im Wandel, aber der Wandel sollte von der Gesellschaft ausgehen und nicht von einer oder auch mehreren zentralen Entscheidungsinstanzen. Wer an Universitäten nicht in Hausarbeiten gendert, kann Punkte abgezogen bekommen. Da kann man schon von Zwang reden. Gendersprache wird auch von Behörden, Institutionen etc. verordnet. Es handelt sich um eine Top-down-Bewegung. Wer nicht gendert, wird von Befürwortern häufig als reaktionär oder sogar sexistisch bezeichnet. 

Laut einer neusten Umfrage von Infratest dimap lehnen es 65 Prozent der Deutschen ab. Frauen wie Männer. Die Ablehnung ist sogar im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Man gewöhnt sich nicht dran, sondern ist davon genervt. Das ist eine akademisch-elitäre Elfenbeinturm-Diskussion, die an der Lebensrealität vieler Menschen vorbeigeht. Gendern ist in journalistischen Kreisen weit geläufiger als im Bevölkerungsdurchschnitt. 

„Wir sprechen auch anders, als es Menschen vor 100 Jahren getan haben“ ist kein Argument dafür, dass jede Form der Veränderung ein Fortschritt ist. Sie kann auch ein Rückschritt sein. Gendern ist keine natürliche Sprachveränderung, sondern ist ideologisch und politisch motiviert. Sprachentwicklung wird nicht von „oben” verordnet, sondern kommt aus der Mitte der Gesellschaft, durch alltäglichen Sprachgebrauch. Eine lautstarke Minderheit von Sprachaktivisten versucht das der Mehrheit aufzudrücken. Die vermehrte Verwendung von Anglizismen ist z.B. ein natürlicher Sprachwandel. Es setzt sich das durch, was in der Alltagssprache dauerhaft genutzt wird. Meistens entwickelt sich Sprache in eine Richtung, die die Kommunikation vereinfacht. Sprachökonomie ist hierbei ausschlaggebend - also die Bestrebung, sich mit wenig Sprachaufwand kurz, einfach und verständlich auszudrücken. Das Gendern widerspricht dem Prinzip. 

Ein weiteres Gegenargument: Man erschwert Ausländern die deutsche Sprache zu erlernen. Gegenderte Sprache wird auch umso weniger verstanden, je schwacher der soziale Hintergrund ist. Es ist ebenfalls eine Hürde für Menschen mit Lese- und Rechtschreibschwäche, weswegen Macron das schriftliche Gendern an Schulen verboten hat. Gendern gibt vor, “inklusiv” zu sein, aber grenzt andere Bevölkerungsgruppen aus. 

Fun Fact: Die Sprachen in den Ländern Georgien, Armenien und der Türkei besitzen kein grammatisches Geschlecht. Dort geht es aber nicht gleichberechtigter zu als bei uns. Es ändert nichts an den realen Umständen.

 

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