Sie sagte es mir auch erst einen Tag, bevor sie wieder weg gebracht wurde. Wir lagen uns weinend in den Armen bis ich mir die Tränen aus dem Gesicht wischte und ihr versprach, dass wir das zusammen schaffen. Freitag fuhr sie los, Montag die Operation. Sie rief mich noch an, doch ich sagte ihr, dass ich jetzt nicht sprechen möchte, weil ich lernen wollte. Ich wollte sie so gern mit einem ausnahmsweise tollem Zeugnis überraschen.
Montag kam ich früher von der Schule- ich konnte mich dort eh nicht mehr konzentrieren und erhielt auch schon bald einen Anruf, dass es ihr gut ginge und dass sie auf der Intensivstation lag. Aber da liegt man ja nach einer großen OP immer. Eine Woche später kam sie wieder auf ein normales Zimmer, ich konnte sie endlich besuchen! Doch nach drei Tagen verschlechterten sich ihre Werte wieder- Es folgten die Intensivstation, eine Lungenembolie, die Intubation und somit ein Besuchsverbot für mich. Meine Sorgen verdrängte ich durch meinen Schularbeiten. Es entstand unter anderem eine 6-seitige Arbeit, bei der eigentlich nur eine halbe Seite nötig gewesen wäre. Durch das ganze Lernen schrieb ich Zweien und Dreien anstatt Vieren und Fünfen, ich freute mich auf das Zeugnis, das ich Mama zeigen wollte. Sie lag weitere drei Monate im Krankenhaus, zwischendurch durfte sie auf der normalen Station liegen- konnte auch schon wieder einige Schritte gehen und lachen. Aber irgendwann...Sie nahm immer mehr ab, Wasser in den Beinen, wurde andauernd neu intubiert, bekam immer mehr Schmerzmittel, eine künstliche Sauerstoffszufuhr und dann kam er- der Tod.
Der schrecklichste Moment meines Lebens. Ein Anruf: „Deine Mama kommt ins Hospiz“. Einige Stunden, viele Tränen und noch mehr Fragen später ein zweiter Anruf: „Ich hol dich gleich ab, Mama geht’s nicht gut“ Was das heißt, wusste ich.
Die Tür zum Krankenhaus öffnete sich, ich rannte die Treppe hoch, klingelte an der Intensivstation, immer nur zwei leute durften rein. Erst ich und meine Schwester, dann ich und mein Bruder. Ich bin die jüngste aus der Familie. Mama sagte ich solle nicht weinen, „Et kütt wie et kütt und ein Kind braucht einen Schutzengel, weißt du doch“ das antwortete sie mir auch immer als ich klein war und fragte warum Menschen sterben. Ich weinte weiter, ihre Pupillen waren so klein obwohl der Raum so abgedunkelt war. Dann musste ich nach Hause, wollte sie nicht gehen lassen. Am nächsten Tag war ich trotz allem in der Schule, ich musste stark sein! Das versprach ich ihr. Danach fuhr ich wieder ins Krankenhaus- sie lebte noch. Ich kam rein, meine Familie stand um ihr Bett herum, sie bekam Morphin, hatte Bauchschmerzen und fror. Ich hielte über Stunden ihre Hand, erzählte ihr, dass ich sie liebe, sagte, ich würde ihr alles verzeihen und, dass es mir so leid tat, nicht für sie da gewesen zu sein. Ihre Atmumg, sie wurde immer schwerer, sie schnappte viele Minuten nach Luft, ich streichelte ihr Gesicht, erzählte witzige Geschichten über sie um die anderen zum lachen zu bringen, wischte meine Tränen immer wieder weg. Plötzlich war alles Still. Keine Atemgeräusche, kein Puls. Die Hand wurde kalt, sie hielt mich nicht mehr.Ich klingelte die Schwester an, sie bat uns darum, den Raum zu verlassen. Minuten vergingen, es fühlte sich an, als wären es Stunden gewesen. Die Ärztin kam raus, gab mir ihre Hand und sagte „Mein Beileid“. Ich starrte sie an, bedankte mich. Ich griff zu meinem Handy, teilte meiner Freundin mit,was passierte. Schrieb meiner Lehrerin eine Mail, warum ich nicht in der Schule sein werden würde. Weinte nicht, funktionierte einfach. Trank einen heißen Kakao, saß auf einem Stuhl und schaute ins Leere. Plötlich eine Stimme „Alles in Ordnung?!“ ich wusste nicht, dass sie mich meinte, sie fragte erneut, noch lauter. Ich schaute die Schwester dann kurz an, nickte und ging weg. Zu Mama. Ich gab ihr einen letzten Kuss- die Haut war so kalt- und wollte nach Hause. Ich lag im Bett, hoffte dass alles nur ein Traum war und schlief ein.
Der Wecker klingelte, ich zog mich an, ging zur Schule, stand vorm Lehrerzimmer und alle Lehrer schauten mich entgeistert an. Meine Klassenlehrerin erzählte mir, dass ich mir die Zeit nehmen solle, die ich brauche.
Ich ging mit ihr gemeinsam in die Klasse, in der bereits unterrichtet wurde. Meine Politiklehrerin stand vorn und meine Klassenlehrerin erzählte, was passiert war, dass ich aber so weiter machen wollte wie bisher. Jeder schaute mich an- doch keiner sagte etwas. Bis heute sprach ich kaum mit jemandem darüber- ich wüsste nicht mit wem. Es interessiert nicht wirklich jemanden.
Jetzt vergingen sechs kalte Monate. Zum ersten Mal ohne sie Weihnachten, ihren Geburtstag, Ostern, Muttertag und jetzt bald ist auch meinen 16. Geburtstag feiern. Sie hatte mir versprochen, dass wir all diese Tage zusammen verbringen. Im Herzen ist sie an dem Tag, wie an jedem anderen bei mir. Ich vermisse sie so unendlich doll. Immer, wenn ich