Möchte sie in nächster Zeit aber gerne entfernen lassen.
In Deutschland ist die vollständige, radikale Zirkumzision, also der Beschneidungsstil, bei dem die gesamte Vorhaut inklusive des Frenulums entfernt wird (also low & tight“-Stil), der medizinische Standard. Das wirkt auf viele übertrieben oder unnötig radikal, besonders im Vergleich zu anderen Ländern, in denen auch moderatere Stile verbreitet sind. Doch es gibt einige Gründe, warum gerade diese Form in Deutschland vorherrscht.
Zunächst liegt es an der medizinischen Ausrichtung des Eingriffs. In Deutschland werden Beschneidungen meistens aus funktionellen oder medizinischen Gründen vorgenommen, etwa bei Vorhautverengung (Phimose), chronischen Entzündungen oder wiederkehrenden Infektionen. Der Fokus liegt daher nicht auf der Ästhetik oder individueller Präferenz, sondern auf einer dauerhaften Lösung der medizinischen Probleme des Patienten. Die vollständige Entfernung der Vorhaut gilt aus ärztlicher Sicht als sicherste Methode, um Rückfälle oder spätere Komplikationen zu vermeiden also einmal und endgültig lautet hier der Ansatz. Teilbeschneidungen oder alternative Techniken gelten hingegen als risikobehafteter, da sie möglicherweise nicht alle Probleme vollständig lösen, weil sich die restliche Vorhaut bei dem Heilungsverlauf durch einen Narbenring wieder verengen kann oder auch die restliche innere Vorhaut anschwillt weil es Probleme mit der Lymphflüssigkeit gibt. Nach dem Eingriff kann die innere Vorhaut durch Lymphstau oder Entzündung anschwellen.
Ein weiterer Grund für die radikale Vorgehensweise ist die Rolle des Frenulums. Dieses empfindliche Bändchen unterhalb der Eichel kann bei vielen Männern zusätzlich verkürzt oder anfällig sein (sogenanntes Frenulum breve). Viele Ärzte sehen darin eine mögliche Ursache für Spannungen, Schmerzen oder Risse, gerade nach einer Teilbeschneidung, bei der der Zug auf das Frenulum zunehmen kann. Deshalb wird es oft vorsorglich mit entfernt, um postoperative Komplikationen zu vermeiden. Das ist zwar nicht immer medizinisch zwingend, aber aus chirurgischer Sicht eine Standardmaßnahme zur Risikominimierung.
Ein drittes Argument liegt in der medizinischen Ausbildung und Routine: In Deutschland gibt es kaum spezialisierte Angebote für individuelle Beschneidungsstile wie „high & loose“ oder frenulumerhaltende Techniken. Die meisten Urologen und vorallem auch Kinderchirurgen orientieren sich an den klassischen OP-Techniken, wie sie im Medizinstudium und in den Facharztausbildungen vermittelt werden. Der Eingriff wird meist funktional und technisch-pragmatisch durchgeführt, nicht kosmetisch oder ästhetisch differenziert. Das bedeutet auch, dass die Betroffenen selten eine Auswahl oder Beratung zu alternativen Varianten erhalten.
Im Vergleich dazu wird in anderen Ländern, etwa in den USA, Südkorea oder auch Teilen Afrikas, häufiger kulturell oder ästhetisch motiviert beschnitten. Dort ist der Eingriff stärker standardisiert und unterliegt mehr individuellen Wünschen, was z. B. Narbenplatzierung, Hautmenge oder Erhalt sensibler Zonen betrifft. In Deutschland hingegen gibt es kaum Bewusstsein oder Nachfrage nach solchen Feinabstimmungen, insbesondere nicht bei minderjährigen Patienten, deren Eltern in der Regel der Empfehlung des Arztes folgen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die radikale Beschneidung ist in Deutschland nicht unbedingt das Ergebnis von Gleichgültigkeit, sondern von medizinischer Pragmatik und Vorsicht. Sie soll möglichst endgültig alle Beschwerden beseitigen und postoperative Risiken minimieren. Allerdings führt dieser funktionale Zugang dazu, dass ästhetische oder sensible Aspekte, wie der Erhalt des Frenulums oder eine lockerere Schnittführung, bzw. der Erhalt von mehr innere Vorhaut, welche auch sehr empfindlich ist, kaum berücksichtigt werden. Wer sich heute differenzierter mit dem Thema auseinandersetzt oder selbst betroffen ist, sollte sich daher gezielt nach spezialisierten Urologen oder Kliniken umsehen, die individuelle Wünsche ernst nehmen und auch alternative Techniken anbieten.