1. Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass "national" heute ein sehr umstrittener Kampfbegriff ist. Das hat natürlich historische Hintergründe, weil am Ende des 19. Jahrhunderts besonders die deutsche "Nation", d.h. die öffentliche Meinung und die sogenannte Elite (Parteien, Verbände, Regierung) immer mehr außer Rand und Band gerieten ("Am deutschen Wesen soll die Welt genesen"), was dann zum Ersten Weltkrieg und schließlich sogar zu Hitler führte. Übrigens war der ein Österreicher, der das "Glück" hatte, dass nebenan mit Deutschland ein großer Staat war, mit dem man die Weltherrschaft anstreben konnte - für die meisten Deutschen und große Teile der Welt war das dann ein fürchterliches Unglück, besonders die in Europa lebenden Juden.
2. Leider wird bei aller berechtigten Kritik am "Nationalen" vergessen, dass es sich hier auch um ein Gemeinschaftsgefühl handelt, ohne das soziales Leben nicht gut funktioniert. Es geht um gemeinsame Identität, wie sie jeder Fußballanhänger kennt. Natürlich gibt es Hooligans - aber bedeutet das, dass man sich nicht für eine gemeinsame Sache begeistern kann oder gar sollte?
3. Wie wichtig ein Gemeinschaftsgefühl in einem Staat ist, zeigen die USA, wo zwar alle Amerikaner stolz ihre Fahne schwenken, in der Volksvertretung (Kongress) aber in der letzten Zeit manchmal wenig Gemeinschaftsgefühl herrscht - man denke an das Problem der Finanzen, wo man bis an die Grenze der Zahlungsfähigkeit ging. Hier wäre es schon gut, wenn alle Kongressmitglieder mehr an die Gemeinsamkeiten denken würden als an ihre persönlichen Interessen.
4. Andererseits zeigt das Beispiel Spanien, wie sehr Menschen auch unterhalb der Staatsebene (Basken, Katalanen) eine eigene Identität wollen, zumindest Autonomie. Man denke auch an die Schotten.
5. Wir Deutschen müssen uns nach wie vor kritisch mit unserer "nationalen" Vergangenheit beschäftigen, das heißt aber nicht, dass man sie nicht auch (!!!) positiv sehen kann, vor allem, wenn es nicht (!!!) zur Ausgrenzung anderer Menschen führt. Nur: Wie sieht es denn mit dem Gemeinschaftsgefühl in diesem Land aus. Manche Politiker sehen immer noch im deutschen Volk eine Gefahr für Europa (wer 1945 geboren wurde, ist jetzt 70 Jahre alt, hat also wohl kaum an den Verbrechen der NS-Deutschen teilgenommen!) - und um die Menschen, die neu nach Deutschland kommen, kümmern sich Staat und Gesellschaft kaum, was die Herstellung wirklicher Gemeinschaft angeht.
Interessant und zugleich erschreckend ist ein aktueller Film des ZDF:
http://webapp.zdf.de/beitrag?aID=2480124&title=Ein-Staat---zwei-Welten%253F?bc=svp;sv1&ipad=true
Fazit: Man kann und sollte vielleicht sogar auf den Begriff des "Nationalen" verzichten, weil er historisch und politisch belastet ist. Auf die Sache einer echten Ziele- und Wertegemeinschaft kann aber kein Land verzichten. Die Menschen, die jetzt mit Zügen aus Ungarn kommen und begeistert "Germany" rufen, sollten das auch noch im nächsten und in den kommenden Jahren tun, weil sie hier wirklich "angekommen" sind und mit den schon hier lebenden Deutschen dieses Land positiv weiterentwickeln wollen. Sonst gerät alles in Gefahr, weshalb sie gerne hier hergekommen sind.