Liebe/r Magnavox123,
ich glaube, dass man deine Situation nur wirklich nachvollziehen kann, wenn man selbst mal in so einer Situation war. Und ich kann dich verstehen. Ich war 2008/09 für 10 Monate in den USA und fand von Anfang an alles schrecklich. Es gab nicht einen Moment dieses "Honeymoon"-Gefühl, was einem vorher erzählt wird, und alles, was man sich eigentlich schön vorgestellt hat, läuft völlig anders.
Ich habe die ganze Zeit von Freunden gehört, die zur selben Zeit ein Auslandsjahr gemacht haben, und bei denen alles total super war. Das hat es für mich noch viel schlimmer gemacht. Ich dachte, mit mir stimmt irgendetwas nicht, dass ich diese einmalige Chance nicht genießen kann. Ich wollte nur noch zurück, wirklich vom ersten Tag an, und hatte zeitweise schon wieder meine Koffer gepackt und stand bei meiner Betreuerin vor der Tür.
Sie hat mit mir vereinbar, dass ich 4 Wochen Kontaktpause nach Deutschland einhalten soll. Wenn ich danach immernoch gehen möchte, sollte ich gehen. Sie war der Meinung, dass das mein Heimweh lindern würde, weil ich so "gezwungen" wäre, Kontakt in meinem neuen Umfeld zu finden. Ich habe diese Pause nicht mal 24 Stunden lang ausgehalten. Dann habe ich heulend zuhause angerufen und auf einmal wollte meine Betreuerin mich sofort nach Hause schicken. Das hatte ich ja eigentlich gewollt, trotzdem hat es mich in dem Moment total erschreckt.
Meine Eltern haben sie dann überzeugt, mir doch nochmal 4 Wochen Zeit zu geben. Das zweite Mal habe ich es dann auch tatsächlich geschafft. Ich hatte immernoch Heimweh, aber irgendwie war ich auch ein bisschen stolz auf mich. Nach diesen vier Wochen habe ich dann (aus anderen Gründen) meine Gastfamilie gewechselt und hatte die Möglichkeit, "nochmal neu anzufangen".
Ich habe die gesamten zehn Monate nie dieses "Honeymoon"-Gefühl, von dem mir meine Freunde erzählt haben, erfahren. Rückblickend kann ich dir jedoch sagen, dass ich glaube, dass das problematische Auslandsjahr mir viel mehr gebracht hat, als meinen Freunden das unproblematische. Man ist unglaublich stolz, es letzten Endes tatsächlich zu schaffen, und wächst mit jedem Tag an seinen Aufgaben.
Ich schreibe dir das, weil ich möchte, dass du weißt, dass du nicht allein bist. Es hat nichts mit Schwäche zu tun, zu erfahren, dass man sein "normales" Leben mag, und es ist eine Erfahrung, die einen langfristig unglaublich weiterbringt. Ich rate dir auf jeden Fall, mit deiner Gastfamilie darüber zu reden. Sie verstehen vielleicht garnicht, warum du traurig bist, und denken, dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist oder so. Ehrlichkeit ist das A und O in so einer Situation.
Auch ist es hilfreich, sich unglaublich viel zu beschäftigen. Hast du vielleicht Gastgeschwister, die dich zu ihren Aktivitäten mitnehmen können? Oder Nachbarskinder in deinem Alter? Falls die Schule noch nicht begonnen hat; bei mir war es so, dass es ein bisschen besser wurde, als ich in die Schule gekommen bin. Als Austauschschüler ist man da "etwas besonderes" und die Mitschüler sind sehr interessiert an dir. (Auch wenn du dir die ein oder andere Frage zu den Nazis anhören musst, hier mein Tipp: Nimm es mit Humor!)
Ich habe z.B. in der Schule angefangen Fussball zu spielen, was ich in Deutschland noch nie gemacht hatte. Aber so lernt man wirklich schnell Leute kennen, die einem zeigen, dass sie einen mögen.
Und wenn das alles nichts hilft, versuch dir zu sagen: IRGENDWANN ist der Zeitpunkt da, an dem du nach Hause fährst. Überlege dir, wie schnell das letzte Jahr vergangen ist. Dann wirst du sehen, dass ein Jahr eigentlich garnicht so lange ist, wie es dir im Moment vielleicht vorkommt.
Als letzten Rat möche ich dir noch sagen: es ist auch kein Drama, ein Auslandsjahr abzubrechen. Sicher, du und deine Eltern habt viel Geld dafür bezahlt und viel Energie investiert. Aber wenn es absolut nicht geht, bringt es auch nichts, ein Jahr lang unglücklich zu sein.
Also, ich war in einer ähnlichen Situation wie du und ich habe es geschafft. Du kannst es auch schaffen! Ich glaube daran :-)
Wenn du magst, kannst du mir eine persönliche Nachricht schreiben, dann können wir noch ein wenig mehr über das Problem Heimweh sprechen.
Viele liebe Grüße, bleib stark und alles Gute,
Steffi