Zu welcher Wissenschaft gehört Handwerk?

8 Antworten

Handwerk, würde ich, wenn überhaupt, nicht in *eine* Wissenschaft klassifizieren, ganz egal, ob ich "müßte". Monohierarchische Klassifikationssysteme haben wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Sie sind Kopfkonstruktionen der Klassifizierer. Deren Beweggründe kann man nachvollziehen: Wer das Weltbild militärischer Organisation verinnerlicht hat, wird die Dinge gewohnheitsmäßig in Ränge, Regimenter, Kompanien, usw. einteilen wollen. Und ein Bibliothekar muß sich entscheiden, welches Signaturschildchen er auf ein Buch draufpappt, und in welches Regal er es stellt. Intelligent gemachte Schlagwortkataloge haben diese notgedrungene Monohierarchie immer unterlaufen und die Sachgebiete kreuz und quer untereinander vernetzt.

So funktioniert das reale Leben und nicht anders funktioniert auch Wissenschaft: Die Archäologen brauchen sich doch nicht darum zu scheren, ob C14-Datierung, Bodenradar und Luftbildvermessung Teil der Altertumswissenschaften sind, und die beteiligten Laboranten, Techniker und Piloten brauchen das auch nicht.

Mit Handwerk befassen die Erforscher der Vergangenheit sich auch, wenn sie die Machart ausgegrabener Artefakte untersuchen. Auch dadurch werden Tischler-, Töpfer-, Maurer-, Seiler-, Weber-, Steinmetz-, Goldschmiede-, und Metallverhüttungshandwerk nicht zu Teilgebieten der Geschichtswissenschaft oder der Paläoanthropologie.

Aus einigen der alten Handwerkszweige haben sich Ingenieurwissenschaften entwickelt. Ob das für alle gilt, auch für Friseure, Hutmacher, Schuhmacher, Korbflechter? Entwickelt hat sich noch viel mehr als nur die Verwissenschaftlichung der materiellen Produktion: Auch die Distributionssphäre hat sich entwickelt: Handel, Logistik, Seefahrt, Geld, Buchhaltung. Auch aus ihnen sind Wissenschaften entstanden, die nicht alle Ingenieurfächer sind. Mit alledem wurden zudem hochorganisierte Formen von Abhängigkeit, Kontrolle, Beeinflussung und Machtausübung entwickelt, die sich ebenfalls wissenschaftlicher Methoden bedienen, aber nicht nur aus der Technik, sondern z.B. aus der Psychologie. Daß hier von Social Engineering gesprochen wird, wirft allerdings ein Licht auf das dahinter stehende Menschenbild.

Wissenschaft schafft Wissen. Handwerk schafft Gebrauchsgegenstände.

Darum würde ich Handwerk zu gar keiner Wissenschaft zählen, obwohl jede Wissenschaft handwerkliche Arbeiten benötigt.


ulrich1919  23.06.2022, 21:44
Wissenschaft schafft Wissen. Handwerk schafft Gebrauchsgegenstände.

Sehr schön formuliert!

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1. ist es keine Wissenschaft.

2. gibt es sehr viele verschiedene handwerkliche Bereiche.

Architektur, Design, Kunst, Materialwissenschaft, Ingenieur, Bauingenier, Elektrotechnik, Hydrostatik, ...

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Handwerk – ein Werk, das mit den Händen erbracht wird.

Wissenschaft – ein Forschen, das Wissen erschafft.

Ich will jetzt nicht drauf eingehen, dass es hier Überschneidungen gibt. Aber genau dafür sind die beiden Gegensatzpaare geschafft worden, um den Gegensatz zwischen einem mit Hand gewirktem Ergebnis und den reinen Wissensgewinn zu beschreiben

im Handwerk wird nicht geforscht, darum ist das keine Wissenschaft.


Franz1957  24.06.2022, 13:21

Gegenthese: Im Handwerk wird seit vielen Jahrtausenden geforscht und ein großer Schatz von Erfahrungswissen zusammengetragen.

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hologence  24.06.2022, 14:44
@Franz1957

im Handwerk wurden technische Neuerungen über Jahrhunderte durch Zünfte blockiert. Der Handwerker, der zB mein Auto repariert, betreibt Ursachenfindung, aber das zählt nicht als Forschung.

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Franz1957  24.06.2022, 18:39
@hologence

Und Industriekonzerne verminen ihr technisches Territorium mit Patenten. Da kommen ökonomische Interessen der technischen Innovation in die Quere.

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