Wurde das Scherbengericht der Athener Demokratie, also Verbannung eines Volksvertreters, immer zum

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Ein Scherbengericht (griechisch: ὀστρακισμός; Ostrakismos) geschah in der athenischen Demokratie nur, wenn bei einer eine jährlich vorgelegten Frage über die Durchführung eines Scherbengerichts, die zu einer bestimmten Zeit stattfand, die Durchführung eines Scherbengerichts bei Abstimmung der Volksversammlung (ἐκκλησία [ekklesia]) eine Mehrheit erhielt. Es gab also ein zweistufiges Verfahren:

1) Entscheidung, ob ein Scherbengericht durchgeführt wird

2) gegebenenfalls Entscheidung, wen das Scherbengericht trifft

Mit der Vorabstimmung bloß über die Durchführung selbst, nicht über Personen (Stufe 1) stand noch nicht fest, wer Verlierer ist.

Jeder athenische Bürger konnte beim „Scherbentragen“ (ὀστρακοφορία [ostrakophoria]) auf den Tonscherben (ὄστρακα [ostraka]; Singular: ὄστρακον [ostrakon]), die als besonders billiges Schreibmaterial verwendet wurden, angegeben werden. Die athenische Demokratie in der Antike war eine direkte Demokratie, keine repräsentative. Die Rechenschaftsablegung (εὐϑύνα [euthyna] von Amtsinhabern am Ende ihrer Tätigkeit/Amtszeit ist eine andere Sache als das Scherbengericht (Ostismos).

Informationen über das Scherbengericht enthalten z. B.:

Jochen Bleicken. Die athenische Demokratie. 2., völlig überarbeitete und wesentlich erweiterte Auflage. Paderborn ; München ; Wien ; Zürich : Schöningh, 1994, S. 40 – 41 und S. 451 - 453

Peter J. Rhodes, Ostrakismos. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 9: Or – Poi. Stuttgart ; Weimar, Metzler, 2000, Spalte 103 – 104

Die Volksversammlung entschied jedes Jahr zu Beginn der zweiten Hälfte eines jeden Amtsjahres, in der sechsten Prytanie (Amtsperiode des geschäftsführenden Ausschusses des Rates der 500, ein Zehntel des Jahres) über die Durchführung eines Ostrakismos (Aristoteles, Athenaion Politeia 43, 5), der dann in der achten Prytanie stattfand, falls die Mehrheit dies wünschte (Philochoros FGrH 328 F 30).

Es gab keine Liste von Kandidaten, vielmehr schrieb jeder Stimmberechtigte den Namen des Mannes auf eine Tonscherbe, der er verbannt wissen wollte. Wenn mindestens 6000 Stimmen insgesamt abgegeben wurden (so Plutarch, Aristeides 7, 5; diese Version ist einleuchtender als die des Philochoros, 6000 Stimmen müßten gegen einen einzigen Mann gerichtet gewesen sein), wurde der mit der höchsten Stimmenzahl verbannt.

Nach einer wiederentdeckten Fragment einer spätbyzantinischen Notizsammlung soll Kleisthenes den Ostrakismos geschaffen haben, die Entscheidung aber dem Rat der 500 (βουλή [boule]) überlasen und das Quorum für eine Verurteilung auf 200 Stimmen festgelegt haben; erst später seien 6000 Stimmen der Volksversammlung notwendig gewesen.

Wenn das Quorum der Beschlußfähigkeit (6000 Stimmen) erreicht wurde, entschied die relative Mehrheit.

Zwischen 487 und 415 v. Chr. wurden etwa 13 Männer ostrakisiert (aufgrund eines Scherbengerichts verbannt), unter ihnen:

Hipparchos, der Sohn des Chormos, 487 v. Chr.

Megakles, 486 v. Chr., eventuell später noch einmal

Xanthippos, der Vater des Perikles, 484 v. Chr. Aristeides 482 v. Chr.

Themistokles etwa 470 v. Chr.

Kimon etwa 460 v. Chr.

Thukydides, der Sohn des Milesias, 443 v. Chr. (eine andere Person als der Geschichtsschreiber)

Hyperbolos vermutlich 415 v. Chr. (der Zeitpunkt ist umstritten, doch müßte er im Jahr 415 v. Chr. oder ein bis zwei Jahre früher liegen; 411 v. Chr. wurde Hyperbolos auf Samos in Zusammenhang mit einer oligarchischen Verschwörung zum politischen Umsturz von athenischen und samischen Oligarchen ermordet, Thukydides 8, 73, 3: „Einen Athener Hyperbolos, einen niedrigen Kerl, den das Scherbengericht verbannt hatte, nicht aus Angst vor seiner Macht und seinem Ansehen, sondern wegen seiner Schlechtigkeit und als Schande des Staates, brachten sie um, unterstützt von einem Feldherrn, Charmias, und einigen Athenern, die bei ihm waren zum Treupfand, und noch mehr vollbrachten sie gemeinsam mit ihnen und brannten auf den Angriff gegen die Menge.“)

Nach Aussage der Quellen diente der Ostrakismos der Verhinderung einer Tyrannis, doch dürfte er tatsächlich dazu ungeeignet gewesen sein. Die ersten Opfer des Ostrakismos hatten Verbindungen zu den Peisistratiden und Alkmäoniden, die zur Zeit des Persereinfalls 490 v. Chr. im Verdacht politischer Illoyalität standen. Danach scheint der Ostrakismos zum Austragen von Rivalitäten zwischen politischen Führern gedient zu haben, so daß jeweils der weniger populäre aus Athen entfernt wurde, während der beliebtere im Lande blieb.

Das Scherbengericht könnte sich zur Zeit des Kleisthenes gegen die Führer allzu mächtiger Adelcliquen gerichtet haben und hätte damit die Rückkehr alter Bürgerzwiste verhindern sollen. Die Tyrannis, die von der Überlieferung als Ursache des Verfahrens genannt wird, dürfte nach der Einschätzung durch Bleicken damals kaum mehr als große Gefahr angesehen worden sein.

415 v. Chr. trat Hyperbolos für einen Ostrakismos ein, der nach allgemeiner Erwartung Alikibiades oder Nikias treffen sollte; die beiden schlossen sich jedoch zusammen und Hyperbolos wurde selbst verbannt (Plutarch, Nikias 11; Plutarch, Alkibiades 13; vgl. Plutarch, Aristeides 7, 3 – 4). Nach diesem Ereignis stand der Ostrakismos zwar theoretisch weiter zur Verfügung, wurde aber nicht mehr angewandt und zwar nicht deshalb, weil Hyperbolos ein unwürdiges Opfer war (so Plutarch), sondern weil die Verbannung die Unzuverlässigkeit des Verfahrens deutlich gemacht hatte. Es schien deshalb besser, einen Prozeß direkt gegen den Gegner anzustrengen.

Vermutlich stimmten einige Leute gegen ihre persönlichen Feinde, doch jemand, der eine große Anzahl von Stimmen auf sich vereinigte, war wohl eine Person des öffentlichen Lebens, gegen die man aus politischen Gründen votierte. Es war möglich, gegen eine Person, auf die man zielte, eine Kampagne zu organisieren: Ein Hortfund vom 100 Ostraka (Tonscherben) gegen Themistokles zeigt nur 14 verschiedene Handschriften.

garryowen 
Fragesteller
 02.11.2011, 20:54

danke, sehr ausführlich und hilfreich

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In der Amtsperiode der 6. Prytanie, also im sechsten der zehn Jahreszehntel (Anfang Februar bis Mitte März) eines jeden Jahres, stimmte die Volksversammlung ohne Aussprache darüber ab, ob ein Scherbengericht durchgeführt werden solle. War dieser Entscheid positiv, so fand – wohl im nächsten Monat, jedenfalls vor der 8. Prytanie –, die „Ostrakophorie“ („Scherbentragen“) statt. Eine Liste der „Kandidaten“ gab es nicht, sondern jeder Bürger konnte auf seine „Stimmkarte“ schreiben, wen er der Stadt verwiesen haben wollte. Es konnte jeweils nur einen einzigen treffen. Insgesamt mussten 6000 Stimmen gegen den Kandidaten gerichtet sein, der die Stadt verlassen sollte. http://de.wikipedia.org/wiki/Scherbengericht

garryowen 
Fragesteller
 09.12.2010, 19:57

also im klartext wenn nicht 100% fest stand wer der louser ist, gabs keins weil sonst hätte es ja auch einen selber treffen könnte. erinnert mich irgentwie an heute. Also meine idee fänd ich besser einer wird immer gewählt

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