Wieso sollte man Perfekt und Präteritum im schriftlichen Deutsch verwenden?!

5 Antworten

Früher gab es glaube ich noch keine einheitliche Regelung für so was. Daher könnte das kommen. Die Rechtschreibung wurde übrigens auch erst in der zweiten Hälfte des 19.Jh. "erfunden".

Woher ich das weiß:Hobby – Ich bin C2-zertifiziert in Englisch.

Der englische Aspekt-Unterschied zw. Imperfekt und Perfekt war auch im Deutschen vorhanden, aber schon im 18. Jh. wurde er nicht mehr empfunden, wie der Schlusssatz von Werthers Leiden zeigt:

Um zwölfe mittags starb er. Die Gegenwart des Amtmannes und seine Anstalten tauschten einen Auflauf. Nachts gegen eilfe ließ er ihn an die Stätte begraben, die er sich erwählt hatte. Der Alte folgte der Leiche und die Söhne, Albert vermocht's nicht. Man fürchtete für Lottens Leben. Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet.

Da finden sich beide grammatischen Zeitfornen für dieselbe Realzeit. Goethe benützte also die Perfekt-Form bereits in ganz anderer Weise, nämlich um damit einen kräftigen stilistischen Schlusspunkt für das ganze Werk zu setzen: Kein Geistlicher hat ihn begleitet.

Du würdest mit einer dem englischen Sprachgebrauch entsprechenden Verwendung der Zeiten im Deutschen wahrscheinlich keinen Erfolg haben, obwohl ja traditionell die "Mitvergangenheit" in der Schule als "Erzählzeit" - d.h. die Zeit für das Berichten von Vergangenem - gelehrt (und gefordert) wurde (beachte dieses Präteritum). Wozu das Perfekt aber überhaupt existiert, hat man das je erklärt?

Dem Beitrag von earnest ist nur noch hinzuzufügen, dass  Präteritum und Perfekt nicht mal die gleiche Zeitstufe ausdrücken.

Im Perfekt reden wir von der abgeschlossenen Gegenwart. Wir sind noch im Hier und Jetzt.

Im Präteritum reden wir von der einfachen Vergangenheit. Das ist grundlegend etwas anderes. Die Handlung im Präteritum liegt bereits in der Vergangenheit, die im Perfekt noch in der Gegenwart. Und schon kennen wir die Fehlerquelle, weshalb das Perfekt das Präteritum mehr und mehr ersetzt. Diesen Unterschied kennen die meisten nicht mehr.

Das Perfekt wird immer in einer scheinbaren "Vergangenheit" gelehrt, obwohl es totaler Müll so ist. Nicht umsonst muss in Aufsätzen, die das Präsens verlangen, als gleiche Zeitstufe für die Wiedergabe der im Roman vergangenen Taten mit dem Perfekt und eben nicht mit dem Plusquamperfekt umschrieben werden. Diese Aufsätze verlangen die GEGENWART. Nichts anderes.

Den hervorragenden Beiträgen von earnest und koschutnig möchte ich nur noch hinzufügen, dass das Pröteritum im Deutschen MEIST, aber nicht immer, Scriftsprache ist, wöhernd as Perfekt in der Umgangssprache die übliche Zeitform ist.

Bei einigen Verben aber das Präteritum auch in der Alltagssprache üblich: z.B. Ich war ; Ich hatte; Er stand; Sie lag u.a.

Kaum jemand aber würde sagen: Gestern genoss ich das Frühlingswetter. ODER: Ich schwamm gestern im Hallenbad.

Für Deutsche ist der fast durchgängige Gebrauch des Perfekt ein Problem, wenn sie Englsch lernen, weil in der Sprache strenge und auch komplizierte Tempusregeln herrschen. Typischer Fehler: "Yesterday I have met a friend".

Das englische Present Perfect hat mit dem deutschen Perfekt - leider - nur die Form gemeinsam. "Leider" deswegen, weil hier eine der Hauptfehlerquellen für deutsche Englischlernende liegt. Schau mal:

-Ich kaufte ein Hemd. Ich habe ein Hemd gekauft. (Inhaltsgleichheit, nur 1x eher Schriftsprache)

-I bought a shirt. (abgeschlossen, neutral)

-I've bought a shirt. (zwar ist der Vorgang des Kaufens abgeschlossen, aber die Folgen sind sichtbar: es ist zu klein; ich muß es umtauschen.)

Die "Parallelität" geht völlig verloren, wenn ich z.B. "gestern" einsetze:

-Ich kaufte gestern ein Hemd. Ich habe gestern ein Hemd gekauft. (wie oben)

-Yesterday I bought a shirt. (Nur Past ist hier möglich.)

Wenn ich hier, parallel konstruiert, "Yesterday I've bought a shirt" schreibe, dann tappe ich in die Falle, genau wie Hunderte von Schülern jeden Tag.

Auch wenn es Dir vielleicht dumm vorkommt, aber hier ist Deutsch wirklich nicht gleich Englisch. Diese Schein-Parallelität ist eine der Hauptfehlerquellen für deutsche Englischlerner.

Gruß, earnest