Wieso glauben viele Deutsche, dass man ihnen nach wie vor die Schuld am Nationalsozialismus gibt?

Stressika  09.01.2023, 16:29

Danke für den Stern! ,-)

8 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Heutzutage wird immer noch gerne gesprochen über die Zeit kurz vor Ende und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als die Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mittel-Europa, aus der Tschechoslowakei, Polen, Jugoslawien, Ungarn und Rumänien, wo sich Deutsche vor Jahrhunderten angesiedelt hatten, begann. Es wird dabei leider zu oft der direkte Versuch unternommen das eine gegen das andere aufzuwiegen. "Die Deutschen waren schlimm, aber die anderen..."

Es war nach dem 2 Weltkrieg ein langer Lernprozess, der einige Jahre benötigte um die deutsche Bevölkerung aus ihrer festen Verankerung mit dem NS-Regime zu holen und ihnen das Bewusstsein für die Aufarbeitung mit diesem Teil der Geschichte zu geben. Aufgrund dieser langen Wege ist es gelungen der heutigen Bevölkerung die grausamen Taten eines verbrecherischen Systems näher vor Augen zu führen, als es in den direkten Jahren nach Kriegsende und weit darüber hinaus möglich war. Eine hohe Anzahl der deutschen Bevölkerung möchte die Geschichte der Judenverfolgung und die Verbrechen des Nazi-Regimes hinter sich lassen("am besten vergessen"). Allein die Aussage "am besten vergessen" zeigt hierbei, das es diesen Personen dabei nicht um die Reduzierung der Medienberichte und ähnlichem geht, sondern pauschal um einen kompletten Schlussstrich unter diesen Teil der deutschen Geschichte. Die Akzeptanz der Bevölkerung sich mit dieser Geschichte, auch unser Großeltern und Ur-Großeltern weiterhin auseinanderzusetzen und den Zusammenhang mit der Gegenwart zu erkennen, hat sich seit der immer präsenten Erinnerungskultur in Deutschland fast verdoppelt. Fakt ist, die Vorfahren vieler deutscher waren in gewaltiger Anzahl, Täter und Mitwisser.

Die Verantwortung in Deutschland ist eine besondere, denn es war schließlich hier, wo Juden aus ihren Wohnungen gezerrt wurden, um in Ghettos oder Konzentrationslager deportiert zu werden, wo sie erschöpft und systematisch ausgehungert starben oder in Gaskammern ermordet wurden. Wer in Deutschland lebt und Teil dieser Gesellschaft ist, wer das Land verstehen will, muss den Nationalsozialismus und den Holocaust kennen. Nicht im Sinne von Schuld, sondern von Verantwortung. Dabei spielt es keine Rolle, woher die eigenen Vorfahren stammen. In diesem Punkt gibt es eine Gemeinsamkeit, die Deutsche und Zugewanderte bzw. ihre Nachfahren teilen können und müssen. Nein, der Holocaust wird sicherlich nie vergessen sein!

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Geschichte Schwerpunkt Deutsches Reich / Nationalsozialismus
JoshuasFragende 
Fragesteller
 05.01.2023, 11:20

Sehr gute und ausführliche Antwort. Danke dafür. Ich stimme dir inhaltlich vollkommen zu.

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Von Experte Udavu bestätigt

Das Problem ist das diese Dokus nicht der Kern dieser Empörung ist, sondern diese sich dort lediglich entlädt. Es ist ja zu teilen nicht ganz unwahr, dass man zu teilen die deutschen immer gerne damit assoziiert oder zu teilen damit diffamiert (zumindest wenn es in einem Moment dienlich ist). Lustiger weiße kommt dies Prügelkultur auf Deutschland hautsächlich von Nationalkonservativen aus dem Ausland selbst, die gerne sich als Opfer unter Deutschland sehen, so wie damals und damit auf stimmen fang gehen. Kannst du dich noch an die Griechen in der Euro Finanzkreise erinnern? Wie sie Merkel mit Hakenkreuz Armbinde abgebildet haben? Griechische Abgeordnete die selbst dem extrem rechten Lager angehören die im EU Parlament von dem vierten Reich sprachen? Das sind nur ein paar Beispiele, fakt ist aber das es Tendenzen immer dazu gibt und geben wird.

Gleichzeitig versuchen hiesige Nationale die Geschichte konsequent auszublenden, gar es darstellen zu wollen als wären die Nazis paar Außerirdische gewesen die 1933 gelandet und 1945 wiederum abgereist sind. Die Aussagen von anderen aus dem Ausland macht dieses Schuldgefühl noch dazu Medial Gesellschaftsfähig bei uns und beflügelt das Ganze, dieses Gefühl ,,Wir werden immer noch als Täter angesehen“ und somit werden auch die deutschen selbst wiederum zu „Opfer“. Das ganze verstärkt sich anschließend durch die eigene Relativierung und so sollen die deutschen nur Opfer das NS damals und so wie so wie heute vom Ausland gewesen sein. Ob es Rational ist und diese Einstellung wirklich die Mehrheit im Ausland über uns hat ist dabei irrelevant, es geht hier viel mehr um ein Empfinden und die Dienlichkeit zu sagen,, Wir sind die Opfer von heute“. Denn damit kann man vielleicht den Scharm der Schuld und die Beschmutzung der angeblich weißen (deutschen) Weste kompensieren.

Wohlgemerkt, dieser groteske gedankengang hat bei den Österreichern wunderbar funktioniert, gleichwohl fast die Hälfte der NS-Riege und Kriegsverbrecher aus Österreicher bestand, haben die es wirklich hinbekommen sich als erstes Opfer der NS-Eroberungen hinzustellen und sie selbst sind absolut überzeugt davon.

Dass die Schuldfrage immer ein Problem ist sehen wir auch am Beispiel Japans. Bis heute gab es nie wirklich dort eine Aufarbeitung ihrer Vergangenheit, geschweigenden ein gesellschaftliches Eingeständnis. Die Japanische Gesellschaft als Ganzes leugnet oder verdreht die Geschichte, liegt wohl daran das gerade für die Japaner der Scham zu groß wäre und gerade in dieser Kultur ist das ja der worst case. Von daher ist das Ganze auch Politisch und nicht nur Gesellschaftlich so gewollt. Hin und wieder auf Druck des Auslandes, gerade von Seiten Süd-Koreas gibt es Vereinzelt Eingeständnissen von japanischer Seite. 1993 etwa gab die damalige Regierung die "Rekrutierung" von "Trostfrauen" zu und entschuldigte sich. 2007 allerdings meinte der amtierende Regierungschef Shinzo Abe, es würde keine Beweise für Zwangsprostitution geben.

Worauf ich hinauswill! Natürlich gibt es einzelne Individuen die die Vergangenheit kategorisch ablehnen und aus Stolz heraus alles Negative ausblenden wollen was unsere Geschichte betrifft. Extremer ist es noch bei Staaten wie Japan, wo es sogar in der Politik stattfindet.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Dr. oec. publ. (Volkswirtschaft)
JoshuasFragende 
Fragesteller
 05.01.2023, 11:24

Danke für die ausführliche und aufschlussreiche Antwort!

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Diese Aufregung betreiben diese Leute ununterbrochen, und zwar seit 77 Jahren. Seit der Kriegsniederlage beteuern sie emsig, dass "mal ja auch Schluss sein" müsse. Allerdings sind sie sehr viel weniger, als sie im Netz den Eindruck zu erwecken versuchen. Auch hier. :)

JoshuasFragende 
Fragesteller
 05.01.2023, 10:32

Tatsache, schon seit Kriegsende?! Das war mir tatsächlich neu. Überraschen tut es mich aber nicht.

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CIDBarnaby  05.01.2023, 10:38
@JoshuasFragende

Die älteste Verbal-Zementierung dieser Vorstellung ist in der ... nennen wir es ruhig: Sprachregelung "Stunde null" aufgehoben. Vor "null" kann eigentlich "nichts" gewesen sein.

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JoshuasFragende 
Fragesteller
 05.01.2023, 10:44
@CIDBarnaby

Eigentlich beschreibt die Stunde Null einen Neustart oder auch den ersten Moment nach einer großen Katastrophe. Ich finde nicht, dass das wie ein Euphemismus klingt.

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Diese Verleugnung der Geschichte ist nicht neu, einfältige Gemüter sehen ihren tristen Alltag und sind damit voll ausgelastet. Du hast schon Recht es zu bemerken, das sie nach fast 80 Jahren davon nichts mehr hören wollen, aber was ist dann mit der Geschichte, sollte diese eventuell 50 Jahre zurückreichen und dann Schluss damit?

Dieser Crash an der Börse in New York bescherte DE 6 Millionen Arbeitslose, weil sie weltweit durchschlug. Das bewirkte mit, das 1932 die NSDAP bei den Reichstagswahlen die Stimmenmehrheit erreichte, weil sie großmäulig Lohn und Arbeit versprach. Dabei wurde sie von der katholischen Zentrumspartei unterstützt und das weitere Ergebnis ist dann 1933 gewesen und zwar in einer dann undemokratischen Wahl, das sie wieder vorne lagen und der greise Hindenburg Hitler zum Reichskanzler kürte, obwohl er genau wissen musste welch Geistes Kind Hitler gewesen ist. Erst 1932 erzwang die NSDAP in Braunschweig, das dort die Voraussetzungen fuer eine Kanzlerschaft Hitlers möglich wurde, durch die Eindeutschung des Österreichers Hitler.

Somit heißt es klipp und klar DE hatte seinen eigenen Henker sich gewählt und das sollte schon jeder Wissen. Das es ein Unglücksfall wurde, stellte sich erst spaeter heraus, das er aber alles auf Krieg setzte, wusste man auch.

Somit ist dieser Vorgang schon wichtig, das den die Deutschen kennen und richtig einschätzen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagswahl_November_1932#:~:text=Im%20November%201932%20gingen%201,Mandate%20von%20230%20auf%20196.

https://www.grin.com/document/207996

JoshuasFragende 
Fragesteller
 05.01.2023, 17:28

Danke für deine Antwort. Sehe ich auch so wie du.

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Liegt schlicht daran, daß die sogenannte Erinnerungskultur nicht zur Erinnerung dient, sondern ein beschönigender Begriff für Rache oder Revanchismus ist.

JoshuasFragende 
Fragesteller
 05.01.2023, 10:16

Was führt dich zu dieser Überzeugung?

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