Weshalb ist Perchlorsäure stärker als Fluorwasserstoff, obwohl Fluor elektronegativer ist als Chlor?

3 Antworten

Das liegt u.a. an den Effekten der Elektronegativitäten der beteiligten Elemente.

Im Fluorwasserstoff liegt eine einfache kovalente Bindung vor. Da das Fluoratom relativ klein ist, existiert eine noch verhältnismäßig starke Bindung zwischen dem F und H. Anders bei beispielsweise dem Iodwasserstoff HI, wo durch die schiere Größe des I eine so kleine effektive Anziehung zum H existiert, dass HI die stärkste der Halogenwasserstoffsäuren ist.

Bei der Perchlorsäure haben die O-Atome am Chlor einen elektronenziehenden Effekt, wodurch die Elektronendichte über das Chlor hinweg auch von der Bindung zwischen O und H weggezogen wird. Dadurch wird die Bindung zwischen H und ClO4- so polar, dass die H quasi zu 100% in der Lösung abspringen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Chemiestudium

Bei Deiner Frage kommen mehrere Teilfragen zusammen. Du siehst die Säure HF als eine sehr starke Säure an. Von den Halogenwasserstoffsäuren ist sie aber die schwächste. Das soll jetzt zuerst geklärt werden.

Zunächst einmal die Säurestärken der Halogenwasserstoffsäuren:

pKs(HI) = -9,3 pKs(HBr) = -8,9 pKs(HCl) = -6,1 pKs(HF) = 3,19

Nun zur Erklärung:

Die Leichtigkeit, mit der ein Proton aus einem Säuremolekül H-X (X ist ein Halogen) abgespalten wird, wird in erster Linie durch die Elektronegativität des Atoms X und in zweiter Linie von der Bindungslänge zwischen H und X beeinflusst. Je stärker elektronegativ X ist, desto mehr liegt der Schwerpunkt des bindenden Elektronenpaares beim Atomrumpf von X (umso polarer ist die Bindung) und umso leichter spaltet sich H als Proton ab. Da F die größte Elektronegativität hat, müsste HF die stärkste Säure sein. Das war auch Deine Überlegung.

Bei den Halogenwasserstoffsäuren macht sich die Bindungslänge und damit die Energie zur Spaltung von H-X besonders stark bemerkbar. Im HF-Molekül liegt die das H-Atom bindende Elektronenwolke durch den großen Atomrumpf des Iodatoms weit von den sie anziehenden Protonen des Iodatomkerns entfernt. Das H-Atom kann durch eine Base leicht als Proton vom Iodatom (dieses bleibt als Iodidion zurück) abgetrennt werden. Der Effekt der Bindungslänge überwiegt den Effekt der Elektronegativität.

 

Nun sprichst du die Perchlorsäure an, die zu den sehr starken Säuren, genauer gesagt zu den Supersäuren, gehört. Diese unterscheiden sich voneinander dadurch, wie schnell das abgespaltene Proton vom Wassermolekül aufgenommen wird. Die Erklärung hierzu gehört in den Bereich der Theoretischen Chemie und diese ist weit weg vom Chemiestoff eines Gymnasiums angesiedelt.


iddly 
Fragesteller
 22.01.2022, 17:29

Oh, tausend Dank! So super nett, schreibt ihr mir alle derart kompetente Antworten. Jetzt, mit dem Hinweis auf die Bindungslänge ist es mir schon klarer. Einzig: Warum spaltet sich denn bei grösseren Halogenwasserstoffsäuren der unteren Perioden, nicht das H mitsamt dem Elektron ab? Warum kann das X die Elektronen behalten, während nur das Proton freigegeben wird? Vielleicht geh ich zu sehr ins Detail. Lerne nämlich im Selbststudium für die Matura. Also, falls die Erklärung zu kompliziert ist, brauchst du nicht darauf einzugehen ...

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Ich vermute, es geht hier um die Säurestärke der beiden Verbindungen? In diesem Fall beinhaltet die Frage schon die Antwort:

Perchlorsäure ist eine stärkere Säure als Fluorwasserstoff nicht obwohl, sondern (unter anderem) WEIL Fluor die höhere Elektronegativität hat.

Betrachten wir zunächst nur die Halogenwasserstoffe: Die Elektronegativität der Halogene sinkt innerhalb der Gruppe ab, das bedeutet: Die Fähigkeit des Halogens, Elektronen zu sich zu ziehen, und damit die Stärke der Bindung zum Wasserstoff-Atom, nimmt ab. Die H-F-Bindung ist also stärker als die H-Cl-Bindung usw. Da eine Säure umso stärker ist, je leichter sie in ihr Säureanion und ein Proton dissoziiert, ist somit HI die stärkste der Halogenwasserstoffsäuren, und HF die schwächste.

Bei der Perchlorsäure liegt die Situation etwas anders: Da Sauerstoff eine höhere EN als Chlor besitzt, ziehen die Sauerstoffatome die Elektronen des Chlors und seiner Bindung zum H zu sich hin. Die H-Cl-Bindung wird also im Vergleich zur reinen Salzsäure nochmals geschwächt, wodurch sich die Dissoziationsfähigkeit der Säure erhöht.

Ergo ist Perchlorsäure eine erheblich stärkere Säure als Fluorwasserstoff. Achtung: Das bedeutet nicht, dass Perchlorsäure grundsätzlich gefährlicher ist als Fluorwasserstoff!

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

iddly 
Fragesteller
 22.01.2022, 17:21

Danke vielmals für die ausführliche Antwort. Tut mir leid, ich kapier's nicht ganz, obwohl du es sehr gut zu erklären scheinst. Ich habe wohl grundsätzlich was nicht verstanden. Denn ich ging davon aus, eine Säure sei umso stärker, je höher die Anziehung zwischen dem Säurerest und dem Elektron des H. Wenn sich der Säurerest die Elektronen der H schnappt, spaltet sich das Proton doch ab ...? Ist es also nicht so, dass je stärker die Bindung zwischen H und Rest, desto eher dissoziiert Säure?

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Knallfrosch24  22.01.2022, 18:10
@iddly

Alles gut, das Thema ist leider nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint, und es gibt hier für jede Regel Ausnahmen. Die zahlreichen "wenn A stärker, dann B schwächer"-Zusammenhänge sind da auch nicht hilfreich :D

Ist es also nicht so, dass je stärker die Bindung zwischen H und Rest, desto eher dissoziiert Säure?

Nein, dem ist nicht so; je schwächer die Bindung zwischen Wasserstoffatom und Säurerest, desto leichter dissoziiert die Säure. Oder anders: Je stabiler das undissoziierte Säuremolekül, desto schwächer ist die Säure.

Hier ist es so: Die H-F-Bindung ist relativ stabil, sodass HF nicht leicht dissoziiert. Die Gründe für die große Bindungsstärke des HF werden in der Schule fehlerhafterweise oft auf die hohe Elektronegativität des Fluors reduziert, was jedoch zu verschiedenen Trugschlüssen führen kann. Lass es mich so beschreiben: Die H-F-Bindung ist stabil, weil Fluorid und das Proton beides sehr kleine Ionen sind, die auf ihre geringe Größe eine hohe Ladungsdichte vereinen. Sie "passen" gut zueinander.

Die Perchlorsäure beinhaltet nun mehrere Sauerstoffatome, die elektronegativer sind als das Chloratom. Das bedeutet: Die Elektronen des Chlors und des H-Atoms werden in Richtung der Sauerstoffatome gezogen. Die Bindung zwischen Cl und H wird dadurch geschwächt. Deshalb ist Perchlorsäure eine starke Säure.

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iddly 
Fragesteller
 22.01.2022, 20:42
@Knallfrosch24

Deine Antwort ist wirklich sehr hilfreich. Merci vielmals!!!

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