Wenn wir in Deutschland 500 Jahre in die Vergangenheit reisen könnten, würden uns die Leute bzw. wir sie verstehen, wenn man sich mit denen unterhalten würde?

12 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Das hängt davon ab, wie weit dein Bemühen geht, verstanden zu werden.

Ein Jugendlicher, der nur die derzeitige Jugendsprache benutzt, würde kaum verstanden werden, aber das ist ja schon bei mir teilweise der Fall. Spricht jemand Standarddeutsch (auch dialektal gefärbt oder stark umgangssprachlich), dann verstehe ich ihn natürlich. Aber ich verstehe viele Abkürzungen und Ausdrücke derjenigen Jugendlichen nicht, die sich nur in ihrer Jugendsprache artikulieren. Sollen sie sich standardsprachlich ausdrücken, dann sprechen sie oft derart umständlich, in verdrehten Satzstrukturen und mit falscher Grammatik, dass man auch als Deutscher von ihrem Kauderwelsch kaum etwas versteht. Und nicht wenige Jugendliche haben heute leider einen so reduzierten standarddeutschen Wortschatz, dass sie oft schon bei ganz einfachen Ausdrücken nachfragen müssen, was das bedeutet.

Gehen wir aber mal von normalem, korrektem Sprechen aus: Sprächen wir unser heutiges Standarddeutsch in einem etwas langsameren Tempo, dann würden uns normal intelligente Menschen im Jahre 1520 höchstwahrscheinlich verstehen, soweit wir nicht über Dinge reden würden, die es damals noch nicht gab oder die die betreffenden Leute nicht kannten. Uns ginge es umgekehrt genauso. Viele Alltagsdinge von damals sind in Vergessenheit geraten; wir könnten mit den Ausdrücken dafür wahrscheinlich nicht viel anfangen und verstünden diese auch nur, wenn wir uns speziell mit dieser Zeit (mit bestimmten Berufen, Dingen aus dem Alltagsleben etc.) beschäftigt hätten. Besonders gut klar kämen wir wahrscheinlich dort, wo Mittelhochdeutsch gesprochen wurde, also in der südwestlichen Region bis hin in die deutsche Schweiz (Alemannisch bzw. Schwyzerdütsch) oder eben in Sachsen.¹ Das erste auf Neuhochdeutsch verfasste Werk war Luthers Bibel (orientiert am Meißner Amtsdeutsch/Kanzleideutsch). Jeder sprach den Text in diesem ja nur schriftlich verbreiteten Werk aber unterschiedlich aus.

¹ Die Norddeutschen, die um 1500 herum nur Niederdeutsch sprachen, wurden damals von den wenigsten anderen Deutschen verstanden - wie heute übrigens auch, ist Niederdeutsch doch kein Dialekt, sondern eine eigenständige Sprache (mit wiederum unterschiedlichen Dialekten). Die Norddeutschen mussten deshalb damals Neuhochdeutsch tatsächlich wie eine Fremdsprache lernen. Daher rührt es wohl auch, dass sie in der Folge das Hochdeutsche (heute Standarddeutsch) sauberer aussprachen als die Deutschen im Süden, die schon immer Hochdeutsch -allerdings im jeweiligen Dialekt - gesprochen hatten.

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Selbst vom Anfang dieses noch viel älteren Sangspruchs (1198!) von Walter von der Vogelweide kannst du doch sicher einiges verstehen, wenn ich dir sage, dass das "ch" in der Kehle gesprochen wurde (nicht wie in Milch, sondern wie in Dach) und das "k" wie in der Schweiz kch, "st/sp" wie heute auch schp/scht und "ei" vermutlich wie e-i (nicht wie auf Deutsch Mai, sondern wie auf Englisch day):

  • Ich saz ûf eime steine
  • und dahte bein mit beine.
  • darûf satzt ich den ellenbogen
  • ich hete in mîn hant gesmogen
  • daz kinn und ein mîn wange.

edgar1279 
Fragesteller
 25.09.2023, 14:40

Vielen Dank für die ausführliche Antwort

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spanferkel14  26.09.2023, 13:11

🌿🌷Vielen Dank für deinen Stern. 🌺🍃

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Verstehen ja. Auch wenn die Sprache damals mehr an Höflichkeit, in für uns verdrehten Sätzen, geredet wurde.

Es gab aber auch einen grösseren Unterschied zwischen Landwirten, Berufen und dem Adel. Aber da gibt es ja heute auch noch Unterschiede.

In etwa würde man die Sprache wohl noch entfernt erkennen, ein paar Dinge verstehen oder aus dem Zusammenhang deuten können. Vielleicht könnte man sich sogar noch halbwegs irgendwie verständigen.

Eine ziemlich große Hürde stellt aber sicherlich die komplett andere Gesellschaft dar. Selbst die einfachsten Dinge sind doch nur sehr vage dieselben und überhaupt ähnlich, dagegen sehr viel komplett ganz anders. Da stelle ich mir ein Gespräch sehr schwierig und seltsam vor, selbst bei entsprechender Vorbereitung.

Damals wurde überall Dialekt gesprochen. Das Hochdeutsche war nicht einmal als Amtssprache gebräuchlich, also nicht als gesprochene Sprache sondern allenfalls als Schrifsprache. Eine gemeinsame verbindende Deutsche Sprache gab es eher nicht. Und am Hofe wurde wohl eher das Französische gepflegt.

Du hättest dich dan halt durch die lokalen Dialekte durchkämpfen müssen.

Da konnte Keiner Hochdeutsch sprechen. Für Uns wäre der Dialekt kaum zu verstehen. Schon bei den alten Aufschriften kommt man ins Grübeln.