Welche Liedform hat dieses Stück und ist es eher A-A‘ oder a-b-a‘-b‘?

1 Antwort

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hallo Alexldr,

das Stück ist eine 16-taktige Periode mit Vorder- und Nachsatz - weiter nichts. Vorder- und Nachsatz haben jeweils 8 Takte.

Eine formale Analyse ist nur möglich oder sinnvoll, wenn eine mehrteilige Form vorliegt. Das ist hier jedoch nicht der Fall, es ist nur ein Teil.

LG

Alexldr 
Fragesteller
 08.01.2024, 22:45

Muss bei einer Periode der Vordersatz nicht auf der Dominante enden und der Nachsatz auf der Tonika? Das ist hier nicht der Fall. Und auch eine Phrasenwiederholung findet nicht wirklich statt, b.z.w. Wird diese sehr verändert und mündet in die Zwoischendominante…

und woher weiß man, dass es nur ein Teil ist?

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Arlecchino  08.01.2024, 23:49
@Alexldr
Muss bei einer Periode der Vordersatz nicht auf der Dominante enden...

Bei der klassischen Periode ist das so. 'Klassisch' sowohl auf die Epoche Klassik bezogen wie auch als 'vorbildlich' gemeint. Aber wir sind hier in der Romantik, die vieles freier handhabt als es in der Klassik der Fall war.

Natürlich muss man den Tonsatz beherrschen, wenn man analysieren will. Aber die Analyse hat nur dann Sinn, wenn sie beschreibt, was man hört. Und in Takt 8 hört man den Schwebezustand, der sonst (meist) durch den Halbschluss erreicht wird, durch die Tonika mit der (nicht schlussfähigen) Quinte im Bass.

Und auch eine Phrasenwiederholung findet nicht wirklich statt...

Das muss ja auch nicht sein. Der Nachsatz beginnt dem Vordersatz sehr ähnlich, führt zu einer Klimax und endet im Vollschluss. Betrachte die Takte 7 und 8, die in die 'Schwebe' führen, und die Takte 15 und 16, die in den Ganzschluss führen.
Diese 16 Takte haben mehr mit einem klassischen Thema gemeinsam als man auf den ersten Blick wahrnimmt.

... und woher weiß man, dass es nur ein Teil ist?

Die 16 Takte bilden eine Einheit. Es reiht sich Satzmotiv an Satzmotiv, es gibt keine Zäsur. Lass das Stück auf Dich wirken, dann hörst Du's auch. 😉

Es ist schön zu beobachten, wie Du ernsthaft an der Sache arbeitest!

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Arlecchino  08.01.2024, 23:53
@Alexldr

Ich muss den zweiten Absatzes meiner Antwort korrigieren. Natürlich ist es auch sinnvoll, ein Thema oder eine Periode zu analysieren.

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Alexldr 
Fragesteller
 09.01.2024, 13:43
@Arlecchino

Was meinen Sie mit Satzmotiv und klassischem Thema?

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Alexldr 
Fragesteller
 09.01.2024, 13:47
@Alexldr

Achse, verstehe, das Ganze bildet ein Thema, das aus einem Sehnsuchtsmotiv besteht, welches 4mal variiert wird, oder?

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Alexldr 
Fragesteller
 09.01.2024, 13:47
@Alexldr

Und kann man von einer einteiligen Liedform sprechen?

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Arlecchino  09.01.2024, 14:29
@Alexldr
Was meinen Sie mit Satzmotiv und klassischem Thema?

Teilmotiv: Länge eines halben Taktes
Motiv: Länge eines Taktes
Satzmotiv: Länge von zwei Takten

Klassisches Thema: Eine 'Periode'

Üblich ist hier übrigens das 'Du', aber das kannst Du halten wie ein Dachdecker.

... das Ganze bildet ein Thema, das aus einem Sehnsuchtsmotiv besteht, welches 4mal variiert wird, oder?

Ich tue mich mit Begriffen wie 'Sehnsuchtsmotiv' ein bisschen schwer, weil damit eine deutlich subjektive Komponente ins Spiel kommt. Aber Du kannst ihn verwenden.

Das Satzmotiv der Takte 1 und 2 wird 7 Mal variiert.

Und kann man von einer einteiligen Liedform sprechen?

Ja.

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Arlecchino  09.01.2024, 17:35
@Alexldr

Es kommt ein erstes Mal und dann weitere sieben Male. Macht in der Summe acht. Oder zähle ich falsch?

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Alexldr 
Fragesteller
 09.01.2024, 17:49
@Arlecchino

Achso, ja. Herzlichen Dank für die ausführlichen Antworten!

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Alexldr 
Fragesteller
 09.01.2024, 23:20
@Arlecchino

Wobei, ich hätte tatsächlich noch eine Frage: handelt es sich um einen authentischen Ganzschluss oder wie würde man das in dem Fall nennen? Und kann ich Takt 1-4 als Phrase und Takt 5-8 als Gegenphrase mit Halbschluss, dann 9-12 als Phrasenwiederholung mit einer Klimax und 12-16 als Schluss mit Ganzschluss?

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Arlecchino  10.01.2024, 00:22
@Alexldr
handelt es sich um einen authentischen Ganzschluss 

Ja.

Und kann ich Takt 1-4 als Phrase und...

Ganz so einfach ist es nicht. Könntest Du Dich damit anfreunden:
"Das Stück verbindet das Prinzip der Periode 'Phrase - Gegenphrase - Phrase –Schlussphrase' mit dem Fortspinnungsprinzip." Ich denke, das beschreibt die Struktur treffend.

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Alexldr 
Fragesteller
 10.01.2024, 17:10
@Arlecchino

Welche Elemente des Fortspinnungstypus hat es? Weil die Quintfallsequenz bei der Fortspinnung und die Kadenz im Epilog sind ja nicht enthalten…

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Arlecchino  10.01.2024, 18:45
@Alexldr

"In seiner Wirkung zeichnet sich der Fortspinnungstypus nach Kühn durch „fließendes Weitertreiben“ (statt Symmetrie) und „ungehinderte motivische Energie“ (statt „entgegengestelltem Kontrast“), bzw. durch „Bewegung statt Gleichgewichtaus."

Findest Du hier. (Hervorhebungen von mir.)

Chopin hat nicht wie Haydn oder Riemann gedacht. Irgendwann muss man auch mal beschreiben - hier mit dem Begriff 'Fortspinnung' - ohne bis ins Letzte die Musik von X in die Form von Y zu pressen.

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Alexldr 
Fragesteller
 10.01.2024, 21:13
@Arlecchino

Bedeutet: man erkennt dies daran, dass das Stück nicht starr der Form folgt, sondern, dass die Teile ineinander überfließen und somit im Grunde genommen variiert wird.

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