Weiß jemand den Grund warum Vorkriegs-Automobile oft so extrem niedrig-tourige Motoren mit wenig Literleistung und dafür riesigen Hubräumen hatten?

3 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Dafür gibts nicht nur einen Grund, dafür gabs viele. Einige kann ich hier aufzählen.

Gehen wir von der Formal aus:
P = M * n

Leistung ist Drehzahl mal Drehmoment. An beidem fehlte es den Vorkriegsmotoren. Nehmen wir als Beispiel den Motor M136, der im Vorkriegsmercedes V170 eingebaut war: Benzin, 1,7 l, 38 PS, 3400 min^-1, Verdichtung 6,5:1

Drehzahl:

Die Drehzahl war durch mehrere Faktoren begrenzt. Das waren Langhuber mit großen schweren Kolben:
https://cdn.webshopapp.com/shops/57675/files/114971603/kolben-m136-755-mm.jpg

Die Kurbelwelle war nur 3-fach gelagert,wodurch sie nicht besonders biegefest war, die Lager auch nur begrenzt belastbar waren und die damaligen Pleuel hätten kaum höhere Kolbengeschwindigkeiten vertragen, zumal das auch wegen des besseren Drehmoments bei niedrigen Drehzahlen ziemlich Langhuber waren (Bohrung 73,5 mm, Hub 100 mm).

Desweiteren war der Ventiltrieb drehzahlbegrenzend. Die Ventile waren seitlich stehend im Motorblock (nicht hängend im Zylinderkopf) angebracht, sehr massiv und schwer und wurden von einer untenliegenden Nockenwelle angetrieben.

https://www.allmayer.com/wp-content/uploads/2019/04/DSCN4571-768x576.jpg

Auch die Art des Gaswechsels war ebenfalls stark drehzahlbgerenzend. Die Luft musste mehrfach um die Ecke, was bei hohen Drehzahlen nicht mehr funktioniert. Mehr dazu beim Drehmoment.

Insgesamt führte das zu einer Nenndrehzahl von 3400 min^-1. Mehr wäre bei der damaligen Konstruktion nicht möglich gewesen.

Nun zum Drehmoment

Das maximale Drehmoment lag schon bei 1800 min^-1 an und Betrug auch nur 100 Nm. Dieses niedrige Drehmoment bei niedriger Drehzahl hat mit dem miesen Gaswechsel zu tun.

Ein- und Auslasskanäle lagen auf einer Seite des Motorblocks,

https://www.picclickimg.com/d/l400/pict/302203130312_/Motor-Mercedes-170-170S-grund%c3%bcberholt-M136-VII-Oldtimer.jpg

wobei sogar die Einlasskanäle für jeweils zwei Zylinder zu einem zusammengfasst waren. Schon beim Einlass musste die Luft um viele Ecken und durch viele Engstellen, siehe kombinierten Ein- und Auslasskrümmer:

https://www.allmayer.com/wp-content/uploads/2020/12/DSC04949.jpg

Am Einlass (Mitte) hing auch ein kleiner Vergaser, der nicht viel Luft durchließ. Im Motor musste dann die Luft noch durch die Ventile durch und dann nochmal um die Ecke rum in den Brennraum, der durch die Ventilanordnung auch noch flach und lang war, was keine gute Verbrennung ergab. Ein-und Auslass lagen auf der selben Seite, was kaum Ventilüberschneidung zuließ, wenn Frisch- und Abgas sich nicht vermischen sollten.

Es kam also eh schon wenig Frischgas in den Zylinder und dann wurde das mit 6,5:1 auch noch recht wenig verdichtet. Höhere Verdichtungen wären mit dem damaligen minderwertigen Sprit kaum möglich gewesen und viel höhere Drücke und Temperatuuren hätte der Motor, insbesonder um den Brennraum herum und was das Material der Auslassventile betrifft, nicht verkraftet.

Das soll erstmal reiche, es gäbe aber noch viele weitere Details, die weiterentwickelt werden mussten, um die Literleistungen für die Nachkriegsmotoren auf etwa das doppelte und mehr anzuheben.

Einer der modernsten frühen Nachkriegsmotoren wurde von NSU gebaut. 1000 ccm, 45 PS, Leichmetalblock, Aluzylinderkopf mit halbkugelförmigen Brennräumen, Querstriomzylinderkopf, V-förmig hängende Ventile, Leichtmetalkolben, 5-fach gelagerte Kurbelwelle. Mit zwei Solex-Doppel-Flachstromvergasern und einem Verdichtungsverhältnis von 10,5:1 brachte der serienmäßig 70 PS (im NSU TTS). 70 PS pro Liter war in den 1960ern eine echte Ansage. Getunt (feingewuchtet, polierte Kanäle etc.) brachte der auch über 85 PS (bei 700 kg Gewicht) und war bei Berg- und Slalomrennen sehr erfogreich, ebenso im Rallyesport.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Habe Motorentechnik im Hauptfach studiert

verreisterNutzer  22.12.2021, 01:29

Na das nenn ich mal eine Antwort.👍👍👍

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Giggling493 
Fragesteller
 22.12.2021, 08:38

Super Danke!!!

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Welcher Krieg? Große Motoren mit relativ wenig Leistung gab es noch um 2000


Giggling493 
Fragesteller
 21.12.2021, 21:25

Naja aber nicht mit 20 PS pro Liter

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hotrod66  21.12.2021, 22:31
@Giggling493

Ich wusste nicht, dass deine Frage regional begrenzt sein sollte.

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Giggling493 
Fragesteller
 21.12.2021, 22:56
@hotrod66

50 PS pro Liter war seit Beginn der Vierventil-Ära bei europäischen PKW-Herstellern schon üblich

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Die Technik war noch nicht so weit, um hohe Drehzahlen zuverlässig und langlebig zu gewährleisten. Da holte man die Leistung aus dem Hubraum.


Giggling493 
Fragesteller
 21.12.2021, 21:41

Ja schon aber warum? Die Stahlsorten die heute verwendet werden gabs auch schon damals

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tinalisatina  22.12.2021, 08:58
@Giggling493

Nein, heute gibt es wesentlich bessere (andere Legierungen). Dazu kommt vor allem die Verarbeitung. Die Präzision ist heute eine ganz andere. Mein alter Chef hat mit erzählt, dass es zum Beispiel bei Motorrädern üblich war, die Kiste erst mal bei Vollgas laufen zu lassen bis der Kolben klemmt. Dann Motor zerlegen und schauen, wo das Problem war und mit feinstem Schleifpapier selbst für saubere Verhältnisse sorgen.

Auch die Kühlung dürfte ein Problem gewesen sein. Die war damals noch nicht so leistungsstark und ausgereift. Wenn die Kisten höher drehen, haben sie schnell überhitzt. 

Die Ventile hatten eine andere Bauart, die höhere Drehzahlen nicht vertragen hätten.

Die Zündverteiler waren relativ primitiv.

Also, da gab es viele Gründe.

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