Was ist die 'Realität'?

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24 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Die philosophische Position, dass nichts außerhalb des eigenen Bewusstseins existiert, nennt man (ontologischen) Solipsismus. René Descartes wollte mit seinem berühmten "ich denke, also bin ich" diese Position widerlegen, scheiterte aber und musste letztlich in einem Glaubensakt Zuflucht nehmen: Gott könne doch nicht so gemein sein, den Menschen derart zu täuschen. Und Immanuel Kant nannte es den Skandal der Philosophie, dass der Solipsismus nicht widerlegt werden kann.

Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass der Solipsismus zwar nicht widerlegbar, aber philosophisch langweilig ist. Und wohl kein Grund zur Beunruhigung, denn es würde vermutlich keinen Unterschied machen, wenn der Solipsismus zuträfe! Meine Wirklichkeit hätte die gleiche Struktur und denselben Erlebnisgehalt, wenn das Universum mein Bewusstsein und mein Bewusstsein das Universum wäre.

Praktischer und einleuchtender erscheint mir die Annahme, dass es "da draußen" etwas gibt, das Anlass zu meinem bewussten Erleben ist. Das ist aber m.E. bereits alles, was wir mit Sicherheit über dieses "Etwas" aussagen können. Diese philosophische Position führt zum sogenannten (radikalen) Konstruktivismus, einem epistemologischen Solipsismus. (Die Begriffe finden sich alle in der Wikipedia.)

Der Konstruktivismus geht davon aus, dass die Wirklichkeit eine Konstruktionsleistung unseres Gehirns ist. Auch der Konstruktivismus selbst ist wieder eine solche Konstruktion. Das macht aber nichts, weil der Konstruktivismus keinen Anspruch auf Wahrheit erhebt, sondern sich mit Brauchbarkeit begnügt. Und wenn man etwa die Aussagen der Neurologie für brauchbar hält, dann muss man das Prinzip der unspezifischen neuronalen Codierung zur Kenntnis nehmen, welches besagt: Die neuronalen Signale, über die wir mittels unserer Sinnesorgane sämtliche Informationen über die Außenwelt (= das Etwas außerhalb unseres Bewusstseins) erhalten, enthalten nur 2 Informationen: Ort und Intensität des Reizes. Codiert wird in den neuronalen Signalen lediglich "wo" und "wieviel". Wo auf oder unter der Körperoberfläche entstand der Reiz. Und wieviele "Spikes" pro Sekunde beträgt die Intensität des Reizes. Das ist alles, was wir als Rohmaterial zur Verfügung haben. Und daraus baut unser Gehirn unsere schöne bunte Wirklichkeit!

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Autodidaktisches Studium, Lehrbeauftragter VHS München
Tigrillo  30.06.2011, 07:23

"Codiert wird in den neuronalen Signalen ..." Tönt eindrücklich, aber was bedeutet 'kodieren (tönt schon weniger eindrücklich)'? Ist denn das Kodieren eines Menschen Bankkontos, das Aussuchen und Aufschreiben einer Postleitzahl mit das höchste aller schöpferischen kreatürlichen Vorgänge?

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ReimundAcker  30.06.2011, 17:44
@Tigrillo

Laut Duden kann man sowohl "codieren" wie "kodieren" schreiben. Ich verwende den Begriff hier in einer sehr allgemeinen Bedeutung, ähnlich wie bei "genetischer Code", und möchte darauf durch die Schreibweise "codieren" hinweisen, in der Hoffnung, dass so weniger LeserInnen nur an Bankkontos und Postleitzahlen erinnert werden.

Wenn ich schreibe, dass eine Information in einem Signal codiert ist, meine ich damit, dass die Information in einer ganz bestimmten Weise in diesem Signal enthalten ist und das empfangende System die Bedeutung dieser Information nur versteht, wenn es den verwendeten Code beherrscht. Um also z.B. zu verstehen, dass es sich bei einem aus fünf Dezimalziffern bestehenden Signal um eine deutsche Postleitzahl handelt, muss der Mensch oder der Computer, der das Signal empfängt, "wissen", dass es eine PLZ sein soll und wie er damit umgehen kann. Ebenso interpretiert das Zentralnervensystem eines Menschen die Frequenz des von einer Sinneszelle stammenden elektrischen Signals als Intensität eines bestimmten Reizes

Das Spannende daran ist nun, dass die neuronalen Signale keinerlei Informationen über Qualität oder Modalität des Reizes enthalten! Also lässt sich z.B. anhand eines von einer Sinneszelle (Rezeptor) kommenden Signals nicht feststellen, ob es von einer Sehzelle, Hörzelle, Geschmackszelle, Geruchszelle, Berührungszelle, etc. stammt. Und wenn das Signal z.B. von einer Sehzelle stammt, so darin nicht die Information enthalten, um welche Farbe es sich handelt.

Da wir aber alle Informationen über die Außenwelt ausschließlich durch unsere Sinnesorgane erhalten, stellt sich die Frage: Wie kommt die Welt in meinen Kopf?

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helisua66  30.06.2011, 10:41

Kleine Zwischenbemerkung: Daß Descartes mit seinem Cogito-ergo-sum ausgerechnet den Solipsismus widerlegen wollte, wäre mir neu. Wenn es wirklich so wäre, hätte er dafür auch sicher einen anderen Titel gewählt, denn der klingt ja bereits sehr solipsistisch. Umgekehrt versuchte er an der Unbezweifelbarkeit seiner Selbstexistenz (hinsichtlich derer er mit den Solipsisten nur übereinstimmte) auch einen Beweis der Außenexistenz aufzuhängen. Erst das mißlang ihm allerdings, da liegt wohl eine Verwechselung bei dir vor. Und es ist eben bemerkenswert, daß dieser Beweis nicht gelingen kann, weshalb der Solipsismus letztlich unausrottbar bleibt.

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ReimundAcker  30.06.2011, 18:04
@helisua66

Zugegeben, das war ungenau von mir. Es ging Descartes in seinen Meditationes nach seinen eigenen Angaben vor allem auch um die Widerlegung der pyrrhonischen Skepsis, die zu seiner Zeit blühte, was ihn offenbar beunruhigte. Und die Skepsis ihrerseits lässt die Möglichkeit des Solipsismus offen.

Indem Descartes die axiomatische Methode in der Erkenntnistheorie anwenden will und auf der Suche nach geeigneten unbezweifelbaren Axiomen nur das Cogito findet, läuft er in die selbst gebaute Falle, aus der er nur durch seinen Gottesbeweis wieder herausfindet. Wer aber seiner Argumentation folgt, ohne ihm seinen Gottesbeweis abzukaufen, bleibt in der Falle sitzen.

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Nun, seit Freud Wissen wir ja, dass es das Es, Ich und das Über-Ich gibt.

In seinem metapsychologischen Strukturmodell unterscheidet er zwischen dem Es (Triebinstanz, Instinkt), dem Ich (Bewußtsein) und dem Über-Ich (Moral, Gewissen).

Vielleicht sind es die Unterschiede zwischen instinktivem Verhalten, dem Unbewußten und Bewußten und dem Gewissen, das Falsche oder Richtige zu tun.

Nun kann man die Frage stellen, ob Tiere sich ihres Selbst bewußt sind und ein moralisches Gewissen haben oder nur instinktiv handeln...

Alleine diese Fragen und Interaktionen mit anderen Individuen lassen mich zweifeln, dass es nur die Phantasie eines Einzelnen ist... aber besteht nicht das ganze Universum eh aus reiner Energie (ob es nun dunkele Materie gibt oder nicht)? Woher kommen wir, wohin gehen wir, was soll das Ganze überhaupt? Gibt es ein größeres Ziel? Wenn man am Ende des Universums angekommen ist, was kommt danach? Ist ein Atom ein Universum? Ist das Universum ein Atom in einem anderen Universum?

Was ist RealitäT? Schwieriges Thema – sehr komplex und kompliziert – mit ein paar Sätzen unmöglich zu beantworten!

Da muss man schon einiges dazu lesen – um da einigermassen durchzublicken. Zeit.de geht ausführlich darauf ein.

Was ist Realität?

Leesn Sie enimal deiesn Txet. Wtteen, Sie vetsehern ihn, owbhol er egitenilch uverntsädnilch ist?

Mit solchen Leseexperimenten hat der Linguist Graham Rawlinson nachgewiesen, dass man Texte auch versteht, wenn die Buchstaben vertauscht sind.

Dieser Versuch zeigt, wie sehr unser Leseverständnis von unserem Vorwissen geprägt ist, und belegt damit: Sehen heißt konstruieren.

Statt die Wirklichkeit objektiv wahrzunehmen, sind wir ständig dabei, sie zu interpretieren.

Was wir naiverweise für real halten, hängt deshalb stark von unserer persönlichen Deutung ab. (…...)

http://www.zeit.de/zeit-wissen/2009/01/Titelstrecke-Frage1-Realitaet

Meiner Ansicht nach ist Realität das, was wahr ist. Wahr ist alles, was widerspruchsfrei bleibt, wenn kein Detail unberücksichtigt bleibt. Letzten Endes ergibt alles zusammen genau eine einzige, in sich widerspruchslose, Wahrheit. Es ist ein Widerspruch, wenn von der selben Annahme und Ausgangsdaten es zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt. Jedes System muß in sich geschlossen sein. Ist es das nicht, muß es in Verbindung mit einem anderen System geschlossen sein. Nichts existiert für sich alleine, alles ist miteinander verbunden. Vielfalt ist kein Widerspruch. Paradoxe schon. Das Entdecken von Paradoxen zeigt uns unsere Begrenztheit in unserer Fähigkeit die ganze Wahrheit zu erkennen und zu verstehen und zeigt uns, daß wir in einem solchen Fall bestenfalls nur einen Teil der Wahrheit wahrnehmen und verstehen können. Die Art und Weise, wie jeder einzelne sich eine scheinbare und unvollkommene Teil-Wahrheit aus der Realität konstruiert, um ausreichend für seine auf Möglichkeit begrenzte Fähigkeiten handlungsfähig zu sein, beschreibt sehr schön der "Konstruktuvismus".

Aber laß mich nun etwas zu Deinem Dilemma sagen, welches ich vermute: Letzten Endes handelt sich alles immer um ein einziges geschlossenes System. Auch viele System sind nur ein, wenn man es nur weit genug von außerhalb betrachtet. Hierin kommt nichts hinzu und es geht nichts verloren. Es wird nur umgewandelt. (siehe auch Energieerhaltungssatz). Das gilt für das Leben auf der Erde, daß ganze Universum und alles darüber hinaus. Nichts existiert für sich alleine, alles ist miteinander verbunden. Aus unserer Fähigkeit heraus, alles getrennt wahrnehmen und denken zu müssen, nennen wir es "Symbiose". (wir können nur in Schubladen denken. Die Kunst besteht darin, statt in wenigen großen, in zunehmend mehreren und dafür kleineren Schubladen zu denken). Betrachten wir jedoch alles unendlich genau, so stellen wir mehr und mehr fest, daß es zwischen den Dingen keine Grenzen gibt, sondern alles zu Einem verschmilzt. (die Stringtheorie ist da sehr nahe dran).

Aber was hättest Du davon, wenn Du die Wahrheit so "sehen" würdest, wie sie ist, daß alles Eins ist? Du würdest nichts sehen, könntest nichts erkennen und könntest nichts tun. Ohne Zeit, keine Veränderung. Ohne Vielfalt, keine Schöpfung und keine Erkenntnis. Wenn alles untrennbar Eins ist, sodaß nichts anders ist, ist das Eine nicht wahrnehmbar und somit wäre alles gleichbedeutend mit Nichts. Welche Bedeutung hätte bspw. die Zahl 1, wenn es keine andere Zahl gäbe?

Die Lösung ist Schöpfung. Doch zur Schöpfung benötigt man mehr, als Eins. Wenn es aber nicht mehr, als das Eine gibt, dann kann man nur das Eine in tausend Teile zerspringen lassen, wie einen Spiegel, auf den man einen Stein wirft. Es ist die Geburt der Dualität und der Vielfallt und die Bausteine der Schöpfung. Die Schönheit unseres Lebens besteht darin, daß wir uns die Fähigkeit genommen haben die ganze Wahrheit wahrzunehmen und zu erkennen. Wir haben unsere "Augen" vor Teilen der Wahrheit verschlossen, daher glauben wir, die Dinge seien voneinander getrennt und nur miteinander in Verbindung. Wie wir nun die scheinbaren Einzelteile miteinander in Verbindung bringen, um daraus Neues zu erschaffen, bestimmte Zusammenhänge zu erkennen und uns dabei selbst erkennen, hängt von unserer eigenen Schöpfungskraft und Offenheit ab. Wir nennen dieses große Wunder, in dem wir spielen können, lernen, staunen und mehr über uns selbst lernen dürfen, Leben.

Wenn du die eine wahre Realität kennst, wirst du wieder genau dort ankommen, wo du jetzt bist. Du trinkst deinen Tee noch genauso, wie vorher. Du siehst nur alles anders.

Soulbirdge

Wenn du denkst, es gäbe ein Gehirn, dass sich alles nur vorstellt, so muss doch zumindest das Gehirn existieren ^^

Ohne ein einziges Wesen, das des Denkens befähigt wäre, würde auch nicht nur ein einziger Gedanke über das Denken getätigt, wie ich es soeben tue. Und zugleich kann unsere Existenz nicht, oder wenn überhaupt nur die physische, von jemand anders erdacht oder gar geträumt sein, da es die Gedanken sind, die das Ich bilden. Denn was an Physischem zu uns gehört und was nicht, wird durch uns selbst bestimmt, durch unsere Gedanken. Wenn ich mir jemanden an einem Tisch sitzend eine Aufschrift lesend vorstelle und diese Person in Gedanken die Wörter jener Schrift vor sich her sprechen lasse, so erdenke ich zwar ein anderes tätiges Wesen in meinem Geiste, doch seine Gedanken sind die meinen. Ich kann ihn nichts anderes denken lassen, wie ich. Also sind wir eins. Und sobald ich es könnte - die Gedanken teilen -, wäre ein neues Ich geboren. Ich kann also guten Gewissens behaupten: Cogito ergo sum!