Was ist die genaue Definition von "kritischer Masse"?

3 Antworten

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Die zeitliche Komponente kann, je nach Absicht, auf verschiedene Weise gedacht sein: Entweder so, daß das Spaltmaterial möglichst vollständig in möglichst kurzer Zeit umgesetzt wird, bis die freigesetzte Energie die Anordnung und dann ihre weiträumige Umgebung zerstört. Die Kettenreaktion dauert dann einige Mikrosekunden. Oder so, daß das Spaltmaterial mit gleichmäßiger, gesteuerter Rate umgesetzt wird, ohne daß die freigesetzte Energie irgendetwas zerstört. Die Kettenreaktion läuft im Reaktor so lange, bis er zum Brennelement-Austausch heruntergefahren wird.

In beiden Anwendungsfällen hängt die real eingesetzte Masse des Spaltmaterials von vielen Konstruktionsdetails ab. Beim Reaktor bestimmt die zu erzielende Kraftwerksleistung, wie viel das ist: typischerweise viele Tonnen. Der Begriff der kritischen Masse ist dafür anwendbar, aber irrelevant. Bei der Bombe ist die kritische Masse jedoch relevant (siehe Antwort von Hamburger02). Erstens ist das Spaltmaterial, das den Bombenbauern zur Verfügung steht, u.U. sehr knapp, zweitens müssen Laborunfälle (wie die mit dem 'Demon Core') vermieden werden, und drittens muß man die Bombe mit irgendeinem Trägersystem dorthin bringen, wo sie explodieren soll.

Mir persönlich gefällt der Begriff kritische "Masse" nicht besonders gut und ist wohl eher technischen Problemen bei der Entwicklung von Atombomben geschuldet, als dass es eine wirklich physikalische Bedeutung hat. Im Grunde geht es um Folgendes:

Eine Kettenrektion kann nur aufrechterhalten werden, wenn bei einer Kernspaltung von den entstehenden Neutronen im Mittel etwas mehr als 1 Neutron wieder auf eine spaltbares Atom trifft, bevor es - salopp formuliert - den Behälter mit dem spaltbaren Material verlassen hat oder es, bevor es im Behälter (der auch nicht-spaltbares Material enthält) auf ein neues spaltbares Atom trifft, "stecken" geblieben ist.

Es gibt also Bedingungen für die Kettenreaktion

  • Anzahl und Dichte der spaltbaren Atome
  • Form und Größe des Behalter
  • Aufbau des Behälters

All das bestimmt wie viel Masse spaltbaren Materials vorhanden sein muss. Und diese Masse an spaltbaren Material bestimmt die sogenannte kritische Masse. Ich würde es bevorzugen, wir würden heute von einer "kritischen Dichte" in einer Normumgebung reden (wie auch immer so einen Normumgebungsspezifikation aussehen könnte)

Absolutbert 
Fragesteller
 14.04.2023, 12:13

Es ist also eine Frage der Dichte/Anreicherung (bzw. Anordnung), nicht der Masse an sich - eine wesentlich schlüssigere Herangehensweise. Dieser Argumentation nach könnte man die zeitliche Komponente vernachlässigen, da es egal ist, wieviel Masse vorhanden ist bzw. durch Reaktion "verbraucht" wird, solange die Dichte und Anordnung eine Kettenreaktion ermöglichen.

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evtldocha  14.04.2023, 12:26
@Absolutbert

So würde ich das eher formulieren - ja. Die Zeit spielt hier tatsächlich nur die Rolle, dass dem Begriff "Explosion" natürlich der sehr kurzfristige Verbrauch sämtlichen spaltbaren Materials innewohnt und die erforderliche Dichte natürlich auch ganz schnell nicht mehr vorhanden ist. Auf der anderen Seite gab (?) es einen zeitlichen Aspekt in der Herstellung der kritischen "Dichte". Man konnte die zu Beginn - soweit ich weiß - nur durch eine vorausgehende Explosion von traditionellem Sprengstoff in einer trickreichen Anordnung erreichen (mag sein, dass die heutigen technischen Möglichkeiten der Anreicherung das nicht mehr erforderlich machen - ich bin kein Atombombenbauer, daher weiß ich nicht ob das heute noch so ist).

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Absolutbert 
Fragesteller
 14.04.2023, 12:29
@evtldocha

Ah, das war das fehlende Element in meiner geistigen Landschaft. Vielen Dank für die Erklärung!

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von kritischer masse (die von vielen anderen faktoren abhängen kann) spricht man sobald jede spaltung im schnitt eine weiter spaltung auslöst.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Physiker (Teilchenphysik)
Absolutbert 
Fragesteller
 14.04.2023, 12:43

Das passiert nie. Das Material ist endlich. Oder liege ich hier falsch?

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Reggid  14.04.2023, 12:49
@Absolutbert

bei einer spaltung werden im schnitt (glaube ich) ca. 2 bis 3 neutronen frei. je nach dichte, größe, ... (und andere faktoren wie moderatoren um die neutronen zu bremsen etc...) kann es eben sein dass im schnitt zumindest eines dieser neutronen eine weitere spaltung auslöst.

(natürlich nicht immer. es geht nur um das statistische mittel wie viele spaltungen von einer anderen ausgelöst werden).

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