Was hat der Stock in der Kurzgeschichte "Nachts schlafen die Ratten doch" zu bedeuten?
In der Kurzgeschichte von Wolfgang Herrndorf, kommt ein Junge drinnen vor, der einen Stock besitzt. Hat der Stock eine Bedeutung? Wenn ja, bräuchte ich sie nämlich, da ich gerade eine Interpretation schreibe.
Vielen Dank im Voraus
1 Antwort
Ja natürlich hat der Stock eine Bedeutung für den Jungen! Er kann damit die Ratten und sonstige Lebewesen vertreiben, die ihm oder seinem toten Bruder zu nahe kommen.
Aber da ist noch mehr. Lies mal, was mit dem Stock passiert:
Der Mann nickte: So, dafür hast du wohl den großen Stock da? Ja, antwortete Jürgen mutig und hielt den Stock fest. Worauf passt du denn auf? Das kann ich nicht sagen. Er hielt die Hände fest um den Stock. [...] Du rauchst? fragte der Mann, hast du denn eine Pfeife?Jürgen faßte seinen Stock fest an und sagte zaghaft: ich drehe. Pfeife mag ich nicht. [...] Und du passt nun auf die Ratten auf? fragte der Mann. Auf die doch nicht! Und dann sagte er ganz leise: Mein Bruder, der liegt nämlich da unten. Da. Jürgen zeigte mit dem Stock auf die zusammengesackten Mauern. [...] Na, sagte der Mann, das ist aber ein Lehrer, wenn er das nicht mal weiß. Nachts schlafen die Ratten doch. Nachts kannst du ruhig nach Hause gehen. Nachts schlafen sie immer. Wenn es dunkel wird, schon. Jürgen machte mit seinem Stock kleine Kuhlen in den Schutt. Lauter kleine Betten sind das, dachte er, alles kleine Betten. Da sagte der Mann (und seine krummen Beine waren ganz unruhig dabei): Weißt du was? Jetzt füttere ich schnell meine Kaninchen und wenn es dunkel wird, hole ich dich ab. Vielleicht kann ich eins mitbringen. Ein kleines oder, was meinst du? Jürgen machte kleine Kuhlen in den Schutt. Lauter kleine Kaninchen. Weiße, graue, weißgraue.
Der Stock visualisiert, was in Jürgen passiert. Festhalten, um mutig zu sein; festhalten, um "ein Mann" zu sein (> Rauchen), obwohl er innerlich ein Kind ist (> zaghaft); zeigen, hier schafft der Stock die Verbindung zu seinem Bruder, aber wahrt die nötige Distanz für Jürgen; Kuhlen in den Schutt > Betten für die Ratten (Gedanken sind noch bei den Ratten); Kuhlen in den Schutt > kleine Kaninchen (er löst sich gedanklich von seinem inneren Zwang, seinen Bruder vor den Ratten zu beschützen, lässt Hilfe zu).
Für mich geht es hier um die Gedanken, die Jürgen dabei hat - einmal sind die Kuhlen Betten für die Ratten; kurze Zeit später denkt er an die Kaninchen, als er die Kuhlen scharrt. Die Ratten sind die Gefahr, die Angst, das Grauen und die Trauer, die Hilflosigkeit, der Tod, wenn du so willst; die Kaninchen stehen für das Weiterleben, das Sich-aus-der-Situation-Lösen, für Hoffnung. Das Scharren von Kuhlen wäre für mich jetzt einfach nur eine Tätigkeit, die man mit einem Stock machen kann - neben dem Festhalten und Stützen, dem Zeigen und dem Schlagen mit dem Stock (sich mit dem Stock zur Wehr setzen).
Und was genau haben die Kuhlen zu bedeuten?