Warum meinen welche, dass die Inflation weiter ansteigt, wenn die Leute bessere Gehälter bekommen?

10 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

In den meisten Unternehmen - damit ist sicherlich nicht Amazon gemeint, sondern die Säule der Wirtschaft, der Mittelstand - sind die Personalkosten der größte Batzen der Kosten. Ist natürlich branchenspezifisch, aber in Dienstleistungsbereich sind es locker 70-80 %.

Jede Erhöhung wirkt sich unmittelbar auf den Gewinn aus, der im übrigen einen der kleinsten Teile der "Kosten" ausmacht. Um Dir mal ein Gefühl zu geben: E-Commerce-Unternehmen 6,5 % Gewinnmarge; Möbel-Einzelhandel 3,3 % Gewinnmarge, Steuerberater 18 %, Zahnarzt 15 %.

Nicht zu vergessen sind auch die Kosten, welche indirekt bei einer Erhöhung entstehen. Bspw. führt eine Erhöhung des Bruttogehaltes um 100 Euro zu einer Erhöhung der Personalkosten um rund 130 Euro (der Mitarbeiter bekommt übrigens nur ca. 60 Euro in die Geldbörse zum Ausgeben). Eine Lohnsteigerung führt also zu einer überproportionalen Erhöhung der Personalkosten.

Wenn also eine Erhöhung von 10 % für alle Mitarbeiter ansteht führt dies zu einer Erhöhung der Personalkosten von 75/100 um 7,5 * 1,3/100 also 9,75/100; somit ca. 10 % höhere Kosten.

Wie Du locker sehen kannst, bedeutet diese 10 % Erhöhung das in vielen Branchen der komplette Gewinn aufgezehrt wird. Dies durch höhere Qualität oder sonstige Bemühungen aufzufangen ist kurzfristig/mittelfristig nur durch Erhöhung der Preise möglich.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung
theinvisible27 
Fragesteller
 30.12.2022, 23:24

Das mag zutreffen, aber auch hier wieder nur im Rahmen, wenn das Angebot immer begrenzt ist oder gleich bleibt. Das habe ich ja zuvor erwähnt: Wenn man bei steigender Kaufkraft in der Lage ist, auch mehr zu produzieren (und zu verkaufen), können auch die verminderten Gewinne (auch bei niedrigen Gewinnmargen), durch die höhere Kaufkraft und der Abdeckung dieser Nachfrage wieder reingeholt werden. Es würde sich in so einem Fall dann wieder von alleine ausgleichen, lediglich würde dann am Ende mehr verkauft werden und das heißt, es gebe für jeden mehr materiellen Wohlstand. Ich denke, das eigentliche Problem aktuell ist, dass man einer potenziell erhöhten Nachfrage nicht gerecht würde, was dann die Preise steigern würde, nicht aber die bessere Bezahlung an sich.

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Gehrsitz  31.12.2022, 15:10
@theinvisible27

Volkwirtschaftlich gesehen mag es so sein, wenn auch überholte Theorien. Betriebswirtschaftlich sind solche Überlegungen nicht relevant.

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SchakKlusoh  31.12.2022, 15:25
Der Mittelstand - sind die Personalkosten der größte Batzen der Kosten. Ist natürlich branchenspezifisch,

Das ist falsch. Im produzierenden Gewerbe sind die Lohnkosten bei a. 20%

aber in Dienstleistungsbereich sind es locker 70-80 %.

Ja, da sind sie höher. Hast Du einen Beleg für 70-80%?

Wenn also eine Erhöhung von 10 % für alle Mitarbeiter ansteht führt dies zu einer Erhöhung der Personalkosten von 75/100 um 7,5 * 1,3/100 also 9,75/100; somit ca. 10 % höhere Kosten.

Diese Rechnung ist falsch, da die Lohnkosten nicht gleich dem Bruttolohn sind und die Lohnkosten nur einen Teil der Kosten ausmachen.

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Gehrsitz  31.12.2022, 15:45
@SchakKlusoh

Ich habe mir mal erlaubt als Beispiel den Dienstleistungsbereich zu nennen, der 70 % der Wertschöpfung in Deutschland ausmacht. Das produzierende Gewerbe marginale 24 % (Siehe Statista Research).

Die 70-80 % habe ich aus eigener Erfahrung mit meinem Unternehmen genannt; was auch logisch für einen personalintensiven Bereich wie Dienstleistung ist. Habe mal kurz nachgeforscht: Laut CFgO Wissensdatenbank sind 70 % bei Dienstleistungsunternehmen und 30 % bei Produktionsunternehmen anzusetzen. Der Satz ist somit korrekt.

Bei der Rechnung habe ich tatsächlich einen kleinen Fehler gemacht, da die Lohn-Nebenkosten bereits in den 70-80 % enthalten sind. Somit hätte ich mir die Zwischenrechnung sparen können und einfach 10 % Erhöhung nehmen können. Ändert allerdings absolut nichts an der Aussage, dass solch eine Erhöhung nur durch Preiserhöhung aufgefangen werden kann.

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SchakKlusoh  01.01.2023, 21:04
@Gehrsitz

Kein Wunder, daß Dienstleistungsberufe nicht gut bezahlt werden. Kein Wunder, daß Frauenberuf so schlecht bezahlt werden. Meist sind es ja Dienstleistungsberufe.

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Den geringeren Gewinn könnte man leicht wieder zurückholen, indem man einfach mehr oder qualitativ höherwertigere Ware produziert und verkauft

Hierbei handelt es sich um ein gesundes Lohnwachstum. Dies war auch in der Vergangenheit der Fall vor allem bei Arbeitnehmern mit Facharbeiter- oder höheren Qualifikationen.

Seit 2008 hat Deutschland leider kein richtiges Produktivitätswachstum mehr, bzw alles Erreichte ist wieder zerstört worden.

Jetzt sind wir in einer Phase der wirtschaftlichen Schrumpfung angekommen. Sollte man jetzt die Gehälter erhöhen drücken diese direkt auf die Marge der Unternehmen durch. Unternehmen wie Amazon könnten das vielleicht aushalten. Das liegt aber vor allem an ihrem Cloud-Geschäft und nicht an ihrer Logistiksparte. Die läuft tatsächlich auf dünnen Margen. Das geht auch vielen anderen Unternehmen so. Sobald die Marge nicht mehr die Kapitalkosten decken kann oder gar negativ wird, ist ein Unternehmen gezwungen die Preise zu erhöhen, ob es will oder nicht.

Unternehmen mit einer höheren Marge, stehen zwar nicht unter dem gleichend Druck, aber auch sie haben Verpflichtungen gegenüber dem Kapitalmarkt. So muss ein Unternehmen Fremdkapitalzinsen zahlen und die Aktionäre hätten auch noch gerne eine Eigenkapitalrendite. Im Gegenzug dafür stellen Fremd- und Eigenkapitalgeber ihre Kapital zur Verfügung mit dem Risiko dies unter Umständen zu verlieren. Sollte die Kapitalkosten nicht mehr gedeckt werden können, wird das Kapital abgezogen.

Ich kann mir vorstellen, dass Unternehmen wie Amazon, locker in der Lage wären, bessere Gehälter zu zahlen, ohne dafür die Preise erhöhen zu müssen, weil die einfach Unmengen an Gewinn einfahren, wovon die das locker bezahlen könnten.

Kannst du dir auch vorstellen dein Geld anzulegen und eine geringer/negative Rendite zu erhalten?

Dieser Fehlschluss kommt aus dem Keynesianismus. Dort wird der Wert und Preis eines Gutes nicht durch Grenznutzen und subjektiver Wertlehre definiert, sondern eher betriebswirtschaftlich, durch Kosten. Wenn die Stückkosten für einen Autohersteller steigen, dann stiege auch der Autopreis. Genauso wie die Kosten der Farben von der Mona-Lisa ja offensichtlich den Preis von hunderten Millionen rechtfertigen würden...

Jedenfalls geht die Argumentation so: Wenn der Lohn steigt, dann steigen die Lohnstückkosten und dadurch das die Preise an den Kosten gekoppelt sind, steigen mit Kosten auch die Preise.

Das das Quatsch ist, muss ich hoffentlich nicht weiter erklären.

Nun erstmal ist ein Unternehmen wie Amazon nicht nur das, was es erarbeitet und an Gehältern zahlt. Ein sehr, sehr, sehr großer Faktor ist da der Finanzmarkt. Wenn du mit schlechteren Zahlen da stehst, dann verliert das Unternehmen immens an Wert.

Davon ab, Amazon macht nun Gewinn und das hauptsächlich durch AWS und co. Amazon hat viele, viele Jahre keine schwarzen Zahlen geschrieben. Hätten sie da die Gehälter kürzen sollen oder die Mitarbeiter Geld mitbringen sollen, dafür dass sie arbeiten dürfen?

Geld muss nun einmal woher kommen und man wird es kaum auf der oberen Etage einsparen, um es unten zu verteilen. Davon ab zahlt man auch nicht, weil man den Mitarbeitern was Gutes will. Man zahlt was man für eine Arbeitskraft in der Branche zahlen muss. Kauft diese möglichst günstig ein und verkauft sie möglichst teuer bzw. erwirtschaftet mit ihrer Arbeitsleistung möglichst viel Geld, das ist die Aufgabe eines Unternehmens.

Und klar auch unabhängig der Kosten, wenn alle mehr Geld in der Tasche haben, dann kann ich als Verkäufer auch höhere Preise ausrufen. Sofern mich nicht alle anderen massiv unterbieten, komm ich damit super durch. Das passiert ja schon jetzt und Unternehmen heben die Preise "aufgrund der Inflation" an und schlagen noch mal ein wenig drauf und fahren teilweise Rekordgewinne ein.

Overall haben wir aber ganz andere Probleme z.B. dass wir viel zu viel Bürokratie und Verwaltung haben. Hier ein wenig abbauen und wir könnten eine 15-20 Stunden Woche haben für den gleichen Lebensstandard oder eben deutlich mehr erwirtschaften.

Ansonsten sind natürlich Lieferketten und Ressourcen heute auch hier und da ein Problem. Eine Inflation hast du ja nicht grundlos. Du kannst nicht einfach allen mehr Geld geben, das sorgt nicht für mehr Produkte und Ressourcen. Das Angebot ist zu gering, die Nachfrage zu hoch also filtert man über den Preis.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Softwareentwickler/Projektleiter seit 2012

Aktuell haben wir eine Angebotskrise. Einfach ausgedrückt, sind die Waren an den Märkten knapp.

Wenn die Menschen nun mehr Geld in der Tasche haben, steigt auch die Nachfrage an den Märkten.

Steigende Nachfrage bei knappem Angebot bedeutet automatisch steigende Preise.

theinvisible27 
Fragesteller
 30.12.2022, 23:16

Ja, in diesem Fall macht das absolut Sinn. Würde man dieses Angebot aber problemlos abdecken können, wären höhere Gehälter dann sogar eine Bereicherung oder in anderen Worten ein Katalysator für mehr Wohlstand. Das Problem liegt dann also am mangelndem Angebot und der mangelnden Fähigkeit, eine steigende Nachfrage abzudecken, nicht aber dann an der Möglichkeit an sich, dass man höhere Gehälter zahlt (hoffe, ich habe das jetzt verständlich rübergebracht).

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Interesierter  30.12.2022, 23:25
@theinvisible27

Könnte man das Angebot problemlos ausweiten, wurden die Preise nur im Rahmen der Kostenentwicklung steigen. Das ist korrekt.

Nur haben wir aber aktuell ein knappes Angebot, das sich nicht einfach ausweiten lässt.

Die Öl- und Gasimporte fehlen aktuell aufgrund des Ukraine-Krieges. Genauso Lebensmittel aus der Ukraine. Viele Produkte aus Fernost sind aufgrund gestörter Lieferketten nur begrenzt verfügbar.

Mehr Geld auf der Nachfrageseite löst dieses Problem nicht.

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theinvisible27 
Fragesteller
 30.12.2022, 23:26
@Interesierter

Also ist das knappe Angebot der eigentliche Treiber für die Inflation, nicht aber eine bessere Bezahlung an sich, korrekt?

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Interesierter  30.12.2022, 23:36
@theinvisible27

Beides!

Das Verhältnis von Angebot zu Nachfrage bestimmt den Preis.

Beide Werte in ihrer Kombination zueinander sind maßgeblich.

Ich will es an einem einfachen Beispiel erklären.

Wenn auf einem Markt 10 Verkäufer eine Kuh anbieten und 15 Käufer eine Kuh kaufen wollen, werden die Preise hoch sein.

Bieten 20 Verkäufer eine Kuh an und ebenfalls 15 Käufer kommen, werden die Preise niedrig sein.

Bieten 10 Verkäufer eine Kuh an, es kommen aber nur 5 Käufer, werden die Preise ebenfalls niedrig sein.

Im ersten Fall werden die Preise umso weiter steigen, je mehr die Käufer Geld zur Verfügung haben.

Ich hoffe, ich habe das einigermaßen verständlich dargestellt.

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theinvisible27 
Fragesteller
 30.12.2022, 23:57
@Interesierter

Ja, das trifft zu, zumindest in einem natürlichen Markt. Heute aber nicht nur. Auch viele Spekulanten treiben die Preise künstlich in die Höhe. Bestes Beispiel: Die Immobilienblase.

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Interesierter  31.12.2022, 00:02
@theinvisible27

Durch Spekulation die Preise zu treiben funktioniert nur bei anhaltend niedrigem Angebot und viel billigem Geld in den Märkten.

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theinvisible27 
Fragesteller
 31.12.2022, 00:04
@Interesierter

Jep. So wie aktuell mit Strom (wobei ich so meine Zweifel habe, ob dieser tatsächlich immer so knapp ist, wie uns gesagt wird). Man muss aber auch berücksichtigen, dass gerne auch mal künstlich verknappt wird, um dann anschließend darauf zu spekulieren (oder per Zufall), wie beispielsweise, wenn Leute alles absichtlich leer kaufen oder einfach lügen, dass bestimmte Güter angeblich knapp seien.

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Interesierter  31.12.2022, 00:52
@theinvisible27

Strom ist durchaus knapp.

In den vergangenen Monaten haben die AKW in Frankreich relativ wenig produziert.

In Deutschland wurden alle AKW bis auf 3 abgestellt. Kohle ist auch auf dem Rückzug. Und Gas war 2022 bekanntlich ziemlich teuer.

Demzufolge ist ein hoher Strompreis durchaus nachvollziehbar.

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