Warum hält thermodynamisches Gleichgewicht für immer an?

5 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Ja, das thermodynamische Gleichgewicht bleibt ewig erhalten, wenn es nicht von außen gestört wird.

Dein erstes Beispiel scheint mir invalide, weil Du makroskopische Vorgänge („zwei Kör­per“) mit Thermodynamik verwickelst. Das geht nicht, weil die Thermodynamik so gemacht ist, daß sie Vielteilchensystemen beschreibt; das ist wichtig, weil man nur so statistisch mitteln kann.

Dein zweites Beispiel ist dagegen valide; es beschreibt das, was man in der Chemie „metastabile Zustände“ oder „kinetische Hemmung“ nennt: Das System erreicht nicht das Gleichgewicht, weil alle Pfade, die vom momentanen Zustand zum Gleichgewicht führen, eine unrealistisch große Aktivierungsenergie erfordern; stattdessen lebt es in einem metastabilen Zustand, der beliebig lange andauern kann, der aber nicht das echte Gleichgewicht ist.

Du brauchst dabei gar nicht an einen Kanister Nitroglycerin zu denken. Kinetische Hem­mung ist ein sehr häufiges Phänomen. Selbst der Zucker in Deiner Küche sollte thermodynamisch gesehen mit dem Luftsauerstoff sofort zu CO₂ und H₂O verbrennen (fast alle ande­ren organischen Substanzen auch); handelsübliche Verbindungen wie Benzol sind sogar instabil in Bezug auf den Zerfall in die Elemente. Sie tun das aber bei Raum­tem­pera­tur so langsam, daß man nichts davon bemerkt.

Bedenke, daß es in der organischen Chemie unzählige Isomere gibt, z.B. Butan und Isobutan. Natürlich kann maximal ein Isomer wirklich im Gleichgewicht sein, alle an­deren müßten sich spontan umwandeln. Natürlich tun sie es nicht.

In der Realität hat man es nicht oft mit einem echten thermodynamischen Gleichge­wicht zu tun, sondern nur mit einem Gleichgewicht in Bezug auf bestimmte mikro­skopi­sche Vorgänge. Formal kann man das so beschreiben: Es gibt einen Phasen­raum aller möglichen Atomanordnungen für die Probe (der ist natürlich riesig groß), und in jedem Moment befindet sich das System an einem bestimmten Punkt darin. Die Zeit­ent­wick­lung führt das System zu neuen Phasenraumpunkten — manche Ato­me kommen einander näher, andere entfernen sich voneinander, z.B. weil Moleküle sich in einem Gas oder einer Flüssigkeit über weite Strecken bewegen. Aber manche Atome ändern ihre Abstände kaum, weil sie in einem Molekül durch chemische Bin­dun­gen aneinander gebunden sind.

Wenn man die Koordinaten zur Beschreibung der Orte aller Atome geschickt wählt (nochmals: Das sind sehr viele Koordinaten, weil eine Stoffportion aus sehr vielen Atomen besteht), dann sieht man, daß manche davon sich zeitlich verändern, und andere nicht; die ersteren erfüllen dabei alle statistischen Regularitäten eines chemi­schen Gleichgewichts. Man kann dann sehr wohl sagen, daß bezüglich mancher Be­wegungen ein chemisches Gleichgewicht herrscht, und bezüglich anderer nicht. Das Gleich­ge­wicht ist nur partiell erreicht.

In einer Flasche Nitroglycerin bewegen sich die Moleküle quer durch das ganze Vo­lumen, mit einer zeitlich konstanten Geschwindigkeitsverteilung (es gibt immer gleich viele Moleküle mit einer bestimmten Geschwindigkeit, auch wenn es in jedem Mo­ment andere Moleküle sind, die gerade diese Geschwindigkeit haben). Ähnlich sieht es mit der Rotation der Moleküle und der Schwingung innerhalb der Moleküle aus: Die Verteilungen sind zeitunabhängig („stationär“). Das sieht aus wie ein chemi­sches Gleich­gewicht und ist es auch, aber nur in Bezug auf diese Typen von Bewegung. An­de­re Bewegungen, nämlich das Aufbrechen von chemischen Bindungen und Schlie­ßen von neuen, tritt dagegen nicht auf, und man spart es in der Rechnung einfach aus.

Ob ein System wirklich im echten, absoluten thermodynamischen Gleichgewicht ist, oder nur in einem metastabilen partiellen Gleichgewicht, läßt sich experimentell nicht so ohne weiteres klären. Wenn es aber experimentell keinen Unterschied macht, dann kann man es auch weitgehend ignorieren. Dazu kommt, daß das absolute Gleich­ge­wicht für viele chemische Systeme recht langweilig ist — wie erwähnt, sind fast alle organisches Substanzen in Reinform nicht im Gleichgewicht, sondern sollten zu ir­gend­etwas mit niedrigerer freier Energie reagieren, z.B. Butan→Isobutan.

Du könntest das Argument ja noch weitertreiben, indem Du bemerkst, daß alle leich­ten Atomkerne eigentlich zu Eisen oder Nickel fusionieren sollten, so daß das „echte“ Gleichgewicht für alle chemischen Systeme noch langweiliger wird. Immerhin kann ich naïv die „dümmste Reaktionsgleichung aller Zeiten“ aufschreiben:

¹²C₄¹H₈ ⟶ ⁵⁶Fe + 6 νₑ

Links habe ich 4⋅6=24 Neutronen und 4⋅6+8=32 Protonen bzw. Elektronen, rechts ste­hen 30 Neutronen und 26 Protonen bzw. Elektronen. Es müssen also „nur“ sechs Pro­tonen mit je einem Elektron zu einem Neutron und einem Elektronneutrino rea­gie­ren, und der ganze Schmarrn muß sich neu anordnen, und wir haben unser Eisen. Die Re­ak­tion liefert absurd viel Energie, nämlich ≈10¹⁰ kJ/mol, ist aber noch nie beobach­tet worden.

Warum sollte man aber bei der Beschreibung des Gleichgewichts Reaktionskanäle be­rück­sichtigen, die gar nicht auftreten? Antwort: Natürlich nicht, und deshalb sagen wir, daß eine Probe C₄H₈ im (metastabilen) Gleichgewicht ist, obwohl es zu dieser Sum­menformel fünf Isomere gibt, die unter zivilen Bedingungen alle metastabil sind und auch zahllose Reaktionen zu anderen, potentiell stabileren Produkten wie Cyclo­hexan eingehen könnten.

Aber was man nicht beobachtet, muß man auch nicht in die Beschreibung mitnehmen

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Chemiestudium mit Diss über Quanten­chemie und Thermodynamik

Diese drei Punkte sind eine alternative Beschreibung für das thermodynamische Gleichgewicht. Der erste Satz in Wikipedia sagt

Ein System ist im  thermodynamischen Gleichgewicht, wenn es in einem stationären Zustand ist, in dem alle makroskopischen Flüsse von Materie und Energie innerhalb des Systems verschwinden.

In deinem ersten Beispiel scheitert dies also sofort, weil du sowohl einen makroskopischen Materie- als auch Energiefluss annimmst (zwei unabhängige, sich bewegende Massen). Wenn du das über die drei Eigenschaften begründen willst, scheitert es an dem ersten: Es liegt eben kein thermisches Gleichgewicht vor, da die Wärme im System innerhalb der beiden Körper konzentriert ist, und diese sich bewegen. Die Tatsache, dass hier überhaupt feste Materie in einem sonst leeren Raum bewegt würde wohl auch den dritten Punkt ruinieren. Wenn man Schwerkraft zwischen den Massen annimmt ist der zweite Punkt sogar auch verletzt.

Zu deinem zweiten Beispiel: Wenn du annimmst, dass es möglich ist, dass ein einzelnes Teilchen wegen der inhomogenen Energieverteilung irgendwann einen so großen Überschuss gewinnen könnte um die Reaktion zu starten, ist es per Punkt 1 kein thermisches Gleichgewicht. Dies ist natürlich in realen Materialien aber immer irgendwie der Fall (Maxwell-Boltzmann ähnliche Verteilungen).

Genau das ist aber der Punkt: Thermodynamisches Gleichgewicht ist nur eine Idealisierung. Genauso, wie dass man mit idealen Gasen oder reibungsfreien Umgebungen rechnet, macht es die Rechnung/Betrachtung schlichtweg einfacher. Es kommt dann immer auf die gewünschte Genauigkeit an, ob man diese Effekte jetzt doch berücksichtigt oder eben nicht.

In absehbarer Zeit bewegt sich in dem System gar nichts mehr und die Temperatur bleibt konstant. Ende der Vorstellung.

Der Begriff des thermodynamischen Systems, das sich im Gleichgewicht befindet erfordert, dass das Boltzmannsche Gesetz der größen Zahl gilt. Dann gleichen sich Unterschiede ziwschen den einzelnen Teilchen auf der mikroskopischen Ebene so aus, dass sich auf der makrospkopischen Ebene ein statistischer Mittelwert einstellt. Das Boltzmannsche Gesetz der großen Zahl gilt aber einer Teilchenzahl als erfüllt, die der Avogadrozahl entspricht. Mit zwei Teilchen oder Körpern kann man kein thermodynamisches Gleichgewicht bilden.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Habe Thermodynamik im Hauptfach studiert.

wenn da noch zwei Körper inelastisch kollidieren können, ist das kein thermisches Gleichgewicht.