War Bismarck gut oder böse?

7 Antworten

Der größte Staatsmann, den Deutschland je hatte, mit einigen zeitbedingten Minuspunkten.

Seine enorme Stärke: Blick für Realitäten, keine ideologische Brille, Augenmaß, Mut aber kein Übermut, Geschicklichkeit des Jongleurs mit fünf Bällen (D, F, GB, R, ÖU).

Einige Zitate von ihm:

Einen wirklich großen Mann erkennt man an drei Dingen: Großzügigkeit im Entwurf, Menschlichkeit in der Ausführung und Mäßigkeit beim Erfolg. 

Ich kann die Achtung aller Menschen entbehren, nur meine eigene nicht.

Ich habe das Wort Europa immer im Munde derjenigen Politiker gefunden, die von anderen Mächten etwas verlangten, was sie im eigenen Namen nicht zu fordern wagten.

Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt.


Klaatu850  14.02.2023, 20:47
Geschicklichkeit des Jongleurs mit fünf Bällen (D, F, GB, R, ÖU).

Und 1890 ist der Jongleur verschwunden und die fünf Bälle sind zu Boden gefallen. Bravo!

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Dass Bismarck gemeinsam mit Italien einen Krieg gegen den Deutschen Bund vom Zaun gebrochen hat, kann man wohl nicht als Zeichen von Gutmütigkeit bezeichnen. Dass er den dank militärtechnischer (Zündnadelgewehr) und taktischer Überlegenheit gewonnenen Krieg nicht zur vollständigen Demütigung des Unterlegenen ausgenützt hat, kann man als Pluspunkt für ihn verbuchen. Er war ohne Zweifel ein genialer Politiker, wobei die Frage bleibt, ob ein Politiker gut sein kann oder gut sein darf.

Baerbock und Gruene meinen: böse

Gabor Steingart analysiert diese Fehleinschaetzung:

Im deutschen Außenministerium wird Tabula rasa gemacht. Otto von Bismarck, der Reichsgründer, muss das Haus im Streit verlassen. Seine Bilder und sein Name sind unerwünscht. Das „Bismarck-Zimmer“ wird umbenannt in „Saal der deutschen Einheit“. Der Eiserne Kanzler und erste Außenminister des Deutschen Reiches gilt fortan nicht mehr als große Persönlichkeit der Geschichte, sondern als Persona non grata.

Unter Führung von Annalena Baerbock wird damit jener Kulturkampf fortgeführt, den Bismarck in seiner Zeit begonnen hatte. Nur das politische Vorzeichen hat sich verändert und die Methoden – das allerdings darf nicht bestritten werden – sind humaner geworden.

Der konservative Monarchist kommt postum in den Genuss einer feministischen Außenpolitik, sodass ihm noch in der Ablehnung eine Sanftheit zuteil wird, die er seinen Gegnern stets verweigert hatte.

Seine Spezialität war eine gut inszenierte Unbeherrschtheit – oder wie er 1871 an seine Frau schrieb:

 Ich habe das dringende Bedürfnis, eine Bombe zu sein und zu platzen.

Bismarck arbeitete – als er sein „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie” erließ – mit Zensur, Schikanen und Gefängnis, wobei er die Immunität der frei gewählten SPD-Reichstagsabgeordneten allerdings unangetastet ließ. Annalena Baerbock ihrerseits lässt zwar Bilder und Namensschilder abtransportieren, aber keine Menschen. Vielleicht entsteht aus genau diesem Missverhältnis in der Wahl der Waffen das Bedürfnis nach verspäteter Rache. Auch Annalena Baerbock will sich spüren – und manchmal gern Bombe sein.

Doch wir sollten den Rachegelüsten nicht nachgeben. Gerade im historischen Abstand könnten wir großzügiger und reflektierter sein als die Zeitgenossen.

Natürlich wird die Ambivalenz gegenüber einer historischen Figur wie Bismarck niemals verschwinden: In der damaligen Zeit hätte sich ein moderner, liberal denkender Freigeist notgedrungen im Widerstand gegen Bismarck befunden. Oder persönlicher noch gesagt: Von ihm zu mir hätte keine Brücke geführt.

Im Rückblick allerdings müssen wir Bismarck nicht mehr bekämpfen. Die Geschichte hat uns eine große Brücke gebaut, die zum Verstehen und von dort zu Bismarck führt. Seine Sozialistengesetze, mit denen er die aufstrebende Sozialdemokratie zum Freiwild erklärte, waren ethisch verwerflich und politisch unklug. Den Aufstieg der SPD konnte er damit nicht verhindern.

Seine Erfolge, deren segensreiche Wirkungen bis in die Gegenwart reichen, können durch diese Verfehlung zwar relativiert, aber nicht zerstört werden. Sie weisen ihn als einen Staatsmann in Übergröße aus, dessen Leistung mit einer Art Ewigkeitsgarantie ausgestattet ist. Er verdient das, was Olaf Scholz im Wahlkampf jedem Mindestlöhner versprochen hat: Respekt.

1. Die Reichsgründung von 1870/71 war sein Werk. Endlich wurden die vielen Fürstentümer und Königreiche zu einem staatlichen Ganzen komprimiert. Nach allen anderen Nationalstaaten in Europa entstand Deutschland, „die verspätete Nation“, wie Helmuth Plessner sie nannte.

Die europäische Welt war beeindruckt und besorgt. Sebastian Haffner wusste warum: „An die Stelle eines großen Schwammes war gewissermaßen ein großer Betonklotz getreten – ein furchteinflößender Betonklotz, aus dem sehr viele Kanonenrohre ragten.“

Es entstand ein Territorium mit bald auch einheitlicher Zoll- und Steuergesetzgebung, der deutschen Beamtenschaft und dem größten Binnenmarkt, den Europa bis heute gesehen hat. Kurz und gut: Das Pfund, mit dem die heutigen Politiker in Brüssel und Washington wuchern, hat Bismarck für sie eingezahlt.

2. Otto von Bismarck – und nicht Hubertus Heil – ist der Begründer des deutschen Sozialstaates. Er gründete 1883 die Krankenversicherung, 1884 die Unfallversicherung, 1889 die Invalidenversicherung und die beitragsfinanzierte Rentenversicherung. Sozialdemokraten und Sozialisten ließ er verfolgen. Aber ihre Anhänger und Wähler wollte er zur Mitarbeit an dem neuen deutschen Staat bewegen:

 Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte.

Er wollte die innere Aussöhnung der alten Mächte von Klerus und Adel mit der neu entstehenden Arbeiterklasse. Er wollte, wie er sich ausdrückte, das „Bündnis zwischen Rittergut und Hochofen“.

3. Sein Meisterstück aber lieferte er in der Außenpolitik ab, die von Angstzuständen und nicht von Machtgelüsten getrieben war. Bismarck hatte Angst vor der sozialistischen Weltrevolution. Er hatte Angst davor, vom zaristischen Russland überrannt zu werden. Er hatte Angst vor Frankreich, das er als „Erbfeind“ bezeichnete. Er fürchtete nichts mehr, als dass sich die anderen Mächte gegen das Deutsche Reich verbünden könnten.

Aus dieser Angst heraus entwickelte er eine Diplomatie, die auf Stabilität und Balance ausgerichtet war. Er suchte – anders als der spätere Kaiser Wilhelm II. – nicht „den Platz an der Sonne“. Reichskanzler Bismarck suchte für Deutschland einen Platz im Schatten.

„Wir gehören“, sagte er in seiner Reichstagsrede vom 11. Januar 1887, „zu den saturierten Staaten. Wir haben keine Bedürfnisse, die wir durch das Schwert erkämpfen könnten.“ Deshalb schuf er ein komplexes Bündnissystem, das aus Freundschaftspakten, Rückversicherungsverträgen und Neutralitätsverpflichtungen bestand. Das 1871 gegründete Deutsche Reich suchte unter Bismarck, der bis 1890 im Amt des Reichskanzlers blieb, den Ausgleich mit seinen Nachbarn. Er, der das Auswärtige Amt noch vor dem Reich gegründet hatte und als erster Außenminister dort einzog, war der große Friedliche seiner Zeit – auch wenn er sich zu einem kurzen Ausflug in den Kolonialismus verleiten ließ. Die wahren Brutalisten, Kaiser Wilhelm II. und später dann Adolf Hitler, folgten, nachdem er abgedankt hatte.

Bismarck, der kein Diktator war, sondern ein jederzeit vom Kaiser abrufbarer preußischer Ministerpräsident und deutscher Reichskanzler, regierte knapp zwanzig Jahre und hielt Europa in der Balance. Er tat das, wie Haffner schwärmerisch feststellte, „mit einer Kunst, die zum Schluss schon in Akrobatik umschlug“.

Fazit: Vielleicht mag sich Außenministerin Annalena Baerbock über Weihnachten die Zeit nehmen, in das Leben und Denken eines Otto von Bismarck tiefer einzutauchen. Vielleicht spricht er dann in mäßigender Absicht auch zu ihr. Zum Beispiel diesen Satz:

 Ein großer Staat regiert sich nicht nach Parteiansichten.


Gringo58  20.12.2022, 15:01

Die Hetze gegen Bismarck (1815–1898) ist in der Tat ganz und gar absurd. Der Schöpfer des zweiten Deutschen Reiches, einer jahrzehntewährenden Friedensordnung und darüber hinaus der fortschrittlichsten, in weiten Teilen der Welt bis heute unerreichbaren Sozialgesetzgebung, ist eine historische Größe, die von Baerbock und Gesinnungsgenossen gewiss nicht demontiert werden kann.

Seine Kanzlerschaft ab 1871 zählt zu den segensreichsten Epochen unserer Geschichte. Allein die Gründung des gesamten Versicherungswesens lässt den früheren preußischen Ministerpräsidenten in einem strahlenden Licht erscheinen. Eine soziale Absicherung der Menschen beispielsweise gegen Krankheiten, Invalidität oder Altersarmut war sein Verdienst.

Besonders aber hat er sich als großer Vereiniger der Deutschen unsterblich gemacht. Nach dem Deutschen Krieg und der Auflösung des Deutschen Bundes bewegte Bismarck durch überragendes diplomatisches Geschick die Verbündeten Preußens zu einem Zusammenschluss. In diesem Norddeutschen Bund fügten sich oberhalb des Mains 22 deutsche Staaten ein. Die Verfassung trat am 1. Juli 18678 in Kraft.

Am 18.1.1871 wird im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles das deutsche Kaiserreich proklamiert. Dieses Bild von Anton von Werner aus dem Jahre 1885 rückt vor allem den preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck in den Mittelpunkt.

Preußens König Wilhelm I. war Bundespräsident, Bismarck Kanzler. Der Bundesrat war die Vertretung der Länder, der nach den Grundsätzen des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts gewählte Reichstag die Repräsentanz des Volkes; moderner ging es kaum! Der Norddeutsche Bund war die unmittelbare Vorstufe des neuen Deutschen Reiches. Seine Verfassung bildete die Grundlage für die Reichsverfassung von 1871. Bismarck höchstselbst war es übrigens, der das Auswärtige Amt am 8. Januar 1970 ins Leben rief und selbst auch leitete.

Am 18. Januar 1871 ging dann ein deutscher Traum in Erfüllung. Der preußische König wurde zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Nach fast einem halben Jahrzausend Zersplitterung und imperialistischer Übergriffe von außen waren die meisten Deutschen in einem starken Reich vereinigt. Reichskanzler Otto von Bismarck: Die Reichsgründung krönte das politische Wirken dieses großen Deutschen. (compact)

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Klaatu850  14.02.2023, 21:04
@Gringo58
Nach fast einem halben Jahrzausend Zersplitterung und imperialistischer Übergriffe von außen waren die meisten Deutschen in einem starken Reich vereinigt.

...was der Kartätschenprinz Wilhelm noch 1848 zu verhindern wusste.

Die Reichsgründung krönte das politische Wirken dieses großen Deutschen. (compact)

COMPACT? Das Magazin der Nazi-Schwuch1el Jürgen Elsässer?

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Bismarck war aus heutiger Sicht ein sehr böser Mensch. Er hat die Sozis und Katholiken verfolgt, er hat Kriege verursacht und provoziert, er hat Deutschland aus Blut und Eisen geschmiedet und er hat keinen Nachfolger aufgebaut, der diesen Vollpfosten Wilhelm Zwo mal so richtig um den Finger wickelt und hinter die Fichte führt.

Die 45 Jahre Ruhm bis zum Untergang des Deutschen Reiches von Gottes Gnaden waren es nicht wert.


hardliner2019  14.02.2023, 21:06
Bismarck war aus heutiger Sicht ein sehr böser Mensch.

Zumal er die Aufteilung Afrikas unter den europäischen Mächten befeuert und mit der Berliner Afrika-Konferenz deren völkerrechtliche Absicherung in die Wege geleitet hat.

Otto war nicht nur Architekt der deutschen Reichseinigung. Während dies stets gern hervorgehoben wird, ist seine Bedeutung für die Geschichte des deutschen und europäischen Kolonialismus im kollektiven Gedächtnis weniger präsent ;-)

Bismarck und der Kolonialismus | Bismarck | bpb.de

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