Vorrauschauend denken in Schach?

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Moin,

Bullet und Blitz dienen der Unterhaltung; sie sollen Spaß machen. Aber Schach lernst du dabei nicht.

Ähnlich ist es beim Schnellschach, auch wenn das minimal besser ist.

Gut ist, dass du Lektionen und vor allem Taktikübungen machst. Aber üben allein ist es auch nicht.

Ich rate dir, dass du einerseits gut kommentierte Meisterpartien nachspielst und studierst. Versuche die Pläne nachzuvollziehen. Spiele nicht nur die Hauptzüge der Partie, sondern auch die angegebenen Varianten nach. Das mag anfangs etwas mühselig erscheinen, aber das bringt dir in puncto Spielverständnis in der Regel viel.

Gute ältere Kommentatoren waren Alexander Aljechin oder Robert (Bobby) Fischer. Sie sind möglicherweise in ihren Varianten nicht immer fehlerfrei, aber sie erklären die Pläne und Ideen so, dass man das auch als fortgeschrittener Anfänger gut versteht und nachvollziehen kann.
Generationen haben auch von Siegbert Tarraschs oder Aaron Nimzowitschs Büchern profitiert. Auch diese Bücher kann man (als Einstieg) nutzen. Beide Autoren sind allerdings - jeder auf seine Weise und in unterschiedlicher Richtung - ziemlich dogmatisch. Wenn man aber von beiden die Ratschläge beherzigt, ohne sie zu Gesetzen zu erheben, kann einen das voran bringen.

Heutige (modernere) Meister der pädagogisch wertvollen Lektüre sind noch John Watson oder John Nunn. Deren Bücher kann ich aus eigener Erfahrung ebenfalls wärmstens empfehlen...

Die Finger lassen würde ich von Büchern des Autors Robert Hübner, weil ich dessen Art wenig einladend und zumindest für meine Bedürfnisse für wenig hilfreich empfinde, da ich keine Lust habe, seitenlange Nebenvarianten von Nebenvarianten von Nebenvarianten studieren zu müssen, nur um der schachlichen „Wahrheit” ein kleines bisschen näher zu kommen.

Wenn du gut kommentierte Meisterpartien nachspielst, solltest du auch anfangen, deine eigenen Partien (vor allem die Niederlagen) zu studieren. Bis wohin ging alles gut? Was waren Wendepunkte? Wo hast du einen falschen Plan gewählt? Wo warst du völlig ahnungslos und warum? Wo sind deine Schwächen?

Das rate ich dir zu tun, um dein Schachverständnis zu schulen...

LG von der Waterkant

verreisterNutzer  01.04.2022, 13:18

Danke dir!

Von Nimzowitsch habe ich eine große und gute Meinung, hast du da ein genaues Buch im Kopf dass du mir empfehlen kannst?

Mir macht die Partieanlyse immer richtig viel Spaß, daher schaue ich mir fast jedes spiel von mir nochmal an und lasse Stockfish da drüber laufen.

Es ist immer das gleiche, in der Eröffnung sowie am Schluss spiele ich sehr präzise, meist sogar Fehlerfrei.

Dafür ist mein Mittelspiel grauenhaft; Ideenlosigkeit, blunder und eine generelle Planlosigkeit merkt man... :/

Irgendwelche Tipps wie ich meine Ideenlosigkeit und Planlosigkeit in den Griff bekomme?

Nochmal danke für die ausführliche Antwort!
LG

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DedeM  01.04.2022, 18:17
@verreisterNutzer

Folgende Bücher haben mir viel gebracht:

Nimzowitsch: Mein System
Nimzowitsch: Die Blockade

Euwe & Meiden: Meister gegen Amateur
Euwe & Meiden: Amateur wird Meister

David LeMoir: Grundlegende Opferwendungen im Schach

John Watson: Geheimnisse der modernen Schachstrategie
John Watson: Schachstrategie in Aktion

John Nunn: Großmeisterschach Zug um Zug
John Nunn: Schach verstehen Zug um Zug
John Nunn: Das Verständnis des Mittelspiels im Schach

Es gibt noch mehr Lesenswertes (gerade von Nunn), aber das vorgeschlagene ist schon ein ziemlich umfangreiches Programm...

Dass du deine Partien anschaust, ist viel wert. Auch der (sinnvolle) Einsatz eines guten Programms ist eine gute Idee, allerdings mit der Einschränkung, dass du zunächst einmal selbst analysieren solltest, um dann der Maschine die Prüfung der Stichhaltigkeit deiner Analyseergebnisse zu überlassen.

Um Ideen zu bekommen, machst du auch schon einiges richtig, weil du nach wiederkehrenden Mustern suchst, in denen es geeignete (gleiche) Pläne gibt. Was also vielleicht noch ein bisschen fehlt, ist das Nachspielen gut kommentierter Partien. Das sollte zu schaffen sein. Viel Erfolg dabei...

Nochmals ein lieber Gruß von der Waterkant

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Das Problem kenne ich (meine elo ist jetzt bei chess.com 1900 im Blitz). Seitdem ich häufiger asymmetrisch rochierte Stellungen spiele, wurde es besser. Da kann man nämlich notfalls auf Bauernsturm spielen. Ansonsten ist es einfach enorm wichtig die Pläne der eigenen Eröffnung zu kennen. Studium aber auch Bullet helfen ein Gefühl zu bekommen.

verreisterNutzer  01.04.2022, 14:46

Es gibt nichts besseres als Queen-Side zu rochieren, wenn der Gegner King-Side rochiert. :)) Machts gleich viel spannender.

Danke!

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Zunächst möchte ich meinen Vorgängern beipflichten. Taktik-Aufgaben solltest du natürlich unbedingt weitermachen, speziell auch Taktik-Aufgaben, in denen es darum geht, den gegnerischen König Matt zu setzen. Manchmal sind Taktik-Aufgaben thematisiert, wie „Angriff auf die Rochade-Stellung“ usw. Dinge dieser Art würde ich mir zur Priorität machen. Das gibt dir dann im Mittelspiel eine Idee, worauf du hinarbeiten solltest bzw. wo deine Figuren stehen sollten. 

Zum Mittelspiel und planloser Verteidigung: In einem Schach-Cafe in LA hatte ich eine bemerkenswerte Beobachtung gemacht, wie die Spieler (Elo zwischen 1800 und 2400+ (FIDE-Elo, keine online-Wertung)) dort im Blitzschach häufig mit schwierigen Stellungen umgingen. Sie verteidigten sich NICHT! Im Gegenteil: Wenn zum Beispiel der eigene Damenflügel unter heftigem Beschuss stand, zogen sie sogar Verteidiger vom Damenflügel ab und warfen sie in einen eigenen Gegenangriff auf den Königsflügel, egal ob beim Damenflügel alles in die Brüche ging. Später besann ich mich in eigenen Partien auf dieses Vorgehen, und siehe da: Es funktionierte auch bei mir (online-Wertung irgendwo zwischen 1600 und 1850, aktuell 1800+). Gegen die „höheren“ Stufen meiner Schach-App (Elo 1800-2100) konnte ich bisher NUR auf diese Weise gewinnen. Es scheint sich auch im Schach zu bewahrheiten: Angriff ist die beste Verteidigung. Ob es auf 1200er-Niveau auch funktioniert, weiß ich nicht. Probiere es einfach mal aus, wenn alles hoffnungslos aussieht und du sowieso nichts mehr zu verlieren hast. 

Ansonsten würde ich an deiner Stelle auch ein paar Gambits ausprobieren. Das Königsgambit war einst meine Lieblingseröffnung, bis mein Schachpartner das Gambit nicht mehr annahm, sondern mit dem Falkbeer-Gegengambit antwortete. Die Planung ist super-einfach: Durch die offene f-Linie, auf die man später den eigenen Turm bringt, enormen Druck auf f7 ausüben. Da kann man eigentlich nicht viel falsch machen. Es hat auch den Vorteil, dass die Königsgambit-Partien verhältnismäßig kurz sind; man gewinnt sehr schnell oder fällt sehr schnell selbst auf die Nase. Es spart viel Zeit. 

Eine Alternative wäre das Dänische Gambit. Selbst habe ich es noch nicht ausprobiert, aber schon beim Anschauen einiger Dänisch-Gambit-Partien ist es recht Angst einflößend – gefühlt noch aggressiver als das Königs-Gambit. 

Bei Gambits gewöhnst du dich auch daran, mit Material-Nachteil zu spielen, aber die Initiative zu haben. 

DetlefRuchatz  01.04.2022, 21:00

Ich habe gerade noch deine vorherige Frage zum Thema Schach gesehen: Auf d4 antworte ich seit Neuestem mit b6 (Englische Verteidigung), ebenso wie auf e4, nur dass es dann Owen Defence heißt. 

Zu: „Openings+Endgames gut; Midgames planlos“. Ich vermute mal, dass du Eröffnungen einfach runterspielst, ohne zu verstehen, warum dies die empfohlenen Züge sind. Bei Eröffnungen bringt man seine Figuren in Stellung, um den gegnerischen König Matt zu setzen und dem Gegner gleichzeitig möglichst wenig Angriffsfläche auf die eigene Stellung zu bieten. Gewöhnlich zielen Eröffnungen mit Weiß gleich von Anfang an auf Schwachstellen oder potenzielle Schachstellen des Gegners ab. Zum Beispiel: Läuferspiel, Königsgambit oder Italienisch zielen auf f7. Englische Verteidigung und Owen-Verteidigung sind sozusagen ein Röntgen-Angriff auf h2+Tg1. Mit dem dänischen Gambit bringt man sein Läuferpaar in Position gegen die potenzielle oder tatsächliche schwarze Rochade-Stellung. Beim Versuch, die Schwachstellen zu verteidigen, entstehen gewöhnlich neue Schwachstellen, welche es auszunutzen gilt. Hat man das verstanden, sollte der Übergang von der Eröffnung zum Mittelspiel eigentlich recht einfach sein, solange sich die Spielpartner auf halbwegs gleichem Niveau befinden. 

Umgekehrt: Wenn du vorhast, den Gegner mal mit dem griechischen Geschenkopfer Matt zu setzen, welches auf den Schwachpunkt h7 abzielt, würdest du kein Läuferspiel als Eröffnung wählen. 

Ist die Spielstärke der Gegner zu verschieden, wäre es dem schwächeren Spieler natürlich nicht möglich, irgendwelche Schwachstellen beim Gegner wahrzunehmen, während der bessere Spieler vor der Qual der Wahl steht, welche Schwachstellen des schwächeren Spielers er zuerst ausnutzen sollte. Spieler mit solch einem Wertungsunterschied sollten von vornherein nicht gegeneinander spielen. 

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verreisterNutzer  02.04.2022, 16:42

Hey, danke!

wie die Spieler (Elo zwischen 1800 und 2400+ (FIDE-Elo, keine online-Wertung)) ... Sie verteidigten sich NICHT! Im Gegenteil...

Gegenangriffe werden in Zukunft eingeplant, hab das heute schon ausgetestet in Blitz und Bullet, merke wie ich dabei deutlich mehr Möglichkeiten habe und finde.

Ansonsten würde ich an deiner Stelle auch ein paar Gambits ausprobieren.

Also du sprichst mir aus der Seele, meine Eröffnungen die ich hauptsächlich mit Weiß spiele sind Queens Gambit, Kings Gambit oder das Vienna Gambit. :)

ebenso wie auf e4, nur dass es dann Owen Defence heißt. 

Das ist derzeit meine Main-Defence, habe mich eine Weile an Caro-Kann versucht - aber ich merke wie mir diese Eröffnung einfach zu komplex ist. Aber die Owen-Defence ist simpel, einfach zu verstehen und effektiv. :)

Ich vermute mal, dass du Eröffnungen einfach runterspielst, ohne zu verstehen, warum dies die empfohlenen Züge sind

Das ist so halb richtig, ich verstehe bei den Eröffnungen die ich spiele schon den Grund-Plan dahinter, also das Ziel der Eröffnung - sobald mein Gegner aber komplett etwas unerwartetes macht, dann werde ich schon wieder nervös...

Vielen Dank für die Tipps!!

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Sie sollten unbedingt bodenständig und ehrlich zu sich selbst werden, wenn Sie im Schach das Vorausdenken verbessern wollen.

Jeder Mensch kann voraus denken.

Auch Sie.

Wichtig ist vor allem, dass man jeden Scheibenkleister anglisiert.

Denn es besteht sonst ernsthaft die Gefahr für Sie, ins lower low elo chess segment abzufallen

Um ihr Vorausdenken zu verbessern, sollten Sie also statt Bulletschach besser "Ultra-light-speed-Chess" spielen, also (m+3μ).

Also 1 ms für die gesamte Partie plus 3 μs pro Zug.

Ist verdammt schnell, denn sie können nun nicht mehr per Hand ziehen, sondern nur noch direkt per BCC in den Computer. (BCC.... brain current coupling).

Vorausberechnungen müssen nun im ns-Bereich erfolgen, was ungemein schult.

Durch ihr eigenes Vorausdenken, wessen Sie sich selbst für unfähig halten, haben Sie nun gemerkt, dass ich Sie auf die Schippe nehme.

Was widerum beweist, dass Sie gut vorausdenken können, wenn Sie sich ausreichend Zeit dafür nehmen.

Nun müsste Ihnen klar sein, dass man mit Blitz- oder Bulletschach kein Vorausdenken erlernen und auch nicht verbessern kann.

Nehmen Sie sich also ruhig einmal des classic chess an und überspringen Sie dabei das rapid chess gleich ganz.

Sie werden darüber erstaunt sein, wie viele Vorausberechnungen man für den nächsten Zug in 20 Minuten oder mehr realisieren kann.

Und das Ganze BCC-decoupled, also quasi virtuell im Home Brain.

Ich wünsche Ihnen allzeit gutes Vorausdenken im Schach.

Mit besten Grüßen

gregor443

Woher ich das weiß:Hobby
Vor allem wenn ich gegen Freunde spiele (Die auch mehr Elo haben), merke ich wie ich teilweise überhaupt keinen Plan im Kopf ...

Sie sind Dir überlegen, Du spielst nach ihrem Plan.

verreisterNutzer  01.04.2022, 14:49

Zwangsweise muss ich nach ihrem Plan spielen, wenn von meiner Seite nur defensive Züge ohne Offensivplan kommen.

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Kwalliteht  01.04.2022, 23:59
@verreisterNutzer

Logische Folge: Man kann keinem eigenen Plan folgen.

Mal abgesehen davon dürfte nur ein winziger Teil aller Schachspieler auf der Welt einen Elo von 1200 haben. Meiner liegt WEIT darunter. Trotzdem habe ich einmal beim Simultanschach (1988, Kasparow gegen 80 Leute) ein Remis geschaft. Er ging von Brett zu Brett und hat sich schon nach wenigen Runden nicht mehr wirklich für mein Spiel interessiert. Nachdem ich mehrere Fehler gemacht hatte und schon mit dem Arsch an der Wand stand und auf meine Hinrichtung wartete, hat er dann einen Fehler gemacht, der es mir erlaubte mit meinem linken Springer einen Läufer und Turm zu kassieren, ihn damit schach zu setzen, womit er mit seinem Springer meinen Springer kassieren musste und ich den mir meiner Dame wegfegte. Als nächstes konnte er sich aussuchen, ob sein zweiter Turm oder Läufer dran wäre. In beiden Fällen hätte sein König danach ziemlich nackig dagestanden. Er bot mir Remis an, was ich erstaunt annahm, aber ich musste befürchten, dass er meinem Brett bei Ablehnung mehr Aufmerksamkeit gewidmet und mich gnadenlos versenkt hätte. Er bat mich, alles so stehen zu lassen. Zwei andere Spieler, von denen ich weiß, dass sie deutlich besser sind als ich, haben auch ein Remis geschafft. Er hat sich mit uns dreien dann nochmal jede Partie angesehen. Bei meinem Brett rutschte ihm ein Satz heraus, der vielleicht stimmt: Я был слишком высокомерен. (Ich war zu überheblich). Er gratulierte uns zu unseren Remis, auf die wir auch wirklich sehr stolz waren, und wir gratulierten ihm zu den 77 Siegen.

In meinem Verein wurde das ganze dann nochmal analysiert. Ich hatte mir mindestens drei Fehler geleistet, die er gnadenlos ausnutzte, bevor er sich seinen Fehler leistete. Es stellte sich heraus, dass bei einem anderem Brett die Stellung fast identisch war, die wesentlichen Figuren aber alle gleich standen, er diesen Fehler aber nicht machte. Könnte sein, dass er in Gedanken die Bretter verwechselte. Das Multitasking im Gehirn kommt eben auch manchmal an seine Grenzen.

Auf jeden Fall bestätigten mir alle, dass es wirklich das beste war, mein Mittelklassespiel nicht weiterzuführen, und wenn ich weitergespielt hätte, dafür wohl gesteinigt worden wäre. Trotzdem wurde ich im Verein gefeiert wie ein Sieger.

Auch bei diesem Spiel muss ich sagen, dass ich bis zu seinem Fehler ganz gut nach SEINEM Plan spielte. Ich hatte genau genommen überhaupt keinen Plan.

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