Psychisch stabil für Rettungsdienst?

2 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hi,

in Deinem Fall muss man mehrere Aspekte betrachten...

Zunächst - da schließe ich mich iwaniwanowitsch an - muss man positiv hervorheben, dass Du dir vorher Gedanken machst. Und diese Gedanken muss man durchaus auch ernst nehmen, da die Befürchtungen meines Erachtens nicht ganz unbegründet sind.

Meine Angst ist jetzt, dass mir sowas beim Rettungsdienst auch wiederfahren wird.

Man muss zweifellos festhalten, dass der Rettungsdienst eines der Berufsfelder mit der höchsten psychischen Belastung ist - und ich kenne mehrere Kollegen, die durch psychische Probleme längere Zeit arbeitsunfähig waren oder gar berufsunfähig wurden.

Zugleich muss man bedenken, dass Einsatzerlebnisse nur einen kleinen Teil der Belastung ausmachen - "dramatische" Einsätze, wie die Allgemeinbevölkerung den Rettungsdienstalltag sieht, sind - wie iwaniwanowitsch gesagt hat - auch für das hauptamtliche Personal eher eine Ausnahmeerscheinung. Ein nicht unerheblicher Teil der Belastung ist durch den ständigen Wechsel zwischen "Stress" und "Ruhe", der Unvorhersehbarkeit und schlicht dem Arbeitsumfeld/Arbeitsbedingungen an sich geschuldet.

Das lustige ist, dass ich schon ein Ärztliches Attest bekommen habe für meine Geistige und Körperliche Kompetenz. Der Arzt hat mir das Attest ohne jegliche Kontrollen in die Hand gedrückt.

Ich würde mich an der Stelle natürlich fragen, inwiefern ein solches Attest überhaupt eine Aussagekraft hat. Empfehlenswert wäre es natürlich, den Psychiater/Psychotherapeuten in die Beurteilung miteinzubeziehen.

Generell: psychische Vorerkrankungen sind nicht per se ein Ausschlussgrund für die Arbeit im Rettungsdienst - es kommt auf Art und Ausprägung an.

Psychische Vorerkrankungen können eine erhöhte Vulnerabilität für weitere psychische Erkrankungen durchaus begünstigen - viel kann, wenig muss.

Ich selber habe aber noch nie ein Praktikum oder ähnliches beim Rettungsdienst gemacht.

Genau an diesem Punkt würde ich empfehlen, anzusetzen: zwei, drei Tage auf der Rettungswache vor Buchung des Lehrgangs hospitieren. In aller Regel stellt das, ggf. auch unter Schilderung der Gesamtsituation, kein Problem dar.

Das gibt Dir einerseits die Möglichkeit, das Arbeitsumfeld realistisch zu betrachten und vor allem unverbindlich einzuschätzen, ob Du der Sache gewachsen bist. Auf diese Weise erhältst Du zumindest eine Referenz, was "Arbeit im Rettungsdienst" bedeutet.

Fazit

Vielleicht bemerke ich ja schon nach einem Monat, dass das alles zu viel für mich wird.

Auf "Null" bringen können wird man das Risiko nie - man kann es allerdings in einem relativ großen Maße mit eigenen Einblicken und einer entsprechenden fachärztlichen Einschätzung reduzieren.

LG

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Notfallsanitäter, Blogger, Medizinstudent
Anonymous557601 
Fragesteller
 10.12.2022, 00:19

Danke für die ausführliche Antwort! Hast mir wirklich weitergeholfen.

Zum Thema psychische Belastung durch Stress: Ich wohne in einer kleinen Stadt, wo nicht so viel los ist (also das kann man keinesfalls mit Großstädten vergleichen).

Dementsprechend (denke ich) werden auch nicht so viele Einsätze stattfinden. Mein Vater hat selbst damals in dieser Stadt seinen Zivildienst im Rettungsdienst absolviert und meinte, dass man auch sehr viel „Freizeit“ auf der Wache hatte.

Deshalb könnte der Rettungsdienst vielleicht doch etwas für mich sein, da ich hier langsam an die Sache vertraut gemacht werde und nicht gleich mit 20 aufeinanderfolgenden Einsätzen zubombadiert werde.

Naja mal gucken was sich ergibt, Interesse und Respekt habe ich aufjedenfall vor dieser Arbeit:)

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Von Experte SaniOnTheRoad bestätigt

Guten Morgen.

Ich muss zugeben, dass die Antwort auf diese Frage nicht wirklich einfach und vor allem schnell zu geben ist.

Deine Sorgen halte ich nicht für unbegründet und finde es gut, dass du dir Gedanken machst, bevor das Kind schlussendlich "in den Brunnen gefallen ist".

Ich würde diese beiden Faktoren, die Angststörung und die Sorge vor dem Kontakt mit Verstorbenen gern getrennt betrachten und von vornherein anmerken, dass ich hier nicht mit irgendeiner besonderen Kenntnis in psychologischen Themen, sondern ausschließlich aus beruflicher und allgemeiner Lebenserfahrung schöpfe.

Die Sorgen vor dem Kontakt mit verstorbenen würde ich dir gern etwas nehmen: zum einen kommt der Kontakt nicht extrem häufig vor, wie zum Beispiel bei einem Bestatter, zum anderen sehen die meisten Verstorbenen recht human aus. Die meisten Menschen, die man im bereits sicher verstorbenen Zustand im Rettungsdienst antrifft, sind im häuslichen Umfeld (oder einem Pflegeheim) verstorben und sehen eher schlafend aus. Entstellte Unfallopfer oder ähnliches sind extrem selten und wenn damit dann jemand unter den Einsatzkräften Probleme entwickelt (oder weil es sich um Bekannte handelt), steht jedem der Kontakt zu Notfallseelsorgern, Krisen- Interventions- Teams, psychosozialer Unterstützung etc rund um die Uhr zur Verfügung. Diese Hilfsangebote stehen jeder Einsatzkraft jederzeit zur Verfügung und man tut gut daran, sie bei Bedarf in Anspruch zu nehmen. Die erfahrenen Kollegen und Praxisanleiter (sollten) Azubis zudem auch behutsam heranführen und begleiten. Wenn ich Praktikanten auf dem Wagen habe, frage ich die nach "besonderen" Einsätzen immer, wie sie damit umgehen können, ob sie Probleme haben etc.

Auslöser für die Frage ist ein Traum, welchen ich heute Nacht hatte, in dem ich im Einsatz auf Tote gestoßen bin (im Traum wurde mir unwohl etc. und wollte das Geschehene nichtmal angucken).

Ich vermute fast, dass du dir in deinem Traum vermutlich ein dramatisches Bild vorgestellt hast, weil dir ein Vergleich fehlt. Vor meiner Arbeit im Rettungsdienst habe ich mir auch vieles dramatischer vorgestellt und ausgemalt, als es letztendlich ist. Diese Sicht von "außen" auf unseren Beruf ist weit verbreitet, das merke ich, wenn ich mit externen darüber rede. Die Realität ist deutlich weniger dramatisch als Serien, Nachrichten, Dokus, die Zeitungen.

Das zweite Thema, die Angststörung, ist für mich deutlich schwieriger zu beantworten. Was löst diese Angststörung aus? Was löst diese in dir aus? In welchem Kontext steht das Ereignis

Durch ein Ereignis beim Vorlesen habe ich also enorme psychische Probleme entwickelt.

zum Dienstbetrieb im Rettungsdienst?

Dass der Rettungsdienst eine der psychisch anspruchsvollsten Tätigkeiten ist, sollte dir klar sein. Die Tendenz, eine psychische Beeinträchtigung zu erwerben, ist in diesem Beruf relativ hoch:

https://www.sicherer-rettungsdienst.de/rettungswache/zugehoerige-themen/psychische-belastungsfaktoren2

weswegen ich Menschen, welche nicht sehr stabil sind, von diesem Beruf abrate. Allerdings bin ich, das möchte ich extra betonen, in keinster Weise psychiatrisch, psychotherapeutisch oder arbeitsmedizinisch ausgebildet! Mehr als nur eine persönlich Meinung hier zu zu abzugeben, übersteigt meine Kompetenz.

(Das lustige ist, dass ich schon ein Ärztliches Attest bekommen habe für meine Geistige und Körperliche Kompetenz. Der Arzt hat mir das Attest ohne jegliche Kontrollen in die Hand gedrückt.)

Das ist leider üblich: die wenigsten Ärzte wissen mit diesem Formular:

"Hans-Elfriede Müller ist für die Tätigkeit im Rettungsdienst medizinisch geeignet"

nichts anzufangen.

Sind diese Ängste normal? Oder würdet ihr mir gleich sagen, dass der Rettungsdienst nichts für mich sein wird?

Normal, in dem Sinne, dass du dir fundierte Gedanken machst, ja!

PRINZIPIELL abraten vom Rettungsdienst würde ich dir nicht. Die Sorge vor dem Umgang mit Verstorbenen ist normal und deine Beschreibung der Angststörung ist für mich nicht präzise genug um ein Urteil abgeben zu können.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung
Anonymous557601 
Fragesteller
 09.12.2022, 10:39

Danke für die ausführliche Antwort. Ich denke ich habe dann einfach eine falsche Vorstellung von dem Beruf. Kenne Einsätze auch eher durch Dokus.
Ich denke schlimme Einsätze sind dann eher seltener der Fall.

Durch ein Ereignis beim Vorlesen habe ich also enorme psychische Probleme entwickelt.

Damit meine ich, dass ich Angststörungen vor dem Vorlesen in der Schule habe. Beim Vorlesen wurde mein ganzer Körper mit Adrenalin gefüllt und bekam des Öfteren eine Panikattacke.

Die Angststörung hat nichts mit dem Rettungsdienst zu tun. Zu dem Rettungsdienst habe ich keine Angststörung oder ähnliches.

Ich wollte damit nur sagen, dass ich schon psychische Probleme hatte und evtl anfällig darauf bin.

Ich will dir kurz erklären wie meine Angststörung entstanden ist:

Ich habe Vorgelesen , meine Stimme wurde zittrig und meine Mitschüler haben gelacht. Dieses Ereignis hat sich so sehr in meinem Gedächtnis verfestigt, sodass ich diese Ängste sogar im Alltag hatte und immer nur an diese Situationen beim Lesen gedacht habe.

Was ich damit sagen will ist, dass ich die Einsätze, die ich dann evtl. erleben werde einfach nicht vergessen kann. Gerade im Rettungsdienst muss man ja vergangen Einsätze vergessen. Ich denke ich könnte das nicht, ich würde, wenn z.B. jemand vor meinen Augen stirbt oder ich eine Suizidleiche sehe diesen Anblick niemals vergessen.

Ich will ja nur 6Monate oder vllt auch 1.5Jahre als Rettungssanitäter arbeiten, weil man da viel fürs Leben lernt und auch ordentlich Geld bekommt.

Aber was habe ich von dem Geld, wenn ich evtl. nach der Arbeit psychisch total fertig bin?
Schwierige Entscheidung aufjedenfall. Leider.

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iwaniwanowitsch  21.01.2023, 18:56
@Anonymous557601

Hallo. Entschuldige die späte Antwort, es ist unhöflich eine Diskussion einseitig zu beenden, aber die Antwort ist bei mir glatt untergegangen.

Ich denke ich habe dann einfach eine falsche Vorstellung von dem Beruf. Kenne Einsätze auch eher durch Dokus.
Ich denke schlimme Einsätze sind dann eher seltener der Fall.

Dabei stimme ich dir selbstverständlich zu. Insbesondere Dokus sind in 99% der Fälle totaler Rotz. Selbst "Feuer und Flamme", was eigentlich das beste auf dem Markt ist, bildet die Realität nicht annähernd ab. Allerdings ist auch zu sagen, dass der Rettungsdienst sich halt durch seine besondere Unstetigkeit auszeichnet. Du kannst drei Monate keine Reanimation haben, und dann plötzlich fünf hintereinander weg. Dessen sollte man sich immer bewusst sein. Ich persönlich hoffe zu jedem Schichtbeginn, dass ich keine fatal verlaufende Reanimation habe, mit besonders dramatisch trauernden Angehörigen, weil das für mich eines der am stärksten belastetsten Szenarien ist, aber darauf gefasst sein muss ich.

Durch ein Ereignis beim Vorlesen habe ich also enorme psychische Probleme entwickelt.
Damit meine ich, dass ich Angststörungen vor dem Vorlesen in der Schule habe. Beim Vorlesen wurde mein ganzer Körper mit Adrenalin gefüllt und bekam des Öfteren eine Panikattacke.
Die Angststörung hat nichts mit dem Rettungsdienst zu tun. Zu dem Rettungsdienst habe ich keine Angststörung oder ähnliches.

Gut, dann scheint die Gefahr hierbei (in meinen Augen) recht gering zu sein. Halte aber lieber dazu Rücksprache mit einem Facharzt.

Ich will dir kurz erklären wie meine Angststörung entstanden ist:
Ich habe Vorgelesen , meine Stimme wurde zittrig und meine Mitschüler haben gelacht. Dieses Ereignis hat sich so sehr in meinem Gedächtnis verfestigt, sodass ich diese Ängste sogar im Alltag hatte und immer nur an diese Situationen beim Lesen gedacht habe.

Das klingt belastend und ich kann dich sehr gut verstehen! Jemanden auf Grund einer Schwäche zu mobben ist halt unterste Schublade. Aber gut, das ist ja ein ganz anderes Thema. Ich denke, eine solche Situation wird dir im Rettungsdienst selten begegnen, die einzige Chance auf eine solche Situation bietet sich, wenn du eine Übergabe im Schockraum machen müsstest, da hören dann je nach Verletzungsmuster schon mal zehn bis 15 Mitarbeiter zu, die einem fachlich überlegen sind. Allerdings sollte es kein Problem darstellen, wenn man diese Situation im Rahmen des Wachenpraktikums übt oder auch später den Kollegen auf dem Wagen um Hilfe bittet. Mache ich selbst auch heute noch nach 13 Jahren im Rettungsdienst, wenn ich grade eine "Denk-Blockade" habe. Rettungsdienst lebt von Teamarbeit und gegenseitiger Hilfe.

Ich will ja nur 6Monate oder vllt auch 1.5Jahre als Rettungssanitäter arbeiten, weil man da viel fürs Leben lernt und auch ordentlich Geld bekommt.

Absolut korrekt, für eine "so geringe" (Achtung, bitte nicht diskriminierend wertend, rein auf die Zeit bezogen) Ausbildung bekommt man ansehnliches Geld und kann auch später, wenn man einen anderen Beruf ausübt, ehrenamtlich (bitte niemals gratis für irgendwelche HiOrgs arbeiten, sondern nur gegen Ehrenamtspauschale) und nebenberuflich gutes Geld verdienen.

Nach einer so kurzen Tätigkeit im Rettungsdienst rechne ich nicht mit einer nachhaltigen psychischen Beeinträchtigung, was allerdings auch von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist. Achte bitte auf Seele und Körper und hole dir schnellstens professionelle Hilfe, wenn du oder Freunde, Verwandte oder Kollegen pathologische Veränderungen feststellen.

Aber was habe ich von dem Geld, wenn ich evtl. nach der Arbeit psychisch total fertig bin?
Schwierige Entscheidung aufjedenfall. Leider.

Volle Zustimmung! Sehr vernünftige Einstellung, Kohle ist nicht alles. Richtig, die Entscheidung ist nicht einfach, abnehmen kann sie dir hier niemand. Berate dich am besten mit nahe stehenden Menschen darüber, wenn du solche Bedenken hast.

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