Platons und Aristoteles Idealstaat?

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Platons Staat gab es nie, es ist eine Utopie. Er nannte ihn polis (gen. politos), Aristoteles ebenso, aber das heißt auch nur Staat oder Stadt.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Albrecht  17.11.2019, 21:51

Der von Platon entworfene ideale Staat ist keine echte Utopie, weil er seine Verwirklichung zwar für sehr schwierig, aber bei einem Zusammenfall von Macht und Philosophie für möglich hält (Philosophenherrschaft).

Der Genitv von polis heißt nicht politos, sondern der Genitiv von πόλις (polis) heißt πόλεως (poleos).

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Ottavio  28.11.2019, 16:20

Danke für den Stern!

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Platon

Platons Entwurf eines idealen Staates steht im Dialog »Politeia« hervor, dessen Hauptthema die Gerechtigkeit ist. Im idealen Staat geht es nicht nur um die bloße Existenz (Überleben), sondern auch um das gute Leben. Gerechtigkeit soll verwirklicht werden. Die Verwirklichung des Staatsentwurfes hält Platon für sehr schwierig, aber nicht unmöglich (vgl, Platon, Politeia 473 c – e, wo kein Ende der Übel für Staaten und das Menschengeschlecht für möglich gehalten wird, wenn nicht die Philosophen als Könige herrschen oder die Könige oder Machthaber auf echte und ausreichende Weise philosophieren, also Macht und Philosophie zusammenfallen).

Der entworfene Staat wird an einer Stelle als Kallipolis (griechisch Καλλίπολις oder καλλίπολις, je nach Wahl von Großschreibung oder Kleinschreibung; an der Textstelle steht die Dativform dazu) bezeichnet (Platon, Politeia 527 c). Die Bezeichnung ist eine Zusammensetzung aus dem Adjektiv καλός/καλή/καλόν = „schön“, „gut“ und dem Substantiv πόλις (polis) = „Staat“, „Stadt“, „politische Gemeinschaft“ und könnte deutsch beispielsweise mit »Schönstaat« oder »Schönstadt« wiedergegeben werden.

Als Ziele des Staates versteht Platon Gerechtigkeit, Einheit und Glück der Bürger (sowohl der Einzelnen als auch der Gemeinschaft).

Platon hält den von ihm entworfenen idealen Staat für gut, a) weil Gerechtigkeit verwirklicht wird, indem alle einen Platz entsprechend ihren Fähigkeiten bekommen und ihre Anlagen/Begabungen auf bestmögliche Weise entfalten können, b) die Einheit und Eintracht sehr groß ist, c) viel Glück ermöglicht wird, d) die Herrschenden Erkenntnis in wesentliche Dinge haben und ihre Einsicht in die Idee des Guten selbstsüchtige Ausnutzung ihrer Macht ausschließt.

Aufbau der Seele und Aufbau des Staates sind aufeinander bezogen und es gibt eine Entsprechung. Es gibt in der Seele (vgl. besonders Platon, Politeia 435 – 445):

1) das Vernünftige (τὸ λογιστικόν)

2) das sich Ereifernde (τὸ θυμοειδές) [gemeint ist nicht wütend sein, sondern eher etwas wie engagiert sein]

3) das Begehrende (τὸ ἐπιθυμητικόν)

Die Seelenteile werden zu den Ständen/Klassen im Staat und zu Tugenden/Vortrefflichkeiten in Beziehung gesetzt. Die drei Seelenteile sind Arten der seelischen Ausrichtung/seelische Strebeformen.

Die vier Haupttugenden sind nach Platon:

1) Weisheit (σοφία)

2) Tapferkeit (ανδρεία)

3) Besonnenheit (σωφροσύνη)

4) Gerechtigkeit (δικαιοσύνη)

Die Seelenteile haben ihnen eigentümliche Tugenden/Vortrefflichkeiten,mit denen sie jeweils auf besondere Weise verbunden sind(auch wenn sie alle Vernunft voraussetzen): Die Besonnenheit mit einer Kontrolle über das Begehrende (τὸ ἐπιθυμητικόν), die Tapferkeit mit dem Muthaften/sich Ereifernden (τὸ θυμοειδές), die Weisheit mit dem Vernünftigen (τὸ λογιστικόν) und die Gerechtigkeit mit einer Übereinstimmung/Harmonie aller Seelenteile/Seelenvermögen. Gerechtigkeit bedeutet, das Seine zu haben und das Seine zu tun (Platon, Politeia 433b τὸ τὰ αὑτοῦ πράττειν).

Die Vernunft soll die Leitung übernehmen, eine kluge Fürsorge/Voraussicht (προμήθεια). Platon beschreibt das Verhältnis bei gutem Zusammenspiel (dem gerechten Zustand) als Freundschaft (φιλία), Übereinstimmung/Einklang (συμφωνία) und Harmonie (ἁρμονία).

Die drei Stände/Klassen (manchmal etwas zu ungenau und vereinfacht als Lehrstand, Wehrstand und Nährstand angegeben) im Staat, den Platon entwirft, sind:

1) Philosophen

2) Wächter (dienen z. B. als Krieger)

3) Erwerbsbarbeit Betreibende (z. B. Bauern, Handwerker, Händler/Kaufleute)

Es sind als in Entsprechungen aufeinander bezogen:

Philosophen – Weisheit – das Vernünftige

Wächter –Tapferkeit – das sich Ereifernde

Erwerbsbarbeit Betreibende – Besonnenheit – das Begehrliche

Es gibt in dem Staat Arbeitsteilung und Hierarchie (Unter-/Überordnung).

Aristoteles

Was mit »Politie« wiedergegeben wird, heißt griechisch bei Aristoteles πολιτεία (politeia), was „Verfassung“ bedeutet und damit der Oberbegriff ist; das Wort könnte auch mit „Bürgerstaat“ wiedergegeben werden.

Politie (πολιτεία [politeia]) hat bei Aristoteles außer der allgemeinen Bedeutung „Verfassung“ noch zwei unterschiedliche Bedeutungen:

1) gute Form der Demokratie (Politie ist eine gute Form von Demokratie im Gegensatz zur schlechten Form, der äußersten/extremen Demokratie)

2) Verfassung mit Mischung (aus Elementen/Bestandteilen verschiedener einzelner Verfassungen/Staatsformen – darunter der Demokratie – gemischt)

Aristoteles hat ein Schema mit 6 verschiedenen Verfassungen verwendet, wobei davon 3 Verfassungen als richtige Herrschaftsformen gelten, die anderen 3 Verfassungen als schlechte Herrschaftsformen, jeweils Abweichungen von den richtigen Herrschaftsformen.

Allgemeinwohl/gemeinsamer Nutzen und Gesetzlichkeit/Regieren nach dem Gesetz sind Maßstab bei der Unterscheidung zwischen richtigen Verfassungen und Entartungen/Abweichungen/Fehlformen (παρεκβάσεις [parekbaseis]; Singular: παρέκβασις [parekbasis] = Entartung/Abweichung/Fehlform).

Eine Darlegung des Schemas mit 6 verschiedenen Verfassungen ist Aristoteles, Politika (Πολιτικά (Politik; Politische Schriften; lateinischer Titel: Politica) 3, 7. Darauf bezogen ist eine kurze Zusammenfassung bei Aristoteles, Politika (Πολιτικά (Politik; Politische Schriften; lateinischer Titel: Politica) 4, 2.

Unterschieden wird bei den Grundformen nach der Anzahl, die an der Herrschaft Anteil hat: ein einziger (Alleinherrschaft/Monarchie: μοναρχία [monarchia]), wenige oder die Vielen/die Volksmenge (πλῆθος [plethos]; in den damaligen Verhältnissen bedeutete dies eine Volksherrschaft, in der alle freien erwachsenen männlichen Einheimischen [oder mit dem Bürgerecht ausgestatteten ehemaligen Ausländer] am Regieren beteiligt waren).

Die 6 unterschiedenen Verfassungen sind:

Königtum (βασιλεία [basileia])

Aristokratie (ἀριστοκρατία [aristokratia])

Politie (πολιτεία [politeia])

Tyrannis (τυραννίς [tyrannis])

Oligarchie (ὀλιγαρχία [oligarchia])

Demokratie (δημοκρατία [demokratia])

Bei der Alleinherrschaft ist das Königtum die richtige Verfassung, die Tyrannis die Entartung/Abweichung/Fehlform.

Bei der Herrschaft weniger ist die Aristokratie die richtige Verfassung, die Oligarchie die Entartung/Abweichung/Fehlform.

Bei der Herrschaft der Volksmenge ist die Politie die richtige Verfassung, die Demokratie die Entartung/Abweichung/Fehlform.

Die theoretisch beste Verfassung (von konkreten Umständen unabhängig betrachtet) ist nach Auffassung von Aristoteles eine am Allgemeinwohl orientierte Herrschaft einer Elite (des Besten bzw. der Besten), also eine Monarchie/ein Königtum oder eine Aristokratie. Aristoteles meint dabei mit Aristokratie Herrschaft der Besten (nicht Herrschaft des Adels/der ihrer Herkunft nach Vornehmsten).

Eine auf das Allgemeinwohl und Gesetzlichkeit bedachte Form der Herrschaft der Volksmenge/Demokratie, die Aristoteles Politie (πολιτεία [politeia]) nennt, ist eine weitere, etwas weniger hoch geschätzte Form einer guten Herrschaft, die einen Vorzug darin hat, in einer griechischen Polis große Chancen auf praktische Verwirklichung zu haben und sehr stabil zu sein.

Schlechte Formen der Herrschaft sind durch eigensüchtiges Streben der Herrschenden nur nach ihrem eigenen Vorteil und durch Ungesetzlichkeit gekennzeichnet.

Dazu gehören die Demokratie, schlimmer die Oligarchie und am schlimmsten die Tyrannis.

Demokratie ist in diesem Schema ausschließlich Bezeichnung einer Entartung/Abweichung/Fehlform,was nicht dem allgemeinen damaligen Sprachgebrauch entspricht. Aristoteles versteht in dem Schema Demokratie als von ihm als schlecht beurteilte äußerste/extreme Demokratie.

Bei den 6 Verfassungen unterscheidet Aristoteles Politika (Πολιτικά (Politik; Politische Schriften; lateinischer Titel: Politica) 3 - 6 in einer Darstellung mit verfeinerter Untersuchung noch verschiedene Arten/Typen. Dazu gehört auch eine Mischung, entweder nach Verfassungen mit Bezug auf Zugang zu Institutionen und Ämtern und ihren Befugnissen oder nach gesellschaftlichen Gruppen, die Anteil an der Herrschaft haben.

Aristoteles überlegt, welche Verfassung unter gegebenen Verhältnissen in der Praxis am geeignetsten und stabilsten ist. Die beste Verfassung unter gegebenen Verhältnissen ist für die Mehrzahl der Staaten und Menschen eine Mischverfassung, die (mit anderer Bedeutung als die gute Art von Demokratie) »Politie«  genannt wird. Die Politie hält Aristoteles nicht für eine ideale Verfassung, die beste Staatsform überhaupt, aber für die unter dem Gesichtspunkt praktischer Verwirklichung meistens empfehlenswerte.

Die Politie kombiniert bei der Einrichtung der politischen Funktionen (Besetzung von Ämtern und Ähnliches) klug Elemente/Bestandteile der einzelnen Verfassungen.

Die Politie ist in der Hauptsache eine Mischung aus den Grundformen Demokratie (Herrschaft des Volkes) und Oligarchie (Herrschaft weniger). Die Beamten/Amtsinhaber sollen gewählt werden, nicht für die meisten Ämter unter allen Bürgern ausgelost. Das Wahlrecht soll nicht oder nur geringfügig eingeschränkt sein (z. B. durch die Anforderung eines Mindestbesitzes). Die Politie ist eine Verfassung mit einiger Bandbreite, weil die genaue Art der Mischung unterschiedlich sein kann. Der Tendenz nach geht die Mischung eher etwas in Richtung Demokratie als in Richtung Oligarchie.

Die Politie sucht den Ausgleich zwischen einer reichen Führungsschicht und einer armen Menge, fördert zu diesem Zweck die Mittleren (eine Bezeichnung, die eine sozialen Gesichtspunkt hat, bei dem die Mittleren eine Mittelschicht sind, und eine ethischen Gesichtspunkt, bei die Mittleren die auf die richtige Mitte ausgerichteten Leute sind) und ist eine auf Freundschaft beruhende Gemeinschaft freier Menschen mit der Mitte als maßgebender Richtlinie (Aristoteles, Politik 4, 11- 13).

Kriterien der meistens am besten realisierbaren Verfassung sind:

  • Garantie von Mehrheitsentscheidungen (politisches Kriterium)
  • Herrschaft der mäßig Wohlhabenden (wirtschaftliches/ökonomisches Kriterium)
  • Errichtung der Herrschaft von Freien über Freie (soziales Kriterium)
  • Herrschaft der Vortrefflichen/Tugendhaften (ethisches Kriterium)
  • Minimierung der Umsturzgefahr (Kriterium der Stabilität)

Gesucht wird ein Ausgleich zwischen Qualität (Kategorien von Vermögen [Armut oder Reichtum], Freiheit, Adel, Bildung, Vortrefflichkeit/Tugend, die als Gründe für Herrschaftsansprüche im Staat je nach sozialer Schichtung der Bevölkerung geltend gemacht werden) und Quantität (Mehrheit des Volkes).

Alle Vollbürger haben politisch Anteil und treffen Entscheidungen. Eine Elite übt die Leitung aus.

Bei striktem Vorgehen gehören Bauern, Handwerker und Händler/Kaufleute zwar zur Bevölkerung, aber nicht zur Vollbürgerschaft der besten Polis. Aristoteles meint, sie hätten keinen Zugang zu Muße und Tugend/ Vortrefflichkeit/Tüchtigkeit (ἀρετή [arete]), was aber zur politischen Teilhabe als Bürger gehöre.

Die Krieger/Soldaten bekommen erst nach Ablauf ihrer Dienstzeit politische Rechte.

Die Priester haben aufgrund ihres Alters nicht mehr politischen Einfluß.

Nur die Gruppe mittleren Alters übt politische Macht aus.

Diese drei Gruppen sind zeitliche Durchgangsstufen.

 


Ottavio  04.12.2019, 14:52

Natürlich hätte Dir der Stern gebührt, nicht mir.

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