Physik Zwillingsparadoxon?

3 Antworten

Hallo Kxrl11,

das Wort "Zeitdilatation" ist irreführend, und das unten erwähnte Zwillingsparadoxon bzw. Uhrenparadoxon macht das deutlich.

Wenn 1 Zwilling mit Lichtgeschwindigkeit ins Weltall reist ...

Dem Lichttempo*) c kann ein Körper oder Teilchen mit Masse beliebig nahe kommen, sie aber nicht genau erreichen.

Reisen mit fast c
... würde nach 60 erdjahren der Weltall Zwilling kaum gealtert sein, ...

Dass er auf der Reise überhaupt um eine Zeitspanne Δτ > 0 gealtert ist, bedeutet, dass er nicht mit genau c unterwegs war, sondern "nur" mit dem Tempo*)

(1.1) v = c∙√{1 − (Δτ⁄Δt)²},

wobei in Deinem Beispiel Δt = 60 a die Zeitspanne ist, die von einer erdgebundenen Uhr U gemessen wurde und die U-Koordinatenzeit heißt. Die von einer Borduhr direkt gemessene Zeitspanne Δτ wird als Eigenzeit bezeichnet. Ist Δτ << Δt, kann man das nähern zu

(1.2) v = c(1 − ½(Δτ⁄Δt)²).

Wäre z.B. Δτ ein Tag, so wäre Δt⁄Δτ = 21915 ≈ 2,2×10⁴, und das Quadrat davon ist knapp 4,84×10⁸. Demensprechend ist (Δτ⁄Δt)² nur wenig mehr als 2×10⁻⁹, was rund 60cm/s entspricht. Unser Freund wäre dann also nur noch etwas mehr als 30cm/s von c entfernt.

Natürliche Einheiten

Im Folgenden verwende ich Einheiten, in denen Strecken und Zeitspannen dieselbe Maßeinheit haben, wodurch c = 1 und jedes Tempo eine eigentlich dimensionslose Zahl ist. Ein typisches Alltagstempo kann man in der Hilfsmaßeinheit ppb (engl. parts per billion = Milliardstel) angegeben. Ich bin zu Fuß meist mit so 4-5 ppb unterwegs.

Welche Uhr geht "normal schnell"?
Aber tickt die Uhr des weltallzwillings während er im Weltall ist, langsamer? Oder tickt sie für ihr normal schnell und die erduhr schneller?

Das läuft doch auf's gleiche hinaus. Man kann zwei Uhren nur im Vergleich miteinander messen. Es ergibt allerdings Sinn, den Zeittakt derjenigen Uhr, die wir als Bezugsuhr ausgewählt haben und mithin als ruhend interpretieren (in Deinem Beispiel ist dies U), als "normal" zu betrachten.

GALILEIs Relativitätsprinzip (RP)

Ich schreibe "als ruhend interpretiert", denn die Spezielle Relativitätstheorie (SRT) basiert auf dem schon von GALILEI im 17. Jahrhundert entdeckten RP: Eine Uhr U', die sich relativ zu U mit konstanter 1D-Geschwindigkeit v bewegt, kann selbst als Bezugsuhr ausgewählt werden, wodurch U zu einer mit −v (also gleich schnell in entgegengesetzte Richtung) bewegten Uhr uminterpretiert wird.

Die grundlegenden Beziehungen zwischen physikalischen Größen (nichts anderes sind Naturgesetze) behalten bei dieser Uminterpretation ihre Form, sie sind unter ihr invariant (unveränderlich).

Das Uhrenparadoxon

Deshalb spricht man ja überhaupt erst vom Zwillings- oder Uhrenparadoxon: Die SRT sagt aus, dass eine mit v bewegte Uhr um den Faktor

(1) Δt⁄Δτ = γ := 1/√{1 − v²} 

langsamer gehe als eine "ruhende".

Welche Uhr geht denn nun langsamer, U oder U'? Diese Frage wird oft als Argument gegen die SRT verwendet – oder dient dazu, die "Zeitdilatation" als reine optische Illusion (Stichwörter: DOPPLER-Effekt) darzustellen.

Die Antwort

Es gibt natürlich tatsächlich optische Effekte wie Rotverschiebung, wenn sich zwei Körper voneinander entfernen, und Blauverschiebung, wenn sie sich einander nähern. Entscheidend ist allerdings, dass – im Gegensatz zum akustischen DOPPLER-Effekt – der optische symmetrisch ist.

Betrachten wir die Phase, in der U' mit v = 0,6 (das Zahlenbeispiel ist besonders bequem zu rechnen) auf U zukommt, respektive U mit −v = −0,6 auf U'.

Im Prinzip kann jeder die Geschwindigkeit des jeweils anderen messen, indem er ein Radiosignal mit der Frequenz fₛ schickt und die Frequenz fₑ des Echos mit fₛ vergleicht:

(2) fₑ⁄fₛ = (1 + v)/(1 − v) =: K² = 4

Die Quadratwurzel daraus, K, heißt auch BONDI- K- Faktor und ist hier natürlich 2, d.h., das Signal von U kommt mit doppelter Frequenz bei U' an (von U' gemessen) und umgekehrt.

Der Witz an der Sache liegt nun in der Interpretation einer der Uhren als stationär:

Interpretieren wir U als stationär, beträgt die Differenzgeschwindigkeit**) eines von U zu U' gehenden Signals 1 + v = 1,6 und eines umgekehrten 1 − v = 0,4. Interpretieren wir U' als stationär, ist es umgekehrt.

-- Baustelle --

________

*) Geschwindigkeit im engeren Sinne (engl. velocity) ist eine Vektorgröße, eine Größe mit Richtung. Ich bezeichne sie mit v›. Was wir üblicherweise als Geschwindigkeit bezeichnen, ist eigentlich der Geschwindigkeitsbetrag (engl. speed), was im Dt. gut mit "Tempo" wiederzugeben ist. Was wir Lichtgeschwindigkeit nennen, heißt auf Englisch speed of light.

**) Das ist einfach die vektorielle Differenz zwischen den Geschwindigkeiten zweier Körper, i.Allg. im Ruhesystem eines dritten beschrieben.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

So lange sich die Zwillinge voneinander entfernen "sieht" jeder die Uhr des anderen verlangsamt. Damit ein Zwilling wieder zurückkommen kann, muß er abgebremst und wieder beschleunigt werden bzw er muß sein Bezugssystem ändern. Dadurch sind die Zwillinge nicht mehr gleichwertig. Beim Wiedersehen ist der beschleunigte Zwilling dann im Vergleich zum unbeschleunigten Zwilling weniger gealtert.

Zusatzhinweis: In großen Höhen von der Erde ist die Gravitationsbeschleunigung geringer. Deshalb gehen dort die Uhren im Vergleich zu den Uhren auf der Erde schneller. Dies muß beim GPS-System berücksichtigt werden.

Eine absolute Zeit gibt es in der Relativitätstheorie nicht.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Lehrer u. Fachbetreuer für Mathematik und Physik i.R.
SlowPhil  18.12.2022, 05:20
...er muß sein Bezugssystem ändern.

Er muss sein Ruhesystem ändern. In Sachen Bezugssystem, d.h., in welchem Koordinatensystem er physikalische Größen – einschließlich der Bewegung der Erde uns seine eigene – beschreibt, ist sein Bier. Bezugssysteme sind frei wählbar.

0
SlowPhil  01.04.2023, 12:44
Eine absolute Zeit gibt es in der Relativitätstheorie nicht.

Doch, die Eigenzeit. Die Relativitätstheorie sagt nicht aus, alles sei relativ, sondern sie "entlarvt" Größen, die aus der Sicht der NEWTONschen Mechanik Abstände sind, als Koordinatendifferenzen, und die hängen nun einmal davon ab, welches (raumzeitliche) Koordinatensystem wir benutzen. Koordinatendifferenzen sind keine wirklichen physikalischen Größen in dem Sinne, sie entstehen erst durch die Einführung eines Koordinatensystems, das uns die zahlenmäßige Darstellung von Positionen, Geschwindigkeiten etc. ermöglicht.

Übrigens gibt es in diesem Sinne auch kein elektrisches Feld, und es gibt auch kein magnetisches Feld. Es gibt nur das elektromagnetische Feld, dessen Komponenten in einem gegebenen Koordinatensystem zum Teil der Elektrizität und zum Teil dem Magnetismus zugeordnet werden. Es ist Interpretationssache, ob ein elektrisch geladener Körper ein rein elektrisches oder auch ein magnetisches Feld hat, je nachdem, ob man ihn als ruhend oder als bewegt interpretiert.

0

Die Uhr tickt für alle Akteure gleich schnell. Aber aus Sicht des Erdenzwillings tickt die ihr des Weltallzwillings langsamer.