Morphologische Artbegriff?

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Moin,

wenn man über "Arten" in der Biologie spricht, erhebt sich natürlich die Frage, was man darunter eigentlich versteht?!

Die natürlichste Herangehensweise scheint zu sein, Individuen möglichst genau zu beschreiben, ihre wesentlichen Merkmale zu erfassen und dann all diejenigen zu einer Art zusammenzufassen, die eine größtmögliche Übereinstimmung in diesen Merkmalen zeigen.

Genau das macht man (oder besser: hat man früher gemacht) im Konzept der Morphospezies (morphologischer Artbegriff). Das Motto lautet also: Was sich im Aussehen am ähnlichsten ist, gehört zu einer Art.

Gut (und perfide) an diesem Konzept ist, dass man in der Natur tatsächlich sehr viele Arten aufgrund ihres Aussehens schnell als Einheiten (Art) erkennt und gegen andere Arten abgrenzen kann, da die völlig anders aussehen.

Doch dabei gibt es eine Reihe von Problemen. Zum einen ist da der sogenannte Polymorphismus. Dieser kann sich zum Beispiel im Sexualdimorphismus ausdrücken. Darunter versteht man den Umstand, dass sich in vielen Arten die männlichen und weiblichen Individuen im Aussehen voneinander unterscheiden (eine unterschiedliche Morphologie haben). Selbst der große Systematiker C. von Linné hielt einmal die Erpel und Enten der Stockente für zwei verschiedene Arten. Oder betrachte uns Menschen. Geht man allein nach dem Aussehen, würde man Männer und Frauen wohl nicht als zu einer Art gehörend ansehen...
Eine zweite Form des Polymorphismus ist der Polyphänismus. Darunter versteht man den Umstand, dass sich auch innerhalb einer Art bestimmte Individuen stark von anderen unterscheiden können. Das ist zum Beispiel bei Rassen der Fall. Würdest du allein nach dem Aussehen einen kleinen Dackel und eine große Dogge unter den Hunden als Individuen einer Art zusammenstellen? Oder nimm wieder den Menschen. Wenn du dich bei der Zusammenstellung von Arten allein auf das Aussehen verlassen würdest, dann wären Weiße, Schwarze, Asiaten, Indianer... wohl alle eine eigene Art und nicht phänotypisch unterschiedliche Formen einer Art...
Hinzu kommen noch andere Polyphänismen. Bei Nesseltieren gibt es zum Beispiel Generationen, die festsitzend sind (Polypen) und solche, die frei im Wasser umher schwimmen (Medusen; Quallen). Die Quallen schnüren sich an der Spitzenregion der Polypen ab (Strobilation). Offenbar eine Art, aber völlig verschieden im Aussehen und in der Lebensweise...
Auch Larven können völlig anders aussehen, als die geschlechtsreifen Adulten. Das hast du zum Beispiel bei allen holometabolen Insekten (Schmetterlinge, Käfer, Bienen, Wespen...).

Ein anderes Problem der Morphospezies sind die sogenannten "Zwillingsarten". Dabei geht es im Grunde um das Gegenteil vom eben Geschriebenen. Es gibt nämlich Individuen, die sich unglaublich ähnlich sehen, aber nicht zur selben Art gehören. Oft angeführte Beispiele sind Fitis & Zilpzalp, Sumpf- & Weidenmeise oder Garten- & Waldbaumläufer unter den Vögeln, Lerchensporn-Arten oder Alpenrosen-Arten unter den Blütenpflanzen...

Wegen all dieser Schwierigkeiten mit einem Artkonzept, das sich nur nach dem Aussehen richtet, wurden noch andere Artkonzepte entwickelt, als da wären

  • das Biospezies-Konzept,
  • das Ökospezies-Konzept und
  • das Paläospezies-Konzept.

All diese Konzepte haben aber auch ihre Probleme. Dennoch ist das Biospezies-Konzept das am häufigsten verwendete, aber das geht über deine Frage hinaus...

LG von der Waterkant