Martial Epigramm 1,47?

3 Antworten

Von Experte DieChemikerin bestätigt

Einst war Diaulus Arzt, nun ist er Bestatter. Was er als Bestatter macht, hatte er auch schon als Arzt gemacht.

Das bedeutet, dass Diaulus ein völlig nutzloser und inkompetenter Arzt war, weil er seine Patienten nicht geheilt hat, sondern bestenfalls nur in den Tod begleitet hat, bzw. schlimmstenfalls die Patienten mit seiner Heilkunst getötet hat. Anders gesagt: Wer als Patient zu Diaulus kam, war schon so gut wie tot, weil Diaulus als Arzt ein absoluter Nixkönner war. Und diese Eigenschaft besteht nach wie vor: Wer als Leiche zu Diaulus kommt, ist auch tot. Der Diaulus wird mit diesem Gedicht also richtig hart gedisst.

Stilistisch ist das Gedicht besonders interessant:

Im ersten Vers liegt inhaltlich ein krasser Gegensatz vor:

Medicus kümmert sich um Lebende <=> vispillo kümmert sich um Tote.

Stilistisch baut Martial aber einen Parallelismus ein: Nuper erat medicus, nunc est vispillo (ABC,ABC). Dieses Stilmittel wird normalerweise verwendet, um Gemeinsamkeiten zu betonen. Es ist also eigentlich für diesen Vers völlig unangemessen.

Im zweiten Vers liegt eine inhaltliche Parallelität vor:

Diaulus verrichtet als Arzt und Bestatter dieselbe Tätigkeit.

Stilistisch baut Martial aber einen Chiasmus ein: vispillo facit, fecerat [...] medicus (ABBA). Dieses Stilmittel wird normalerweise verwendet, um Gegensätze zu betonen. Es ist also eigentlich für diesen Vers völlig unangemessen.

Dasselbe gilt für das Polyptoton facit<=>fecerat.

=> Martial spielt mit der Erwartungshaltung des Lesers: Im ersten Vers führt er die zwei gegensätzlichen Berufe ein und der Leser, der verschiedene Tätigkeiten erwartet, wird im zweiten Vers überrascht: Diaulus macht nach wie vor dasselbe.

Genauso verhält es sich stilistisch: Da, wo der Leser Paralellität erwartet, bekommt er einen Chiasmus; und wo er einen Gegensatz erwartet, bekommt er einen Parallelismus.

Genau das macht die unfassbar geniale Komik dieses Gedichts aus.

=> Wie du das jetzt am besten deinem Publikum verklickerst, weiß ich auch nicht. Ich würde auf jeden Fall mit vielen Farben arbeiten, um jeweils Parallelität und Gegensatz zu veranschaulichen.

Mir fällt dazu ein Zitat von Dieter Nuhr aus den 2000ern ein, das ich leider nur sinngemäß wiedergeben kann:

Dieter Nuhr stellte fest, dass die DNA von Mensch und Schwein zu 90% identisch sei (Parallelität), sodass es unterm Strich ein unendlich großer Glücksfall sei, dass wir heute beim Einkauf auf der richtigen Seite der Wursttheke stünden (Gegensatz).

Vielleicht hilft dir das ja, eine lustige Interpretation für deine Zuhörer zu gestalten.

VG

"Nuper erat medicus, nunc est vispillo Diaulus: quod vispillo facit, fecerat et medicus."

Einst war er Arzt, nun ist er Leichenbestatter. Das, was er als Leichenbestatter macht, hatte er auch als Arzt getan.

Die ärztliche Kunst hat ihre Grenzen, und nicht jeder Patient ist heilbar. Daher bleibt dem Arzt lediglich die letzte Amtshandlung, einen Totenschein auszustellen. Diese Verpflichtung wird auch vom Leichenbestatter übernommen, der den Verstorbenen in seine letzte Ruhestätte bettet, da keine andere Option mehr besteht.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – LK Latein
Von Experte Miraculix84 bestätigt

Ich interpretiere das Epigramm anders: Im Grunde war Vispillo ein miserabler Arzt und macht jetzt als Totengräber genau das, was er als Arzt getan hatte: Menschen unter die Erde bringen ...