Latein—>Infinitivendung—>capere —>Experten?

2 Antworten

also Bindevokale sind Vokale zwischen Stamm und Personalendungen

z.B. kann das "e" auch ein Bindevokal sein: bei deinem Beispiel "carpere"

die 3 Formen, die du lernen musst, heißen

carpere (= Infinitiv) = pflücken, nützen, genießen

carp-o (1.Pers. Prs.), carps-i (1. Pers. Perf) und carpt-um (PPP)

Wenn du nun das Präsens (Aktiv) bildest, hängst du an den Präsens-Stamm -

das ist der Teil des Verbs, den du erhältst, wenn du von der 1. Pers. Sg. die Personal-Endung "-o" abtrennst

= carp- [in sofern ist es nicht korrekt, wenn carpe-re, da steht; das steht dann nur deshalb da, damit du siehst, die 2 Buchstaben "-re" sind die Infinitiv-Endung]

So, nun weiter:

an den Präsens-Stamm = carp-

hängst du die Personalendungen Präsens Aktiv Indikativ/Konjunktiv =

o/m , s, t, mus, tis, nt

Präsens Indikativ Aktiv

= carp-o, carp-i-s, carp-i-t, carp-i-mus, carp-i-tis, carp-u-nt

Bindevokale sind hier: das "i" und das "u". Bei der 1. Pers. Sg. hängt die Personal-Endung direkt am Präsensstamm ohne Bindevokal.

Imperfekt Indikativ Aktiv

hier wird die für das Imperfekt kennzeichnende Silbe "-ba-" dazwischen geschoben

= carpe-ba-m, carpe-ba-s, carpe-ba-t, usw.

hier ist das "e" kein Bindevokal, denn die Regel besagt: die Imperfekt-Silbe "ba" wird an den Infinitiv-Stamm (= der Teil ohne -re) gehängt und durch die Personalendung ergänzt

Aber jetzt!!!

Futur Indikativ Aktiv

an den Präsens-Stamm = carp- werden die Personalendungen angehängt, wobei folgende Bindevokale verwendet werden:

= carp-a-m, carp-e-s, carp-e-t, carp-e-mus, carp-e-tis, carp-e-nt

hier findest du endlich neben dem "a" auch dein "e" als Bindevokal!!

Sarahmoro 
Fragesteller
 11.06.2020, 20:15

Also müsste es heißen—>carp-e-re ?

1
rhenusanser  12.06.2020, 10:55
@Sarahmoro

Das hatte dir Miraculix84 bereits bei deiner letzten Frage mit "capere" beantwortet!! Auch dass das etwas unglücklich in deinem Lateinbuch dargestellt ist.

Aber im Gegensatz zu

cap-e-re, bei dem die Formen: cap-i-o, cep-i, capt-um heißen

und der Präsensstamm = cap- heißt, wird das Präsens durch einen "i-Einschub" gebildet:

cap-i-o, cap-i-s, cap-i-t, cap-i-mus, cap-i-tis, cap-i-u-nt

Warum heißt es i-Einschub und nicht einfach: "i" ist der Bindevokal?

"i" ist Bindevokal bei der 1. Person Sg. bis zur 2. Pers. Pl., aber bei der 3. Pers. Pl. wird das "i" zwischen den Präsens-Stamm und dern Bindevokal "u" dazwischen geschoben.

0
Miraculix84  11.06.2020, 20:35

Nur mal am Rande:

Ihr seid jetzt von capere, capio (Frage) zu carpere, carpo (Antwort) mutiert. War das Absicht?

3
rhenusanser  12.06.2020, 10:39
@Miraculix84

Ich hab mich auch gewundert, aber mir wars egal und an dem Beispiel kann man die Bindevokale auch erklären.

0

Das hat Du doch schon gestern gefragt und auch die richtige Antwort bekommen: Das ĕ ist ein Bindevokal und gehört nicht zum Stamm.

Bindevokale sind keine phonologische Notwendigkeit, sonst könnte es kein Wort wie capra ‘Ziege’ geben. Sie kommen aus der Morphologie, also dem Teil der Gram­ma­tik, der sich damit beschäftigt, wie Formen gebildet werden.

In der indogermanischen Sprache, dem letzten gemeinsamen Vorläufer von Deutsch, Latein, Griechisch und Saṁskr̥t (⪆5000 Jahre) gab es manche Verben, die einen Bin­de­­vokal nahmen („thematische Verben“) und andere, die das nicht taten („athema­ti­sche Verben“); die beiden Klassen verwendeten unterschiedliche En­dun­gen. Im La­tei­ni­schen ent­wickelte sich das folgendermaßen weiter:

  • Die athematischen Verben sind größtenteils ausgestorben oder haben sich an­de­ren Klassen angeschlossen (z.B. dăre mit unregelmäßig kurzem Vokal). Die ein­zi­gen sicheren überlebenden sind esse und ire. Da bei ire der Stamm auf Vo­kal endet, gibt es keine weiteren Pro­bleme, und es nimmt einfach die the­ma­ti­schen Endungen. Bei esse ist es komplizierter: In sum sieht man noch den letz­ten Rest einer thematischen Endung, und in Formen wie es-t und es-tis sieht man, daß die Endungen direkt an den Stamm kommen, und im Infinitiv es-se sieht man noch die alte Form der Infinitivendung -se, die in allen anderen Verben durch ein Lautgesetz verändert wurde (s→r zwischen Vokalen, daher auch corpus, corporis aus älter corposis).
  • Die indogermanischen Bindevokale für simple (nicht abgeleitete) Verben waren -e- und -o-, aber im Lateinischen schwäch­ten sich unbetonte Vokale ab, so daß man -i- und -u- bekommt (-e- vor r durch ein Laut­gesetz). Aus diesen Verben wur­den die Konsonantenstämme, von denen ei­ni­ge das i der i-Stämme zusätzlich in die meisten ihrer Formen einbauten (Mischstämme). Da sie simple Verben sind, haben sie meist ein -e- im Stamm (Typ legĕre), obwohl einige innerlateinische Ent­wick­lun­gen das verschleiern können (agĕre wegen eines vom Wortanfang weg­gefal­le­nen h₂, colĕre wegen Vokalumfärbung durch w, idg. kʷel-).
  • Im indogermanischen gab es ein Suffix -ē-, mit dem Verben gebildet werden konn­ten, die Zustände beschrieben (habēre, manēre, tacēre, calēre); ein anderes Suf­fix -eie- konnte Kausative oder Iterative bilden (monēre, docēre, spondēre, als Grup­pe am o-Vokal erkennbar). Diese beiden Suffixe fielen im Lateinischen zu­sam­men und bildeten die e-Stäm­me, die später noch durch viele Neubildungen ver­­mehrt wurden.
  • Das -ā- der a-Konjugation ist dasselbe wie das der a-Deklination; um von einem Sub­stantiv ein Verb abzuleiten, wurden bereits im Indogermanischen einfach die Ver­bal­en­dungen angehängt (cura→curare). Im Lateinischen wurde dieses -a- zu ei­nem all­gemeinen Suffix ver­all­ge­mei­nert, mit dem man auch Verben zu Sub­stan­ti­ven der konsonanti­schen Deklination bilden konnte (laus←*laud-‌s→laudāre).
  • Der Ursprung der i-Konjugation ist weniger klar, aber zumindest ein Teil der Ver­ben verwendet ein Suffix idg. -ie-, mit dem Verben von Nomina der o-Deklination abgeleitet werden konnten (servus→servire).

Die Bindevokale sind also von den nicht-abgeleiteten Verben des Indogermanischen ererbt, die bereits ähnliche solche Vokale enthielten; sie wurden aber nur beibehal­ten, wenn der Stamm nicht auf Vokal endet, und sonst ausgestoßen (z.B. servire).

Umgekehrt haben viele Verben, die im Indogermanischen athematisch waren, im Lateinischen den Bindevokal aus Analogie übernommen, z.B. die Verben mit Nasal­infix, die im Indogermanischen alle keinen Bindevokal hatten: iungĕre, rumpĕre, sinĕre. Auch hier gilt, daß der Bindevokal nur eingebaut wurde, wenn es nötig war; die a-Stämme, die im indogermanischen athematisch waren (erhalten in einigen grie­chi­schen Dialekten), haben im Lateinischen zwar die Endungen der thema­ti­schen Kon­ju­ga­tion, aber nie einen Bindevokal erhalten, weil sie ihn nicht brauchten.

Die einzigen Fälle, in denen ein Vokal aus lautlichen Gründen eingefügt wird, sind die zwei Formen sum←esm̥, sumus←sm̥os. Das m konnte im Indogermanischen als Vokal m̥ gesprochen werden, aber da machte Latein nicht mit und pflanzte zur Aus­spra­che­erleich­te­rung ein -u- ein. Dagegen sollte sunt eigentlich sent heißen (ist auch so attestiert im Umbrischen, einer mit Latein verwandten Sprache), wurde aber im Lateinischen aus Analogiegründen umgebaut.

(Mit vielen Ungenauigkeiten und Vereinfachungen)

Woher ich das weiß:Hobby – Angelesenes Wissen über Sprach­geschich­te und Grammatik
evella  11.06.2020, 23:31

Bravissimo! :)) Evella

0