Kompositionsskizze?

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Meiner Meinung nach - bin u.a. studierter Philosoph und Musik-Komponist - denkst du völlig richtig; denn das Geniale (= das Schöpfende) ist in der Kreativität (= das Wachsende) eben nicht die Kopie des Genialen, sondern dessen in kleinsten Schritten "veränderte Wiederholung". Dies ist der rote Faden, den das menschliche Gehirn benötigt, so entsteht zum Beispiel auch eine erkennbare Geschichte der Künste.

Beispiel aus der Musik: Ich komponiere eine Fuge. Deren Aufbau im Großen und im Kleinen ist mir bekannt. Gehe ich aber nur danach vor, irgendwie diese Bestandteile in Noten zu schreiben, wird es zwar eine Fuge, aber eine langweilige. Zum Genialen braucht es intuitive Fehler in der Wiederholung eines Systems (vgl. biologische Evolution), die sehr klein sein dürfen, aber wahrnehmbar sein müssen. Deshalb spielt man noch Bach-Fugen (vgl. Bachs Sammlung: Das wohltemperierte Klavier), tausende andere von anderen Komponisten aus Bachs Zeit nicht mehr, zu fad. Bachs genialer Kunstgriff besteht in den so genannten Brückentönen - die Brücken von einem Akkord zum anderen in einer oder in mehreren Tonarten. Es dreht sich also um die Wahrnehmung (Ästhetik - die Lehre von der Wahrnehmung, vom Schönen - und Unschönen) über das Ohr, also über das, was im an bestimmte Systeme gewohnten Großhirn als harmonisch-konsonant oder disharmonisch-dissonant wahrgenommen wird usw..

Das logische Grundproblem ist dabei auch die häufige Verwechslung von Ursache und Wirkung in vielen Dingen, d.h. z.B. in den Künsten gerade von den Nicht-Künstlern!

WICHTIG: Mein Gehirn kennt also die abstrakte Form der Fuge, kann sie konkret durch Höranalyse erkennen und auf diese Weise des Hörens komponiere ich eine neue, deren Form im Detail dann andere erkennen, auch die "veränderte Wiederholung".

BILDENDE KUNST: Dieser Künstler malte also niemals zuerst z.B. den Goldenen Schnitt auf Leinwand und darüber sein Bild, sondern umgekehrt, sein Gehirn kennt ("Ursache") den Goldenen Schnitt, es malt genau das, was es selbst sehen möchte ("Wirkung", aber Ausdrucks-Ursache = Reflexion) und erkennt danach (Wirkung) das Muster des "verändert-wiederholten" Goldenen Schnitts! Die Ursache ist also das Gemälde irgendwie harmonisch zu gestalten und die Wirkung ist das Erkennen z.B. des verändert-wiederholten Goldenen Schnitts. Nur so kann Kunst entstehen, nicht andersherum wie Nicht-Künstler meinen, - eben durch kleinste, aber sehr sinnvolle (in der Formgebung logisch richtige) Fehler.

Und deshalb denke ich, dass deine Überlegungen und Schlüsse völlig richtig sind, auch wenn ich nicht weiß, ob E. Hopper bewusst oder wie normalerweise unbewusst bei der Bildgestaltung an den Goldenen Schnitt dachte: Der Goldene Schnitt bewirkt eben sofort die Wahrnehmung einer bestimmten Harmonie, aber - wie erklärt -, man sollte während der Bildgestaltung nicht an ihn denken, sondern an Farben, Linien, Ausdruck usw. und daran, was man einmalig darstellen möchte. Übrigens kann ich persönlich bei vielen Hopper-Bildern einen Goldenen Schnitt und andere Gestaltungsmuster entdecken.

Ich hoffe, ich konnte dir im Nachdenken über Kunst weiterhelfen.