Wie wird der kategorischer Imperativ bezogen auf Selbstmord angewendet? Wie kann dies erläutert werden?

3 Antworten

Den kategorischen Imperativ kann man auf jede Situation anwenden - in einfachster Form bedeutet es nicht weiter, als dass man immer vorbildhaft handeln soll, und immer nach dem Grundatz, "Was Du willst, dass man Dir tu, das füg auch keiem anderen zu."

Kant hat das natürlich etwas komplizierter formuliert, aber das ist im Wesentlichen der Kern der Aussage "Handle so, dass das, was Du tust immer auch eine allgemeine Regel für alle sein kann.

Das kannst Du auf jede Handlung beziehen, wobei Du immer hinterfragen musst: Was wäre, wenn alle das tun würden, was der Einzelne tut.

Nach Kant ist eine Handlung nur dann gut, wenn alle das Gleiche tun könnten, und es wäre dann immer noch gut.

Beim Thema Selbstmord hätte man da natürlich direkt ein Problem, denn bei eine Einzelperson könnte man ja Verständnis für eine solche Handlung haben, aber wenn alle das tun würden, wäre es ja nicht so gut.

Auf diese Art lässt sich nach Kant jede Handlung überprüfen, ob sie gut oder schlecht ist

Selbsttötung und falsches Versprechen sind zwei von vier Beispielen zur Untersuchung der Pflichten.

Es gilt jeweils, die Maxime einer Handlung darauf zu überprüfen, ob sie als Bestandteil einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft sowohl widerspruchsfrei gedacht als auch widerspruchsfrei gewollt werden kann.

Ein kategorischer Imperativ ist ein unbedingter, allgemeingültiger Imperativ und enthält eine Maxime (ein subjektiver Grundsatz), die sich als Bestandteil einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft eignet, als moralisches/sittliches Gebot. Ein kategorischer Imperativ gilt für alle Vernunftwesen, immer und überall. Es besteht eine Pflicht, als vernunftbegabtes Wesen dem moralischem Gesetz/Sittengesetz zu folgen, weil dies die Achtung vor dem mittels der Vernunft eingesehenen Gesetz gebietet.

Die Maxime einer Handlung ist bei Kant subjektiver Grundsatz, der den Willen bestimmt, ein subjektiv-praktisches Prinzip, das als Richtschnur/leitende Regel für Handlungen verwendet wird.

Bei Kant gibt es verschiedene Formulierungen des kategorischen Imperativs. Dabei ist die allgemeine Formel des kategorischen Imperativs die grundlegende, während andere Formeln den kategorischen Imperativ nur anders ausdrücken, um die Idee der Anschauung und dem Gefühl näher zu bringen.

Die Formel mit dem allgemeinen Gesetz (Universalisierungsformel) richtet sich auf die Einheit der Form des Willens (seine Allgemeinheit). Die Naturgesetzformel richtet sich auf die Übereinstimmung in einem Gesamtsystems (Allheit), zu der die Naturordnung eine Analogie (Ähnlichkeit, Entsprechung) darstellt. Die Menschheitszweckformel (Zweck-an-sich-selbst-Formel) bezieht sich auf Zwecke als Gegenstände des Willens.

Formel mit dem allgemeinen Gesetz/Universalisierungsformel

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 421/BA 52:

„Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.

Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1788). Erster Theil. Elementarlehre der reinen praktischen Vernunft. Erstes Buch. Die Analytik der reinen praktischen Vernunft. Erstes Hauptstück. Von den Grundsätzen der reinen praktischen Vernunft. II. Von der Befugniß der reinen Vernunft im praktischen Gebrauche zu einer Erweiterung, die ihr im speculativen für sich nicht möglich ist. § 7 Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft. AA V, 30/A 54:

„Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“

Naturgesetzformel

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785/. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 421/BA 52:

„Weil die Allgemeinheit des Gesetzes, wornach Wirkungen geschehen, dasjenige ausmacht, was eigentlich Natur im allgemeinsten Verstande (der Form nach), d. i. das Dasein der Dinge, heißt, so fern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist, so könnte der allgemeine Imperativ der Pflicht auch so lauten: handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785/. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 437/BA 81 – 82:

„Weil die Gültigkeit des Willens, als eines allgemeinen Gesetzes für mögliche Handlungen, mit der allgemeinen Verknüpfung des Daseins der Dinge nach allgemeinen Gesetzen, die das Formale der Natur überhaupt ist, Analogie hat, so kann der kategorische Imperativ auch so ausgedrückt werden: Handle nach Maximen, die sich selbst zugleich als allgemeine Naturgesetze zum Gegenstande haben können.

Menschheitszweckformel/Zweck-an-sich-selbst-Formel

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 434/BA 77 - 78:

„Die Vernunft bezieht also jede Maxime des Willens als allgemein gesetzgebend auf jeden anderen Willen, und auch auf jede Handlung gegen sich selbst, und dies zwar nicht um irgend eines anderen praktischen Beweggrundes oder künftigen Vorteils willen, sondern aus der Idee der Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetz gehorcht, als dem, das es zugleich selbst gibt.“

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV 428/BA 64 - 65:

„Nun sage ich: der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauch für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden.“

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV 429/BA 66 - 67:

„Der praktische Imperativ wird also folgender sein: Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV 433/ BA 74 – 75:

„Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle. “

allgemeine Anwendung

Das Vorgehen in der Anwendung ist des kategorischen Imperativs von Immanuel Kant ist:

1) Beschreibung einer überlegten Handlungsweise

2) Formulierung der Handlungsweise als allgemeiner Grundsatz (Maxime des Willens)

3) Überprüfung dieses Grundsatzes auf widerspruchsfreie Verallgemeinerbarkeit zu einem Gesetz als einem Bestandteil einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft

4) Ausführen einer Handlung, deren Grundsatz dem kategorischen Imperativ entspricht/Unterlassen einer Handlung, deren Grundsatz ihm widerspricht

Selbsttötung

Die untersuchte Maxime eines des Lebens überdrüssigen Menschen ist, sich aus Selbstliebe zum Prinzip zu machen, bei Erwartung von mehr Übeln als Annnehmlichkeiten im eigenen Leben das eigene Leben abzukürzen, also sich selbst zu töten. Kant meint, eine Natur, deren Gesetz es wäre, durch die Empfindung (nämlich Selbstliebe), deren Bestimmung in der Förderung von Leben liegt, das Leben selbst zu zerstören, widerspräche sich selbst und würde also nicht als Natur bestehen. Die Maxime könne unmöglich als allgemeines Gesetz stattfinden.

Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797). Zweiter Theil. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre. Ethische Elementarlehre. Erster Theil. Von den Pflichten gegen sich Selbst überhaupt. Erstes Buch. Von den vollkommenen Pflichten gegen sich selbst. Erstes Hauptstück. Die Pflicht des Menschen gegen sich selbst, als ein animalisches Wesen. 1. Artikel. Von der Selbstentleibung . § 6 AA 422 – 424 untersucht Selbsttötung als Verletzung einer Pflicht gegen sich selbst. Das Subjekt der Sittlichkeit in seiner eigenen Person zu vernichten hält Kant dafür, die Sittlichkeit selbst ihrer Existenz nach, soweit es an einem selbst liegt, aus der Welt zu vertilgen. Die Sittlichkeit sei jedoch Zweck an sich selbst. Über sich als bloßes Mittel zu einem beliebigen Zweck zu verfügen, heiße, die Menschheit in seiner Person herabzuwürdigen, der doch der Mensch zur Erhaltung anvertraut war.

falsches Versprechen

Die Maxime ist, sich von jemand Geld zu borgen mit dem Versprechen, es nach einiger Zeit wieder zurückzuzahlen, aber in der Absicht, dieses Versprechen nicht einzuhalten. Als allgemeines Gesetz kann dies nicht gewollt werden, weil es nicht mit sich selbst zusammenstimmen kann, sondern ein Widerspruch auftritt. Ein solches allgemeines Gesetz würde Versprechen und den mit ihnen verfolgten Zweck unmöglich machen. An die Erfüllung von Versprechen kann ja dabei vernünftigerweise nicht geglaubt werden.

Menschen würden dabei auch zu bloßen Mitteln gemacht, obwohl sie als vernunftbegabte Wesen auch Zweck an sich selbst sind.

Kant-Text

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV 421 – 422/BA 52 - 55:

„Nun wollen wir einige Pflichten herzählen nach der gewöhnlichen Eintheilung derselben in Pflichten gegen uns selbst und gegen andere Menschen, in vollkommene und unvollkommene Pflichten.

1) Einer, der durch eine Reihe von Übeln, die bis zur Hoffnungslosigkeit angewachsen ist, einen Überdruß am Leben empfindet, ist noch so weit im Besitze seiner Vernunft, daß er sich selbst fragen kann, ob es auch nicht etwa der Pflicht gegen sich selbst zuwider sei, sich das Leben zu nehmen. Nun versucht er: ob die Maxime seiner Handlung wohl ein allgemeines Naturgesetz werden könne. Seine Maxime aber ist: ich mache es mir aus Selbstliebe zum Princip, wenn das Leben bei seiner längern Frist mehr Übel droht, als es Annehmlichkeit verspricht, es mir abzukürzen. Es frägt sich nur noch, ob dieses Princip der Selbstliebe ein allgemeines Naturgesetz werden könne. Da sieht man aber bald, daß eine Natur, deren Gesetz es wäre, durch dieselbe Empfindung, deren Bestimmung es ist, zur Beförderung des Lebens anzutreiben, das Leben selbst zu zerstören, ihr selbst widersprechen und also nicht als Natur bestehen zu zerstören, ihr selbst widersprechen und also nicht als Natur bestehen würde, mithin jene Maxime unmöglich als allgemeines Naturgesetz stattfinden könne und folglich dem obersten Princip aller Pflicht gänzlich widerstreite.

2) Ein anderer sieht sich durch Noth gedrungen, Geld zu borgen. Er weiß wohl, daß er nicht wird bezahlen können, sieht aber auch, daß ihm nichts geliehen werden wird, wenn er nicht festiglich verspricht, es zu einer bestimmten Zeit zu bezahlen. Er hat Lust, ein solches Versprechen zu thun; noch aber hat er so viel Gewissen, sich zu fragen: ist es nicht unerlaubt und pflichtwidrig, sich auf solche Art aus Noth zu helfen? Gesetzt, er beschlösse es doch, so würde seine Maxime der Handlung so lauten: wenn ich mich in Geldnoth zu sein glaube, so will ich Geld borgen und versprechen es zu bezahlen, ob ich gleich weiß, es werde niemals geschehen. Nun ist dieses Princip der Selbstliebe oder der eigenen Zuträglichkeit mit meinem ganzen künftigen Wohlbefinden vielleicht wohl zu vereinigen, allein jetzt ist die Frage: ob es recht sei. Ich verwandle also die Zumuthung der Selbstliebe in ein allgemeines Gesetz und richte die Frage so ein: wie es dann stehen würde, wenn meine Maxime ein allgemeines Gesetz würde. Da sehe ich nun sogleich, daß sie niemals ein allgemeines Naturgesetz gelten und mit sich selbst zusammenstimmen könne, sondern sich nothwendig widersprechen müsse. Denn die Allgemeinheit eines Gesetzes, daß jeder, nachdem er in Noth zu sein glaubt, versprechen könne, was ihm einfällt, mit dem Vorsatz, es nicht zu halten, würde das Versprechen und den Zweck, den man damit haben mag, selbst unmöglich machen, indem niemand glauben würde, daß ihm was versprochen sei, sondern über alle solche Äußerung als eitles Vorgeben lachen würde.“

Der kategorische Imperativ sagt ja aus, dass du nur nach derjenigen Maxime handeln sollst, von der du wollen kannst, das sie ein allgemeines Gesetz werde. Da kannst du das mit dem Geld leihen drauf anwenden.

MzHyde1  22.02.2016, 17:32

ergo du darfst versprechen geld zu zurückzuzahlen, obwohl du es nicht kannst. wenn jeder danach handeln würde würde prinzipiell niemand mehr geld verleihen. also nicht danach handeln.

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dandy100  22.02.2016, 17:41
@MzHyde1

Wie bitte? "Du darfst versprechen Geld zu zurückzuzahlen, obwohl du es nicht kannst"

Natürlich nicht! Wenn jeder so handeln würde, wäre das eine ein äusserst unmoralische Tat, das is doch ganz klar -  das entspricht unter keinen Umständen Kants Moralphilosophie - was für ein absurde Idee

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MzHyde1  22.02.2016, 17:43

hab ich doch auch gesagt ? :D

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