Kann mir jemand diese Karikatur vom Wiener Kongress erklären?

DIese Karikatur meine ich - (Geschichte, Wiener Kongress)

3 Antworten

allgemeine Methode

Im Geschichtsunterricht sollte etwas über die Methode, sich mit einer Karikatur zu beschäftigen, vermittelt worden sein. Bei sehr umfangreicher Behandlung gibt es drei mögliche Schritte:

1) Beschreibung (es geht darum, was bei der Betrachtung der Karikatur in der Sinneswahrnehmung zu sehen ist)

2) Deutung/Erklärung (es geht darum, was das Dargestellte bedeutet und was insgesamt die beabsichtige Aussage der Karikatur ist)

3) Einordnung und eine Wertung/Bewertung/Beurteilung/Stellungnahme

Bei der Beschreibung kann darauf geachtet werden, welche Situation/welche Lage/welches Ereignis/welcher Zustand/welche Entwicklung/welches Problem dargestellt ist, welche Personen/Figuren/Staaten/Völker abgebildet sind und wie (Mimik, Gestik, Körperhaltung, spezielle Merkmale und beigefügte Gegenstände), was für Symbole (Zeichen, die für etwas stehen) und Metaphern (in übertragener Bedeutung verwendete Ausdrücke) vorkommen, was auf welche Weise abgebildet ist, wie der Bildaufbau gestaltet ist (welche Perspektive ist gewählt, was ist im Vordergrund, im Hintergrund, im Mittelpunkt, wird hervorgehoben?), welche Überschrift oder Bildunterschrift beigefügt ist, welche Texte gegebenenfalls vorhanden sind, was für auffallende Gestaltungsmittel (wie Farbe, Schattierung, Verzerrung) verwendet sind.

Bei der Deutung/Erklärung kommt es darauf an zu verstehen, was das Thema der Karikatur ist, in welchen Zusammenhängen sie steht, was die Bestandteile bedeuten, wie die Aussageabsicht ist, an wen sich die Karikatur richtet und und welche Ziele dabei verfolgt werden (wogegen wendet sich die Karikatur/wen und was greift sie an, wen und was verteidigt/befürwortet sie).

Bei der Einordnung und Wertung/Bewertung/Beurteilung/Stellungnahme kann zum einen ein Sachurteil, zum andern ein Werturteil geschreiben werden. Es kann einerseits (Sachurteil) untersucht und angegeben werden, welche Meinung in einem größeren/übergeordneten Zusammenhang vertreten wird, wie genau, deutlich und schnell wahrnehmbar die Aussageabsicht vermittelt wird, wie geeignet die Darstellungsmittel zum Erreichen der Ziele, wie gut Bild und Text zusammenpassen. Es kann andererseits (Werturteil) ein persönliches Urteil mit Bezug auf Werte abgegeben werden.

Prinzipien bei den Verhandlungen des Wiener Kongresses

1) Legitimität (Rechtmäßigkeit der Herrschaft der Fürsten, die auf althergebrachten Rechten beruht; die Herrschaftsbefugnis wurde auch religiös gerechtfertigt [Gottesgnadentum der monarchischen Dynastien]; das von Napoleon geschaffene Staatensystem wurde beseitigt und alte Dynastien [mit wenigen Ausnahmen bei ehemaligen Kleinstaaten] wiedereingesetzt)

2) Restauration (weitgehende Wiederherstellung der Verhältnisse vor der Französischen Revolution 1789, also Rückkehr zu den alten politischen Zuständen)

3) monarchische Autorität (die Monarchen wollten eine starke Stellung nach innen in ihren Staaten, die nicht vom Volk erschüttert werden sollte [Zementierung der Fürstenmacht])

4) monarchische Solidarität (die Monarchen wollten ihre [wiederhergestellte] Herrschaft durch Zusammenarbeit ihrer Staaten sichern und festigen, beabsichtigt war eine einträchtige gemeinsame [solidarische] Abwehr revolutionärer Erhebungen, Hilfe von außen sollte die Stellung der Monarchen gegen liberale und nationale Bewegungen schützen und diese Gegner bekämpfen)

5) Gleichgewicht und Frieden (die Kräfteverhältnisse sollten ausbalanciert sein und in Europa ein Gleichgewichtssystem hergestellt werden, bei dem kein einzelner Staat eine deutliche Übermacht besitzt wie zeitweise Frankreich unter dem „Usurpator“ [Herrscher, der „unrechtmäßig“ die Herrschaft an sich gerissen hatte] Napoleon; 5 Großmächte [Frankreich, Großbritannien, Russland, Preußen und Österreich] standen im Mittelpunkt des Systems [Pentarchie], das Frieden untereinander gewährleisten sollte)

Karikatur „La balance politique"

Die Karikatur bezieht sich auf die Verhandlungen des Wiener Kongresses (1814 – 1815). Thematisiert wird durch den Titel der Karikatur und die Darstellung eines Abwiegens mit einer Waage (Waagschalen werden ausbalanciert) das Gleichgewicht (der Kräfte/der Mächte). Dieses war eines der Prinzpien bei den Verhandlungen des Wiener Kongresses.

Erklärungen zur Karikatur

Die Karikatur ist in einer französischen satirischen Zeitschrift erschienen, Le Nain jaune ou Journal des arts, des sciences et de la littérature, am 15. Mai 1815 in Paris. Die Zeitschrift hatte eine ziemlich liberale und patriotische Ausrichtung, war gegen royalistische Anhänger der Bourbonen (französische Adelsfamilie, aus der 1589 – 1793 die Könige Frankreichs kamen und aus der Ludwig XVIII. 1814 als König eingesetzt worden war; sie galt bei den Verhandlungen des Wiener Kongresses als legitime Dynastie Frankreichs). Die Zeitschrift hatte politische Sympathien für Napoleon, wie sich bei seiner Rückkehr von Elba nach Frankreich zeigte. Napoleon war vorübergehend wieder an die Herrschaft gelangt, verlor aber am 18. Juni 1815 die Schlacht bei Waterloo bzw. Belle-Alliance und trat am 22. Juni 1815 zurück. Die Akte des Wiener Kongresses mit den ausgehandelten Bestimmungen ist am 9. Juni 1815 unterzeichnet worden.

Die Personen im Vordergrund sind Vertreter der damaligen 5 Großmächte, leitende Staatsmänner. Von links nach rechts: Großbritannien (2 Leute), Preußen, Österreich, Russland, Frankreich. Für die Aussage der Karikatur ist von Bedeutung, um welche Staaten es sich handelt, nicht so sehr, welche Personen genau abgebildet sind (dies ist auch nicht in jedem Fall eindeutig zu erkennen). Die Personen sind vornehm gekleidet, oft in Uniformen und mit Orden geschmückt.

Im Hintergrund stehen 5 militärisch gekleidete Männer (Fürsten oder Offiziere).

Von einem Haken hängt eine große Waage mit zwei Waagschalen herab. Mit dieser Waage wird ein politisches Gleichgewicht abgewogen.

Während andere Staaten ein Bündel, das für ein Land und Menschen steht, auf die Waagschale legen, legt Großbritannien Geld hinein. Als Gegenwert zu dem Bündel, das für Sachsen (Saxe) steht, hat ein Vertreter Großbritanniens (offensichtlich Wellington in Offizierskleidung, mit Federhut, Reitpeitsche und Handschuhen am Boden abgelegt) Goldbarren und Münzen in die Waagschale gelegt. Seine linke Hand bleibt bei den Goldbarren, in der rechten Hand rechten Hand trägt er einen Geldbeutel. Die Waagschalen sind fast ausgeglichen, die linke Waagschalge ist noch geringfügig höher. Auf der linken Seite beugt sich ein Mann über eine große Schatztruhe, die mit Metallbeschlägen versehen ist, darunter anscheinend eine Dekoration mit dem britischen Wappen. In der Truhe befinden sich offenbar viele Geldpapiere. Der Mann ist ein Brite, gedacht werden kann an Nicholas Vansittart, damals britischer Schatzkanzler (Leiter des britischen Finanz- und Wirtschaftsministerium). Seine Äußerung ist: Uns bleiben noch Banknoten („il ne nous reste plus que des Banques-notes.“). Wellington erklärt: Wir werden nicht 3 Shilling pro Kopf zahlen („Nous ne les payerons que 3. schellings par tête.“).

Um das Bündel, das für Sachsen steht, ist eine Kordel wie eine Paketschnur gebunden und vierteilt die Außenseiten. Aus einer offenen Stelle kommen Köpfe und Arme von klein dargestellten Menschen heraus und scheinen zu rufen (ähnlich ist es auch bei zwei anderen Bündeln). Ein Preuße (dem Aussehen nach eher Hardenberg als König Friedrich Wilhelm III.) legt seine Hand auf eine Seite des Bündels und erklärt: Ich werde davon die Hälfte nehmen („J'en Prendrai la Moitié.“). Unten auf dieser Seite sind am Bündel die Initialen F. G. (Friedrich Wilhelm französisch = Frédéric-Guillaume) angebracht. Ein Vertreter des Kaisertums Österreich (Metternich, Kaiser Franz I. oder ein anderer [z. B. hatte Feldmarschall Karl Philipp zu Schwarzenberg einen Backenbart wie die Person in der Darstellung]) legt seine Hände an die andere Seite des Bündels. Er erklärt: Ich stimme zu, wenn du mir Gebiet nördlich des (Flusses) Po lässt („J'y consens pourvu— qu'on me laisse sur le Po.“). Am Bündel ist auf dieser Seite ein O mit Querstrich (vielleicht für Österreich) oder ein durchgestrichener Kreis angebracht.

Rechts daneben sitzt ein Vertreter Russlands (könnte Alexander I. sein, aber es ist der Rücken und nicht das Gesicht zu sehen) auf einem Fass, das für Polen steht (teilweise verdeckte Aufschrift Pologne). Es ist nach links offen und Köpfe und Arme von klein dargestellten Menschen kommen heraus, die zu rufen scheinen. Der Russe erklärt: Ich habe mein Polen im (Schrift-)Stück („J'ai ma Pologne en pièce.“). Er befindet sich in einem Gespräch mit Talleyrand, Vertreter Frankreichs. Dieser sagt: Ich bitte Sie – für einen Louis („Je M'en demande — que pour un Louis.“). Mit Louis ist König Ludwig XVIII. von Frankreich gemeint, zu dieser Zeit im Exil. Talleyrand war während der Französischen Revolution 1797 – 1799 Außenminister gewesen in der Zeit des Direktoriums), 1799 – 1807 unter Napoleon (Konsulat und Kaiserreich) und wurde 1814 ereneut Außenminister von Frankreich, in einer vorläufigen Regierung, mit der ein Übergang zu König Ludwig XVIII. von Frankreich begann. Talleyrand ist als jemand dargestellt, der nur bitten kann, im Namen des als legitimer Herrscher geltenden Königs Ludwig XVIII. von Frankreich.

Polen gilt als Alexander I. zugeteilt. Tatsächlich hat er den Hauptteil Polens bekommen („Kongresspolen“), während Preußen einen kleineren Teil bekam, Österreich bei polnischen Teilungen gewonnene Gebiete erneut erhielt und eine Republik Krakau unter ein Protektorat aller drei Großmächten gemeinsam kam.

Preußen hat (mit russischer Unterstützung) zuerst das ganze Königreich Sachsen beansprucht. König Friedrich August I. (der auch Herrscher im Großherzogtum Warschau gewesen war) wurde dafür bestraft, bis zum Okober 1813 mit Napoleon verbündet gewesen zu sein, was Preußen und Russland für ein Streben nach Ausdehnung ausnutzten. Preußen bekam schließlich einen erheblichen Teil (etwa die Hälfte) Sachsens, aber ein Königreich Sachsen blieb mit kleinerem Gebiet bestehen. Großbritannien und Österreich wollten Preußens Macht nicht allzu stark steigern, wobei Frankreich ihnen Unterstützung bot.

Weitere Bündel auf der linken und rechten Seite sind Belgien (Belgique) und Italien (Italie). Belgien kam an die Niederlande. Das Kaisertum Österreich bekam große Gebiete in Norditalien.

Aussageabsicht der Karikatur

Die Karikatur zeigt eine kritische Sichtweise zu den Verhandlungen des Wiener Kongresses: Herrscher und Minister betreiben bei der Zuteilung von Ländern einen Länderschacher. Wünsche der Menschen in den Ländern haben für die Verteilung keine Bedeutung, sie werden missachtet. Die Idee des Gleichgewichts erscheint in schlechter Weise, als Ergebnis eines Gefeilsches gieriger Monarchen, das Völkern keine Selbstbestimmung zugesteht.

Abbildungen auf Internetseiten (zum Teil mit Beschreibungen, wobei einige Einzelheiten wohl nicht gesichert sind):

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/98/Bodleian_Libraries%2C_La_balance_politique.jpg

http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/71040028

http://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_details.aspx?objectId=1338735&partId=1

tttom  03.10.2016, 10:03

Ich glaube besser kann man es nicht machen!

3

Ich versuche mal, dir ein paar Tipps zu geben, die dir vielleicht weiterhelfen, den Sinn der Karikatur zu verstehen:

  • Schau dir doch mal den Titel der Karikatur an: "LA BALANCE POLITIQUE".
  • Im Mittelpunkt der Karikatur sieht man eine ausbalancierte Waage.
  • Außer einem in Viertel aufgeschnürten "Sachsen" auf der einen Waagschale sieht man auch noch andere Bündel, die Namen tragen.

Was sagt dir das? Worum geht es? Was wird dargestellt?  ;-)

Die einzelnen Personen sind überhaupt nicht so wichtig, doch ist natürlich davon auszugehen, dass es sich um die leitenden Staatsmänner des Wiener Kongresses handelt, also Metternich, Hardenberg, Talleyrand u.a.

MfG

Arnold

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich arbeite als Historiker.

Gar nicht so einfach. Es geht um das Gleichgewicht zwischen einerseits Großbritannien links, das vor allem sein Geld einsetzt, und auf der anderen Seite Preußen, das halb Sachsen bekommt, Österreich, das Italien hat, und Russland, das Polen beherrscht.