Ist die Geschichtslehre und Archäologie überhaupt ernst zu nehmen?

8 Antworten

Du solltest Dich ernsthaft mal mit Archäologie beschäftigten. Ich wollte das mal studieren, aber es kam anders. Aber bis heute wäre Archäologie und/oder Geschichte ein Wunschstudium - naja, vielleicht mal in der Rente.

Das Zitat "Sieger schreiben Geschichte" bezieht sich auf Kriege. Der Unterlegene in einem Krieg hat meist keine Möglichkeit seine Sicht der Dinge aufzuschreiben.

Archäologie ist völlig anders. Bereits im Mittelalter fing man an sich für Vergangenes zu interessieren und hat es aufgezeichnet. Auch Bewuchsmerkmale in Felder interpretierte man richtig als Fundamente ehemaliger Bauten. Nur Ausgegraben hat sie keiner.

Im 18. Jahrhundert ging es dann so richtig los. Manchmal schaute die Spitze eines Bauwerks aus dem Boden und man grub es aus. Man entdeckte, dass in unterschiedliche Tiefen unterschiedliche Gegenstände liegen - so kann man in einem Siedlungsgebiet das Alter abgrenzen - nicht scharf, aber so ungefähr. Man erfährt anhand von Lebensmittelresten, was die Leute gegessen haben, anhand von Scherben, wie die Lagerung war oder ihr Geschirr usw.

Dieses Ausbuddeln gab den den Anreiz in Ägypten zu graben, zu gucken, ob die Geschichten des alten Griechenlands stimmen und man fand Troja tatsächlich, sogar sieben Städte übereinander.

Heute helfen verschiedene Methoden das Alter zu bestimmen. Die Radiokarbonmethode misst den Zerfall von Atomen. Die Massenspektronomie hilft uns herauszufinden, wie die Menschen sich früher ernährt haben.

Dabei schreibt nicht der "Sieger" die Geschichte - so funktioniert Wissenschaft nicht! Sondern jemand veröffentlich eine These international und viele andere Wissenschaftlicher machen sich dran sie zu überprüfen. Dann wird sie entweder bestätigt oder verworfen. Wissenschaft ist immer Wiegen, Messen, Zählen - nicht raten. Bei der Archäologie hat sich in den letzten drei Jahrhunderten eine Unmenge an Wissen angesammelt, die Vergleiche zulässt. So kann man Bodenschichten, die hier so und so sind vielleicht auch woanders so und so interpretieren. Hilfe ist uns immer die Aufzeichnung von Geschichtsschreibern, die z.B. erwähnten, wann das erste Mal aus Glasbechern getrunken wurde. Wenn man also Glasbecherscherben findet, weiß man, dass muss dann also danach gewesen sein.

Manipulieren kann man heutzutage kaum mehr, auch wenn es immer wieder versucht wird. Die angeblichen Hitler-Tagebücher in den 1980ern waren so ein Fall. Doch dank moderner Technik kann man ermitteln, dass das Papier nach 1950 hergestellt sein muss.

Daswegen halte ich die Geschichtslehre und Archäologie für kritisch. Es ist alles eine Sache der Interpretationen.
Wie sieht ihr das?

Pauschalaussagen helfen hier nicht weiter. Es gibt gesicherte Fakten und es gibt manchmal auch Unsicherheiten aufgrund dürftiger oder fehlender Quellen. Und je weiter man in der Geschichte zurückgeht, desto unsicherer werden die Quellen, meistens zumindest. Am ergiebigsten sind natürlich Hochkulturen, die uns dauerhafte Bauwerke und schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben.

"die Sieger schreiben die Geschichte"? - Ja, und genau deswegen nehme ich Geschichtswissenschaft und Archäologie sehr ernst.

Wenn wir nicht einfach blind glauben wollen, was irgendein alter (oder neuer) Text uns erzählt, dann brauchen wir Methoden um diese Quelle kritisch zu analysieren. Wir müssen Überlieferungsgeschichte erforschen, die Quelle in den Kontext setzen und bewerten. Und nichts anderes lehrt die Geschichtswissenschaft.

In der Schule habe ich brav die Jahreszahlen und "Fakten" aus dem Geschichtsbuch gelernt und fand es sehr interessant.

Im Studium der Geschichtswissenschaft habe ich gelernt, alles in Frage zu stellen. Jede Jahreszahl hängt an einer komplizierten Rekonstruktion der Chronologie, jede Anekdote über irgendeine Herrscherin geht auf einen mehr oder weniger verlässlichen Quellentext zurück, jeder Schlachtenbericht ist politische Propaganda.

Fazit: je mehr man der Geschichtsschreibung misstraut, desto mehr sollte man über Geschichtswissenschaft lernen... denn dann kann man sich ein eigenes Bild von der Quellenlage machen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Grundstudium Ägyptologie und Geschichtswissenschaft

Zunächst mal gibt es Fakten - die diskutiert keiner. Wohl aber wird in Historikerkreisen über Wertung und Einordnung diskutiert. Neue Fakten können diese Diskussion verändern. Aber der historische Diskurs ist auch dem zeitgeist unterworfen, mit größerem Abstand werden Fakten neu bewertet.

😂 Es ist schon amüsant, wie oft etwas als unumstößlicher Fakt hingestellt, und dann, ups, war doch alles ganz anders.

Mir fällt spontan eine ARTE-Doku zu ein:

ARTE-Doku: War die Steinzeit viel weiter entwickelt?
»Die Erforschung der oft außergewöhnlichen Grabstätten des Paläolithikums revolutioniert unser Bild vom Steinzeitmenschen. Die Stätten, von denen die meisten vor rund 25.000 Jahren entstanden, weisen üppige Verzierungen auf. Zu welchem Zweck? War die paläolithische Kultur viel differenzierter als lange gedacht? Auch was die gesellschaftliche Stellung von Frauen und Männern betrifft?«

Es ist wirklich schade, dass die nicht mehr vorhanden ist.

Darum behalte ich mir vor, selbst zu denken und zu überlegen, wie es sonst gewesen sein könnte.