Inwiefern unterscheidet sich Mathe im Studium vom Schul-Mathe?

1 Antwort

Nehmen wir mal ein ganz klassisches Thema aus der Schulmathematik, die Bestimmung von Nullstellen einer quadratischen Funktion der Form

f(x) = ax² + bx + c

In der Schule geht es dann darum, ein Lösungsverfahren zu finden, mit der die Nullstellen dieser Gleichung bestimmt werden können. In der Regel führt man das über die binomischen Formeln ein und über die quadratische Ergänzung und am Ende hat man dann die sogenannte Mitternachtsformel. Dann gibt es noch Fragen z. B. wann gibt es keine, eine oder zwei Lösungen. Und schließlich wendet man die Formel möglichst oft an, damit man sie einübt. Oft ist das für Schüler so, dass sie den ganzen Herleitungsteil am liebsten überspringen möchten und nicht unbedingt verstehen wollen, worum es dabei geht.

In der Mathematik an der Uni ist das aber der Hauptteil! Man würde sich zunächst damit befassen, was überhaupt diese ganzen Rechnungen sind - Addition, Multiplikation, Zahlen, was ist das, wie funktioniert das, welche Regeln gelten dabei, welche Regeln muss man voraussetzen, welche ergeben sich als logische Schlussfolgerungen der anderen, was passiert, wenn man neue Regeln dazu packt, gibt es Widersprüche usw., man versucht also ein möglichst kleines System von Regeln zu finden, dass das, was man in der Schulmathematik so einfach macht, beschreibt. Und dann geht es weiter: Wie kann man z. B. die Zahlen so erweitern, dass man immer eine Lösung einer quadratischen Gleichung findet? Welche Regeln gelten dann immer noch, welche nicht? Wie sieht es dann mit den Lösungsformeln aus - was ist überhaupt eine Lösungsformel für so ein Problem? Und wenn man weiß, was eine Lösungsformel ist, kann man dann auch für andere (z. B. mit x³, x^4, x^27) welche finden? Wie kann man beweisen, dass man keine finden kann (z. B. ist eines der wesentlichen Ergebnisse der Algebra, dass man im Allgemeinen für Gleichungen mit x^5 und mehr KEINE finden KANN, das lässt sich beweisen). Wie beweist man überhaupt Dinge, was ist ein Beweis und welchen Kriterien muss der entsprechen?

Und so geht man faktisch an jedes mathematische Problem heran. Man variiert die Voraussetzungen, man versucht, eindeutige Regelsysteme zu finden, man lässt bestimmte Bedingungen weg und nimmt andere hinzu, man versucht, von der einen Struktur (z. B. von Punkten einer Ebene und den Geraden dadurch, die parallel sind oder eben nicht) zu ganz anderen Strukturen zu kommen (z. B. zur Frage, ob beim Rechnen unter bestimmten Bedingungen immer a * b = b * a gilt oder eben nicht) - denn diese beiden Probleme lassen sich aufeinander zurückführen.

Man ist also gar nicht mehr an einzelnen Lösungen interessiert und auch ganz oft gar nicht an bestimmten Lösungsverfahren, sondern eine Hauptfrage ist immer Warum gilt etwa, wann gilt es, wann gilt es nicht, und (wie) kann ich das entscheiden? Man fragt nicht: Was ist die Lösung? Sondern: Was heißt überhaupt Lösung? Wann gibt es eine Lösung und wann nicht? Die konkreten Fälle interessieren dann nicht mehr.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Dipl.-Math. :-)
20Fragender00 
Fragesteller
 09.03.2023, 02:21

Danke, sehr interessant

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