Immanuel Kant über den Selbstmord?

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In seiner Vorlesung über Ethik aus dem Jahre 1924 heißt es, dass die Selbst­tötung moralisch verwerflich sein müsse, da ansonsten Strafen vor kriminel­len Handlungen an Wirkung verlieren, da sich der Kriminelle jederzeit von dieser Strafe erlösen kann. Jedoch ist zusätzlich zu erwähnen, dass sich die Informationen, die aus dieser Vorlesung stammen aus einer Zeit vor Kants kritischen Schriften stammen und in seinen späteren Schriften keine Erwäh­nung mehr findet.

„Dieses ist das Erschrecklichste, was sich denken läßt, denn wer es schon soweit gebracht hat, daß er jedesmal ein Meister über sein Leben ist, der ist auch Meister über jedes anderen sein Leben, dem stehen die Türen zu allen Lastern offen, denn ehe man ihn habhaft werden kann, ist er bereit, sich aus der Welt wegzustehlen

Kant spielt hier darauf an, dass die Selbstentleibung verwerflich sei, da man sich so zum Herr seines Lebens macht und dieses beenden kann, was ermög­licht, sich drohenden Strafen zu entziehen. Jedoch bedeutet diese Formulie­rung, dass der Suizid nur dann verwerflich ist, wenn man davon ausgehen muss, dass der Suizident die Möglichkeit des Suizids ausnutzt um anderen Leid oder Unrecht anzutun. Kant verurteilt hier also nicht den Suizid an sich, sondern, dass er eine letzte Möglichkeit darstellt sich den gesellschaftlichen Strafen und Gesetzen zu entziehen, was sich auf das Verhalten aus wirken könnte. Es handelt sich hier also nicht um ein direktes Verbot der Selbsttö­tung sondern um eine indirekte, bedingte moralische Verwerflichkeit, da hier die Entscheidungen des Suizidenten sich umzubringen von der zu befürch­tenden Strafe für seine Taten abhängt. Hector Wittwer, Privatdozent an der Humboldt-Universität in Berlin, der sich eingehend mit dem Thema beschäf­tigte, kritisiert hier jedoch, dass sich bei dieser durch Strafbefürchtung be­dingten Verwerflichkeit keine „vernünftig Ethik gründen“ lässt, „da sie über bloße Klugheitsregeln niemals hinausführen“ wird. Es lassen sich auf­grund der Bedingtheit des Verbots „keine allgemeinen Prinzipien“ über die Legitimation bestimmter Handlungen denken.Wendet man diese Begrün­dung auf das Verbrechen des Diebstahls an, so stellt sich hier dann die Frage, ob dieser in dem Falle erlaubt wäre, wenn keine Bestrafung zu erwarten ist? Außerdem seien diese Überlegungen gar keine moralischen im Sinne Kants, „weil sie nur die Folgen einer Handlung für den Akteur berücksichtigen also in unserem Falle die Bestrafung der Tat. Des Weiteren setzt diese Be­gründung voraus, dass wenn die Selbsttötung legitimiert werde, dies automa­tisch dazu führen würde, dass man sich auch dazu berechtigt fühlt unrechte

Handlungen zu tätigen. Er nimmt an, dass der Mensch seine Handlungen nur von der Bestrafung abhängig macht.

Der Suizident begehe also erst dann seine Taten in dem Wissen, dass er sich danach umbringt, wenn ihm die zu erwartende Strafe droht. Dies wäre je­doch eine empirische Voraussetzung. Da Kant jedoch in seinen moralphilo­sophischen Schriften selbst anführt, dass eine Handlung nur dann moralisch ist, wenn die ihr zu Grunde liegende Gesinnung der Beweggrund der Hand­lung ist, dann führt dies zu dem Schluss, dass das Argument des Verbots der Selbsttötung über die Strafe, welche ja eine extrinsische Ursache ist und da­mit keine Gesinnung, keine Rolle spielt, bzw. spielen darf. Des weiteren führt Wittwer an, dass im Falle von Kants Begründung eine „Korrelation zwischen der Suizidrate und der Zahl der Verbrechen in einem Staat nachweisbar sein müsste. Ein Zusammenhang zwischen diesen Faktoren wurde jedoch nicht nachgewiesen, was gegen Kants Theorie spreche.

Zerstörung der moralischen Person im Menschen

In diesem Argument versucht Kant zu zeigen, dass der Mensch die morali­sche Person in ihm zerstört, in dem er sich selbst zur Sache macht. Was ge­nau das heißt, versuche ich auf den nächsten Seiten zu klären.

Was heißt es nach Kant sich als Sache zu behandeln?

Um dies zu verstehen, ist es zunächst hilfreich den Unterschied zwischen Person und Sache zu klären.

"Die Wesen, deren Dasein zwar nicht auf unserem Willen, sondern der Natur be­ruht, haben dennoch, wenn sie vernunftlose Wesen sind, nur einen relativen Wert, als Mittel, und heißen daher Sachen, dagegen vernünftige Wesen Personen genannt werden, weil ihre Natur sie schon als Zwecke an sich selbst, als etwas, das nicht bloß als Mittel gebraucht werden darf, auszeichnet, mithin sofern alle Willkür ein-

schränkt und ein Gegenstand der Achtung ist)." Personen sind objektive Zwecke, Zwecke an sich; sie haben "inneren Wert", Würde.

Personen zeichnen sich also dadurch aus, dass sie naturgegeben Zweck an sich selbst sind und nicht als Mittel gebraucht werden dürfen. Des Weiteren besitzen sie einen „inneren Wert“, also Würde. In der Grundlegung zur Me­taphysik der Sitten beschreibt Kant, dass „im Reiche der Zwecke alles entweder einen Preis oder eine Würde. Hat etwas einen Preis, so hat es auch ein Äquivalent, also etwas, an dessen Stelle man etwas setzen kann. Die „Erhabenheit“, so drückt Kant sich aus, über den Preis hat alles, anstelle man kein Äquivalent setzen kann und somit Würde besitzt. Das, was die „Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Wert, d.i. einen Preis, sondern einen inneren Wert, Würde.Das bedeutet, dass alles was Zweck an sich selbst ist, Würde besitzt und dadurch, dass es sich als Mittel zum Zweck macht, in dem es sich beispielsweise umbringt, um sich Leid o.Ä. zu ersparen, die selbige verliert. Die Bedingung, unter der ein vernünftiges Wesen, also der Mensch, Zweck an sich selbst sein kann, ist die Moralität. Nur unter ihr sei es mög­lich, Zweck an sich selbst zu sein, da man nur durch sie zu einem gesetzge­benden Glied „im Reich der Zwecke“ wird. Deswegen haben nach Kant nur „die Sittlichkeit und die Menschheit, so fern sie derselben fähig ist Würde. Man achte besonders auf den Zusatz den Kant der Menschheit verliehen hat, es reicht also nicht bloß allein Mensch zu sein, man muss sich nach der Ge­samtheit dem, was die Menschheit ausmacht, benehmen, sprich man darf sich nicht als Mittel zum Zweck gebrauchen, beispielsweise in dem man sich um­bringt, weil man zum Beispiel einer Strafe aus dem Weg gehen möchte An dieser Stelle macht sich der Mensch zum Mittel zum Zweck: Der Zweck hier ist das aus dem Weg gehen der Strafe, das Mittel die Handlung der Selbsttötung. Hier kommt wieder Kants Unterscheidung des Menschen und der Menschheit zum Vorschein. Als Sinnenwesen sei der Mensch Erschei­nung, als geistiges, vernünftiges, Zwecke setzendes und (sich selbst) Gesetze gebendes, frei wollendes Wesen aber "Noumenon , zur "intelligiblen Welt gehörig

So hat alles, was einen „inneren Wert“ hat, also Zweck an sich selbst ist, Würde. Einen inneren Wert hat beispielweise eine Handlung also dann, wenn sie nicht aufgrund ihres Nutzens und Vorteil stattfinden, sondern aufgrund der Maximen des Willens um ihrer selbst willen. (siehe Abschnitt zum kate­gorischen Imperativ)

Personen sind also autonome Vernunftwesen, die Zweck an sich selbst sind und Würde besitzen. Nur die Autonomie ist „der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur. Aufgrund dessen kann der Mensch moralische Gesetze entwerfen und befolgen.

LG

3.3 Unvereinbarkeit mit dem kategorischen Imperativ

Eines der am häufigsten zitierten Argumente gegen den Suizid ist die Unver­einbarkeit mit dem kategorischen Imperativ, weswegen ich einen besonderen Schwerpunkt auf diesen Abschnitt lege.

Um dieses Argument Kants zu erklären wird zunächst ein Überblick über die Begrifflichkeiten von Maximen und Imperativen nach Kant gegeben, schwerpunktmäßig auf die Herleitung und Begründung der absoluten Not­wendigkeit seiner. Ich beziehe mich hier vor Allem auf einen größeren Ab­schnitt in der „Grundlegung der Metaphysik der Sitten“.

https://www.grin.com/document/307481