Immanuel Kant pragmatische Hinsicht?

2 Antworten

Der Tat nach (nach dem, was tatsächlich gemäß dem Plan der Natur geschieht) ist die Zwietracht das Mittel, um eine Perfektionierung des Menschen zu bewirken.

Ist hier mit "Zwietracht" tatsächlich Disharmonie gemeint oder treffen es Worte wie Vielfältigkeit, Diversität, Heterogenität etc. eher?

Von Experte zetra bestätigt

Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Zweiter Teil. Anthropologische Charakteristik. E. Der Charakter der Gattung. AA VII, 321 – 322:

„Es bleibt uns also, um den Menschen im System der lebenden Natur seine Klasse anzuweisen und so ihn zu charakterisieren, nichts übrig als: dass er einen Charakter hat, den er sich selbst schafft, indem er vermögend ist, sich nach seinen von ihm selbst genommenen Zwecken zu perfektionieren; wodurch er als mit Vernunftfähigkeit begabtes Tier (animal rationabile) aus sich selbst ein vernünftiges Tier (animal rationale) machen kann; - wo er dann: erstlich sich selbst und sein Art erhält, zweitens sie übt, belehrt und für die häusliche Gesellschaft erzieht, drittens sie als ein systematisch (nach Vernunftprinzipien geordnetes), für die Gesellschaft gehöriges Ganze regiert; wobei aber das Charakteristische der Menschengattung in Vergleichung mit der Idee möglicher vernünftiger Wesen auf Erden überhaupt dieses ist: dass die Natur den Keim der Zwietracht in sie gelegt und gewollt hat, dass ihre eigene Vernunft aus dieser diejenige Eintracht, wenigstens die beständige Annäherung zu derselben herausbringe, welche letztere zwar in der Idee der Zweck, der Tat nach aber die erstere (die Zwietracht) in dem Plane der Natur das Mittel einer höchsten, uns unerforschlichenn Weisheit ist: die Perfektionierung des Menschen durch fortschreitende Kultur, wenngleich mit mancher Aufopferung der Lebensfreuden desselben, zu bewirken.

Unter den lebenden Erdbewohnern ist der Mensch durch seine technische (mit Bewusstsein verbunden-mechanische) zu Handhabung der Sachen, durch seine pragmatische (andere Menschen zu seinen Absichten geschickt zu brauchen) und durch die moralische Anlage in seinem Wesen (nach dem Freiheitsprinzip unter Gesetzen gegen sich und andere zu handeln) von allen übrigen Naturwesen kenntlich unterschieden, und eine jede dieser drei Stufen kann für sich allein schon den Menschen zum Unterschieden von anderen Erdbewohnern charakteristisch unterscheiden.“

Anthropologie in pragmatischer Hinsicht

Das Werk „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ hat Immanuel Kant unter Heranziehung früherer Ausarbeitungen für Vorlesungen geschrieben und 1798 veröffentlicht.

Anthropologie (abgeleitet von griechisch ἄνϑρωπος [anthropos] = Mensch und λόγος [logos] = Wort, Darstellung, Kunde, vernünftige Überlegung, Vernunft, Lehrgebäude [und viele weitere Bedeutungen je nach Zusammenhang]) ist die Wissenschaft/Lehre/Kunde vom Menschen.

Die Bezeichnung »pragmatisch« (abgeleitet von griechisch πραγματικός [pragmatikos] = im Vollbringen von Handlungen tüchtig, sachkundig, erfahren, geschickt, klug, Adjektiv zu dem Substantiv πρᾶγμα [pragma] = Handeln, Beschäftigung, Tat, Handlung, Angelegenheit, Sache [und viele weitere Bedeutungen je nach Zusammenhang]) bedeutet: auf das Handeln bezogen, auf Tatsachen bezogen, praktisch, dem praktischen Nutzen dienend, sachlich.

»Hinsicht« kann in diesem Zusammenhang als Gesichtspunkt und als Absicht bzw. Zweck verstanden werden.

Ein einfacherer Titel wäre „Pragmatische Anthropologie“ gewesen.

Die von Kant vorgelegte Anthropologie hat das Ziel, für Handlungen nutzbar zu sein, indem sie Orientierung zum praktischen und klugen Umgang mit sich selbst und anderen gibt. Sie soll für Menschen eine Einführung in die Welt liefern. Diese Wissenschaft soll nicht bloße Theorie sein, sondern brauchbar fürs Leben werden. Der Mensch wird unter dem Gesichtspunkt untersucht, was er aus sich selbst machen und wozu er andere Menschen gebrauchen kann.

 Mensch als ein animal rationale und animal rationabile

Kant versucht ein den Menschen seinem Wesen nach kennzeichnendes Unterscheidungsmerkmal zu anderen Lebewesen/Tieren zu geben.

In der Übersetzung von Kant ist ein animal rationabile ein „mit Vernunftfähigkeit begabtes Tier“ und ein animal rationale ein „vernünftiges Tier“.

Der Ausdruck animal rationale (lateinisch animal = Lebewesen, Tier; rationalis/rationale = zur Vernunft gehörig, vernünftig, rational, Adjektiv zu dem Substantiv ratio = Vernunft [und viele weitere Bedeutungen je nach Zusammenhang]) bedeutet: Vernunftwesen, vernünftiges Lebewesen, rationales Lebewesen

Der Ausdruck animal rationabile (lateinisch animal = Lebewesen, Tier; rationalis/rationabile = mit Vernunft begabt, vernünftig, Adjektiv mit dem eine Möglichkeit ausdrückenden Suffix [angehängte/angefügte/angeheftete Endung] -bilis) zu dem Substantiv ratio = Vernunft [und viele weitere Bedeutungen je nach Zusammenhang]) bedeutet: vernunftbegabtes Lebewesen, vernunftfähiges Lebewesen

Der Mensch hat eine Fähigkeit/Begabung zur Vernunft als eine von der Natur in ihm angelegte Möglichkeit, ein in ihm steckendes Potential. Der Mensch kann durch Entwicklung und Entfaltung seiner Fähigkeit/Begabung zur Vernunft (eine Naturanlage) zu einem Vernunftwesen werden. Er kann sich damit selbst ein für ihn charakeristiches Wesensmerkmal schaffen.

technische, pragmatische und moralische Anlage des Menschen

»Anlage« bedeutet: Veranlagung, Begabung

technische Anlage: Veranlagung/Begabung zu Technik; die Erfindung, Herstellung und Anwendung von Technik ist auf die Handhabung der Sachen bezogen. Es geht um Geschicklichkeit und die notwendigen Mittel zu einer beliebigen Absicht.

pragmatische Anlage: praktische/handlungsbezogene Veranlagung/Begabung, andere Menschen geschickt/klug zu eigenen Absichten/Zielen zu verwenden. Von der Klugheit werden Handlungen geboten/angeraten, die für die tatsächliche Absicht förderlich sind.

moralische Anlage: Veranlagung/Begabung zu Moral; nach Kants Auffassung geht es dabei um das in sich selbst wertvolle, um seiner selbst willen Gute, das zu tun Pflicht ist. Er versteht Freiheit als Selbstbestimmung. Unter dem Gesichtspunkt einer Selbstgesetzgebung des Willens wird sie als Autonomie verwirklicht. Ein vernünftiges Wesen will das, was es als der praktischen Vernunft entsprechend eingesehen hat. Der gute Wille ist nach Kants Auffassung der durch die reine Form der Gesetzlichkeit (Gesetzesförmigkeit; bezogen auf das moralische Gesetz/Sittengesetz; nicht auf juristische Gesetze) bestimmte Wille.

Zusammenhang mit Natur

Der Mensch hat bestimmte Fähigkeiten/Begabungen als Naturanlagen. Der Möglichkeit nach ist er dadurch mehr als ein bloßes Naturwesen. Er kann von Natur aus ein Vernunftwesen bzw. Kulturwesen werden.

Die Natur kann bei Betrachtung nach einer Idee der Vernunft als auf Zwecke ausgerichtet, vorhersehend und planend verstanden werden. Ein Ziel ist die Perfektionierung (Vervollkommnung, forschreitetende Annäherung an Vollkommenheit) des Menschen. Der Idee nach ist die Eintracht der Menschen miteinander der Zweck. Der Tat nach (nach dem, was tatsächlich gemäß dem Plan der Natur geschieht) ist die Zwietracht das Mittel, um eine Perfektionierung des Menschen zu bewirken. Menschen sind nicht vollkommen und keine reinen Vernunftwesen, sondern auch Sinnenwesen mit Begierden, Neigungen, Interessen. Daher kann schlechtes Handeln vorkommen und Zwietracht auftreten. Die Natur hat dazu den Keim gelegt. Insofern stellt die Natur den Menschen die Aufgabe/Herausforderung, das Zusammenleben und das Wohlergehen zu verbessern. Dies übt Druck/Nötigung auf den Menschen aus, auf dem Weg der Problemlösung die eigenen Fähigkeiten zur Vernunft verwirklichen.

Jawasdenn693  05.01.2022, 19:12
Der Tat nach (nach dem, was tatsächlich gemäß dem Plan der Natur geschieht) ist die Zwietracht das Mittel, um eine Perfektionierung des Menschen zu bewirken.

Ist hier mit "Zwietracht" tatsächlich Disharmonie gemeint oder treffen es Worte wie Vielfältigkeit, Diversität, Heterogenität etc. eher?

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