Gute Idee ein "Oldtimer" als Erstwagen zu kaufen?

6 Antworten

Unterhaltskosten vorher durchrechnen, Schweißen lernen, in der Schule und im Betrieb immer schön aufpassen, dann kann man das machen.

Der gute alte 124er war über 20 Jahre lang unser Begleiter. Die Motoren sind alle okay, ich hielt vor 1992 den 230E (den wir hatten) und danach den 200E/E200 mit jeweils 136 PS (230E gab es auch mal mit 132 PS) sowie den 220E/E220 für am Geeignetsten. Aus heutiger Sicht empfehle ich nur noch 200E/E200 oder 220E/E220 mit 150 PS - die Anderen gibt es entweder nicht mehr oder sie sind sehr teuer. Rechne mal mit zehn Litern auf 100 Kilometern (E10 verträgt er nicht). Sechszylinder saufen ohne Ende, der "kleine", 160 bis 166 PS starke 260E ist witzigerweise durstiger als der 300E mit 180, 188 oder 190 PS. Der 280E bzw. E280 ab 1992 ist relativ sparsam für einen Sechszylinder, aber recht selten.

Der 220E bzw. E220 fährt sich wie Butter, beschleunigt gediegen von unten raus und vermittelt den Eindruck, dass genau der richtige Motor im richtigen Auto wirkt. Die 150 PS sind bullig, ohne laut zu sein und der Verbrauch ist im Rahmen. Den 220er kann man sogar als Handschalter empfehlen, zumal die einst üblen Handschaltungen ab Mitte 1993 (E-Klasse) viel besser geworden sind. Gut sind sie immer noch nicht gewesen, aber nicht so schlecht wie ihr Ruf und im 220er ist das Ganze durchaus entspannt fahrbar. Die Charakteristik und Abstufung der 1993 für den W202 eingeführten Mercedes-Fünfgangschaltung passt zum Drehzahlband des E220 sehr gut, beim C180 oder auch dem C200 bzw. E200 noch im W210 hatte man jedoch immer das Gefühl immer im falschen Gang unterwegs zu sein: Mal grummelt er bei niederer Drehzahl vor sich hin, dann ist er im fünften Gang so laut, dass man sich einen Sechsten wünschen würde. Das Verhältnis Handschaltung/kleiner M111 wurde erst beim späten W202 und W210 sowie im frühen W203 C180 Sauger mit Sechsgangschaltung in den Griff bekommen - den 200er würde ich am ehesten mit Automatik (vier Gänge im 124er) wählen.

Nennenswerte technische Probleme gab es nur mit den mechanischen Einspritzanlagen im 230E (hatte unserer bereits während der Garantiezeit im Sommer 1990, danach war aber Ruhe) und zudem gab es bis ca. 1987 Terz mit Ölschlamm und Nockenwellenschäden an 200 und 230E, aber diese Oldies spielen am Markt kaum noch eine Rolle. Sonst ist alles rein wartungs- und pflegebedingt, aber es sind eben auch inzwischen alte Autos, an denen immer wieder was sein kann. Von daher: Auch wenn die 124er Baureihe eigentlich eine zuverlässige Serie ist, haben die Kisten mindestens 25 Jahre auf dem Buckel und sind altersbedingt nur noch teilweise erste Wahl. Der 124er ist sicher problemloser als mancher andere alte Wagen seiner Zeit, aber er ist einfach steinalt - das muss man wissen. Es empfiehlt sich, wenn man selber Hand anlegen kann, obwohl die Ersatzteile nicht sehr teuer sind.

Ein Groschengrab wird der 124er allerdings zugegeben nur, wenn er einen ellenlangen Wartungsstau aufweist (das kann man aber beim Kauf beachten - Scheckheft, Rechnungen und allgemeiner Zustand) durch den er ständig in die Werkstatt muss oder wenn es an Blecharbeiten geht. Rost ist sein Hauptproblem und hier wird es immer teuer; rostfreie 124er gibt es nicht und irgendwo gammelt er immer. Ersatzteile sind übrigens ziemlich günstig für die Klasse und überall auch als Nachbau zu bekommen, nur Blechteile sind teuer.

Wir hatten den 124er wie gesagt 23 Jahre lang - technisch waren die Fahrzeuge sehr zuverlässig, aber sie sind in allen Baujahren extrem rostanfällig. Gefahren ist unser Wagen jedoch gut und brauchte selbst im Alter nur wenige Reparaturen - einmal Querlenker bei weit über 200.000, einmal der Kühler, einmal wurde das Getriebe revidiert; viel mehr denkt mir nicht. Ich glaube, da war 2012 noch der erste Auspuff drunter. Technisch hatte er nach rund 280.000 Kilometern noch Spielraum, aber der Rost war 2012 einfach zu fortgeschritten.

Man muss aber aufpassen: Der 124er wird überall hofiert und als "letzter echter Benz" heilig gesprochen, ohne dass er wirklich so gut war, wie selbsternannte "Kenner", die meist nie einen hatten, es gern predigen. Das Auto war wirklich in Ordnung, aber der damalige Audi 100 (den ich einige Jahre fuhr) war dem Wagen trotz älterem Konzept in jeder Hinsicht überlegen. Das fing bei Kleinigkeiten wie satt einrastenden Schaltern und Hebeln, den schon im Basismodell erlesenen Stoffen oder den Türgriffen an und endete bei der Vollverzinkung und zehn Jahren Garantie gegen Durchrostung.

Bis ich sage mal 4.000 Euro wirst du locker fündig, dafür gibt es einen 200er, 220er oder 230er oder einen 260E ohne große Ausstattung, aber mit seriöser Vorgeschichte kriegst du auch schon für die Hälfte. Der hat sicher Kratzer und Dellen oder Anrostungen, aber ist technisch meistens ganz gut - es gibt immer wieder mal solche Rentnerautos. Ich würde einen 124er übrigens nie beim "seriösen" Händler kaufen und auch nicht beim eher jüngeren Anbieter, der den Hobel vom Opa geschenkt bekam oder billig einem Senioren abgeschwatzt hat, selbst mit billigem Baumarktsaft das Öl gewechselt hat, ein MP3-Radio für 89 Euro einbaute und jetzt meint, er habe einen Top-Klassiker, mit dem er ahnungslose Leute abzocken kann --------> ich kenne die "Szene" gut und die ehrlichsten Angebote habe ich persönlich bei irgendwelchen Schotterplatz-Alis gefunden, die diese Autos von Mercedes durchgereicht bekamen, nix damit anfangen konnten und sie wegen der kurzen Verweildauer auf dem eigenen Platz schnell loswerden wollen. Oder man hält Ausschau nach Autos aus Nachlässen, wo ein freundlich-bürgerlicher 55-jähriger Sohn Vaters alten 200er verkauft und kein Geschäft damit machen will, weil er nicht auf ein paar Euro mehr oder weniger zwingend angewiesen ist/Besseres zu tun hat.

Ich käme trotz meiner Vorliebe für alte Mercedes trotzdem ehrlich gesagt nie auf die Idee, mir Stand heute eine solche Kiste zu kaufen. Das Auto ist zuverlässig und dadurch im Unterhalt faktisch nicht so teuer wie gedacht, aber es hat einige Unzulänglichkeiten zu bieten, die einem umso mehr auffallen, je länger man sich mit dem Ding beschäftigt: Bis zur Modellpflege 2 im Sommer 1993 waren die Sitze außer im "Sportline" sehr schlecht; die Gangschaltungen sind egal ob mit vier oder fünf Gängen äußerst unexakt und latschig auch bis 1993, die Lenkung ist schwammig und indirekt - und man muss das Fahrgefühl mögen. Der 124er fühlt sich seltsam lang und schmal an, man sitzt sehr aufrecht und dicht hinter der Scheibe - das konnte mein Audi 100 schon damals besser und selbst der Ford Scorpio und diverse Japaner waren da angenehmer zu fahren. Ich fuhr letztes Jahr selbst tagesweise mit einem 94er E200 rum, der zwar ganz okay war, aber sehr deutlich machte, dass es sich um ein Konzept der 70er-Jahre handelt, das über die Jahre zwar gut "abgeschmeckt" wurde und mit Aufwand verbessert, aber trotzdem schon 1994 in die Jahre gekommen war. Der damals neu entwickelte Opel Omega B, aber auch schon Audi 100 C3 und C4 sowie der BMW 5er (E34 Serie) waren dem 124er räumlich und fahrerisch sowie ergonomisch haushoch überlegen.

Selbst die letzten 124er mit ABS, ASD, zwei Airbags, vielleicht Klima usw. sind für den Alltag meiner Meinung nach nur noch bedingt geeignet - und was rostmäßig jetzt noch gut ist, wird nach ein bis zwei Wintern nahezu überall anfangen zu rosten und ist dann ein Kandidat für die Komplett-Lackierung. Das muss irgendwo einfach nicht sein.

Ich fuhr sehr lange den W202 und empfehle dir diesen weiter - der ist genauso zuverlässig wie der W124, nur weniger rostanfällig vor allem an den "wichtigen" (tragenden) Teilen. Es sei nur an die Wagenheberaufnahmen oder an einfach abrostende Hinterachsen im 124er erinnert - das trifft beim W202 nicht zu bzw. die Wagenheberaufnahmen nur bei absoluter Misshandlung über Jahre hinweg und rigiden Einsatz in salzreichen Gegenden. Wahrscheinlich ist der W202 für dich das bessere Auto. Der greift das Mercedes-Gefühl der 70er und 80er nochmal auf, ist sozusagen die letzte Evolutionsstufe - und ein wirklich gutes Auto. Die Preise sind in der Regel fair, alles über 3000 Euro ist aber zu viel für einen normalen C180.

Muss es aber unbedingt ein 124er sein, habe ich noch einen Tipp auf Lager: Aus heutiger Sicht würde ich für den Alltag eigentlich nur noch einen W124 mit M111- Benzinmotor ab September 1992 empfehlen (200E/E200; 220E/E220). Das sind sparsame und haltbare Motoren mit ausreichend Dampf für den Alltag und hoher Zuverlässigkeit bei geringem Wartungsaufwand - fahre selbst wie gesagt einen M111 in der C-Klasse W202. Am besten ist natürlich ein E200 oder E220 W124 ab Juli 1993 (E-Klasse/Mopf 2), da er viel bessere Sitze mit straffen Polstern (aus dem W202) hat und nennenswerte Sicherheitsausstattungen besitzt. Zudem sind die Motoren einfach zu warten mit nur wenigen Schwachstellen (Kopfdichtung, ggf. tickernde Hydrostößel durch zu dünnes Öl - alles unter 10W-40 verträgt er nicht) sowie sparsam, leise und schnell. Des weiteren hat der M111 die grüne Plakette und kann mit wenig Aufwand in Euro 2 umgeschlüsselt werden, wenn nicht schon geschehen. Klar, die selbsternannten "Kenner" kann man mit der E-Klasse W124 nicht begeistern, für die ist das ein billiger Abglanz, aber dafür hat man ein sehr ausgereiftes Auto, das im Alltag einfach viel besser, entspannter und zeitgemäßer ist als ein Vormopf oder Mopf 1.

 da ich Kfz-Mechatroniker bin, denke ich wird das kein allzu großes Problem

Technisch mit Sicherheit nicht, da ist der 124er solide und verursacht nur wenige Probleme, wenn er normal behandelt und regelmäßig gewartet wird. Rost wird allerdings immer ein Problem sein und kann die Freude an diesem Fahrzeug trüben. "Der letzte echte Benz" ist er mit Sicherheit nicht und "Kenner" wissen das bzw. klicken direkt weiter, wenn im Inserat das Wort "Kenner" auftaucht, weil sie wissen, dass Schrott zu Höchstpreisen verkauft werden soll.

Ist wahrscheinlich nicht das, was du hören wolltest und dafür bitte ich um Entschuldigung, aber ich möchte ehrlich sein und aus eigener Erfahrung vom 124er abraten - erst recht für einen Einsteiger und Anfänger. Der W202 wäre der deutlich bessere Einstieg.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
ymsosa 
Fragesteller
 24.08.2023, 21:14

Vielen Dank für die Infos!

1
rotesand  24.08.2023, 23:58
@ymsosa

Gerne. Ich habe dir einfach mal alles dagelassen, was ich zu W124 und W202 sagen kann (das zum 124er kann man ziemlich 1:1 auch auf den 190er beziehen, wenn man die guten M111 Motoren ausklammert, die der 190er nicht mehr bekam) auch aus eigener langjähriger Erfahrung - nach der 124er-Aera bin ich zehn Jahre begeistert W202 gefahren und sitze jetzt im W211 - und ich freue mich, wenn ich dir helfen konnte. Wenn du weitere Fragen haben solltest, melde dich, ich habe an alten Mercedes immer vieles selber gemacht und gewisse Erfahrung damit.

0

denk an die Betriebskosten!

und daran, dass du mit so einem Auto dein Leben einer 40(?) Jahre alten Technologie anvertraust...

NicoDehn21  24.08.2023, 21:07

die menschheit lebt immer noch

1
horribiledictu  24.08.2023, 21:08
@NicoDehn21

davon hat er nix, wenn er tot ist, weil die Uralttechnologie nicht genug Schutz bietet.

0

Ja, einfach machen 👍

Ich begrüße die Idee, auch als Fahranfänger! Du solltest dir halt ein Auto suchen was trotz alter zuverlässig ist. Das sollte bei der E-Klasse aber gegeben sein.

Ansonsten würde ich nur für einen Anfänger ein kompakteres Modell wählen. C Klasse ist 190et vielleicht? Wenn es die E-Klasse sein soll, achte darauf dass sie zumindest parksensoren hat; oder rüste eine Rückfahkammera nach. Das solltest du als Mechatroniker ja selber können.