Eure Erfahrungen mit Aikido?

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Wie seit ihr zum Aikido gekommen?

Ich bin durch mein Interesse an japanischer Kultur und auf der Suche nach einer nicht-wettkampforientierten körperlichen Praxis als Ergänzung zur Zen-Meditation dazu gekommen.

Wie lange macht ihr schon Aikido?

Ich bin jetzt seit etwas über 20 Jahren Aikidoka.

Meint ihr, ihr könntet euch auch auf der Straße verteidigen? Haltet ihr Aikido allgemein für die Selbstverteidigung geeignet?

Um vielleicht eins vorab zu sagen: Für mich selbst war Selbstverteidigung nie ein Grund für mein Aikido-Training.

Erst als ein Jugendtrainer eine ziemlich direkte Art hatte, Aikido zu vermitteln, merkte ich, dass es tatsächlich "hart" zum Einsatz kommen kann. Dieser Umstand war mir vorher gar nicht so bewusst.

Selbstverteidigung

Ich selbst war leider schon drei Mal in Situationen, bei denen ich mich, oder andere Personen verteidigen musste. Dabei wurde niemand schwerwiegend verletzt - mit Ausnahme eines vermutlich gebrochenen Handgelenks.

Daher bin ich vom Nutzen für die Selbstverteidigung überzeugt, wenn man bedenkt, dass die Techniken nicht so bildschön aussehen werden, wie auf der Matte.

Es kann nicht schaden, sich einmal Lehrer anzusehen, die viel Wert auf die Anwendbarkeit legen, oder "offensivere" Stile, wie zB Yoshinkan praktizieren.

Was macht Aikido für euch aus?

Freundlichkeit.

Freundlichkeit mit mir selbst und gegenüber anderem - ja selbst gegenüber einem gewalttätigen Menschen.

Selbst wenn man angegriffen wird, kann man freundlich sein und nur so viel Widerstand leisten, wie unbedingt erforderlich ist.

Gewalt ist keine Rechtfertigung für Gewaltexzesse. Wir können einander umarmen - und im Fall von Aggression bringt sich der Angreifer dabei selbst zu Fall und kann seinen Irrtum erkennen.

Du merkst vielleicht schon, dass ich hier nicht nur von körperlichen Techniken spreche, sondern auch die geistige Haltung meine.

Was gefällt euch daran besonders?

Ich mag am Aikido, dass es eben kein Wettkampfsport ist, sondern es um den Ausgleich geht. Harmonisierung von Gegensätzen. Anspannung, Entspannung, Angriff, Atemi, Wurf...

In welchem Verband ist euer Verein?

Ich trainiere in einem Verein der zum Bundesverband deutscher Aikido-Lehrer (BDAL) gehört.

Wie wichtig findet ihr die Philosophie im Aikido? Übertragt ihr die Aikido-Philosophie auch (ganz oder teilweise) auf euren Alltag?

Jemand hat mal  gesagt "Aikido ist Zen in Bewegung" und auch wenn die Philosophie von O-Sensei nichts mit dem Buddhismus zu tun hat, finde ich diese Formulierung sehr treffend.

Genau so wie jede achtsam ausgeführte Handlung eine Manifestation von Zen ist - geistige Präsenz in der Gegenwart - kann auch jede Handlung Aikido sein.

Gerhard Walter Shihan sagte mal sinngemäß "ihr macht einen Schritt - und in diesem Schritt ist alles enthalten, das gesamte Spektrum"

Aikido im Alltag

Es gab eine Zeit, von etwa einem Jahr, in der ich umzugsbedingt nicht regelmäßig trainieren konnte und dennoch bemühte ich mich darum, Aikido zu leben.

Als ich dann wieder zum Training konnte, war es so, als hätte ich nie aufgehört zu trainieren, auch wenn ich allein lediglich das Aiki-Taiso und Grundübungen machen konnte.

Das Tenkan und Irimi praktisch sind, um durch eine Menschenmasse zu kommen, oder die Ukemi bei Stürzen auf der Straße hilfreich sein können, ist dabei nur der technische Aspekt.

Die geistige Haltung, offen auf Menschen zuzugehen und bei potentiellen Konflikten ausgleichend und vermittelnd zu wirken, ist mir wichtig.

Manchmal, wenn ich ein Gespräch führe, stelle ich im Anschluss fest, dass mir ein Ausgleich zwischen widerstreitenden Kräften gelungen ist. Das freut mich mehr, als jede komplizierte Technik.

Persönliches

Ich habe mal ein Buch gelesen, dass sich mit den Strategien von Mahatma Gandhi befasste. Der Titel sagt eigentlich das Wesentliche aus:

"Führen durch Vorbild"

Ich kann nur ein guter Trainingspartner und Mensch sein, wenn ich mich wirklich aufrichtig einer Sache widme. Halbherzigkeit ist bei der Durchführung der Techniken genau so unangebracht, wie im Alltag.

Wie kann ich von anderen fordern, sie sollten sich zB "mehr anstrengen" wenn ich selbst nicht dafür stehe, was ich versuche zu vermitteln?

Ein erfahrener Schüler ist immer mehr als nur ein "Vorturner", also jemand der zeigt, wie es technisch langgeht, sondern sollte auch charakterlich ein Vorbild sein. 

Führung bedeutet aber auch "Irimi" - das Eintreten in die Technik. Schon durch Einnehmen der Grundhaltung nehme ich dem Anderen die Initiative ab, denn nun kann er nur noch eine Körperseite angreifen - ich führe ihn.

Soweit von meiner Seite - die Ausführungen von OnkelSchorsch sind exzellent und sollten unbedingt als Ergänzung zu meinen Ansichten gelesen werden.

Woher ich das weiß:Hobby – Seit etwa 40 Jahren Training des Aikido
Enzylexikon  29.01.2017, 12:04

Nachtrag: Jetzt, wo ich am nächsten morgen nachlese, fällt mir eine mögliche Missverständlichkeit auf:

Bei einem der Angriffe auf der Straße (ein eskalierter Raubüberfall, da ich kein Geld hatte), brach vermutlich das Handgelenk des Angreifers durch einen "kote-gaeshi" - nicht mein eigenes.

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Enzylexikon  12.02.2017, 15:03

Vielen Dank für den Stern. :-)

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Hallo, ich Betrieb seit meinem sechsten Lebensjahr Aikido. Insgesamt sieben Jahre lang. Ich stand ebenfalls kurz vor dem 4. Kyu. Zu Aikido bin ich gekommen, da mich Freunde damals gefragt haben ob ich mit zu einer Kampfschule gehen will und mir mal anschauen will, was sie dort für einen Sport machen. Wegen der Selbstverteidigung etc. Aikido ist leider meiner Meinung nach eines der eher weniger gut geeigneten Selbstverteidigungsmittel. Da du keine Angriffe lernst, sondern nur lernst, wie du recht elegant und mit runden Bewegungen, ohne deinen Gegner zu verletzen, zu Fall bringen kannst. Nur in den wenigsten Techniken lernst du wie du deinen Gegner außer Gefecht setzen kannst. Und einen Kampf beenden kannst. Es heißt zwar man kann sich, wenn man beim 1. Kyu angelangt ist, gegen zehn Leute gleichzeitig verteidigen, dies ist jedoch meiner Ansicht nach eher unwahrscheinlich. Da du nicht lernst, wie du deinen Gegner ausschalten kannst. Ob das nun k.o. schlagen oder sonst etwas ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass er wieder aufsteht. Die anderen Wege, bei denen du in einen Hebel gehst, beanspruchen jedoch viel Zeit. Und in dieser Zeit, könnte bereits der nächste Gegner gekommen sein. Ich wollte Aikido eigentlich machen, bis ist der schwarzen Gurt habe. Jedoch habe ich noch andere Kampfschulen gesehen, bei der du viel effektivere Selbstverteidigungstechniken lernst. Weshalb ich mich entschieden habe mit Aikido aufzuhören. Da die meisten Grundlagen ja mit dem 4. Kyu auch schon sitzen. Der Gedanke dahinter seinen Gegner nicht zu verletzen ist zwar gut und nett, jedoch nicht mein Ziel. Sollte ich in einen Straßenkampf verwickelt sein. Da ich sichergehen will, dass ich, wenn ich angegriffen werde meinen/meine Gegner soweit außer Gefecht setzen kann, bis ich die Polizei gerufen habe. Dies ist im Aikido leider nur schlecht möglich. Deshalb habe ich mit Escrima und Wing Chun angefangen. Welche ich mittlerweile auch schon seit fast einem Jahr betreibe. Meines Erachtens komplizierter und man braucht mehr Denkvermögen (im Wing Chun), jedoch um einiges effektiver. Zudem dauern die Techniken im Aikido etwas zu lange, wenn dich mehrere Leute angreifen. Ich habe es bereits es Öfteren versucht mich mit Aikido und mit meinen im Escrima und Wing Chun erlernten Fähigkeiten zu verteidigen. Leider musste ich wie erwartet feststellen, dass Aikido eine schlechte bis keine Wirkung erzielt hat, geschweige denn ich überhaupt einen Gegner damit zu Fall gebracht habe. Denn dies passierte leider nur in den seltensten fällen.

Ich hoffe ich konnte helfen,
bei Fragen schreibe einfach:)

LG Tim:)

y0u5t3r  04.07.2019, 09:47

Dann warst du vielleicht nicht gut genug im Aikido. Wie du gesagt hast: man braucht sehr lange, um Aikido richtig zu erlernen

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Hallo

Ich selbst habe leider noch nie Aikido betrieben, beschäftige mich aber seit mehreren Jahren mit einzelnen Kampfkünsten und Kampfsportarten. Ich habe mehrere Jahre lang die Kampfkunst Taekwon-Do trainiert und hab anschließend zu Silat, sowie Kali und Jeet Kune Do gewechselt.

Was ich dir aber zu 100% sagen kann ist: Im Aikido geht es um einiges anders zu als in vielen anderen Kampfkünsten (wenn ich den Erzählungen und Informationen die ich gesammelt habe glaube). Wie ich eben schon schrieb komme ich aus dem Taekwondo Bereich. Dort kann es sehr hart und streng zu gehen. Oft ertönt ein lautes "KIA!" was auch Kampfschrei genannt wird. Die Techniken sind alle schnell, explosiv und könnten einen Angreifer, sofern sie richtig ausgeführt werden, sehr verletzen. In manchen Karate Stilen geht es ebenfalls nicht anders zu. Laut und energiegeladen. Im Aikido ist es anders. Aikido strahlt eine gewisse Ruhe aus. Obwohl ich es noch nie selbst ausgeübt habe, habe ich mir einige Videos von Lehrgängen angesehen, und selbst dort spührt man diese Ruhe. Es geht nicht um die Zerstörung des Feindes sondern nur darum ihn "zu stören" (wenn ich das mal so nennen darf). Die Bewegungen sind alle sehr elegant und werden anfangs langsam ausgeführt.

Sollte ich jemals die Gelegenheit haben diese Kunst zu trainieren werde ich sie auf jedenfall nutzen. Das selbe empfehle ich übrigens auch dir.

LG

Woher ich das weiß:Hobby – Trainiere seit mehreren Jahren Kampfsport (trad. Taekwon-Do)

Aikido mag in Puncto elbstverteidung gegen statische Gegner taugen... ...ansonsten kannst es getrost in die Tonne klopfen...

Mich würde interessieren welche Erfahrungen DU auf der Straße mit Aikido gemacht hast?

Woher ich das weiß:Hobby